Oktoberfest:Superhelden und Heuschrecken auf dem Fließband

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Seit 1933 gibt es den Toboggan auf dem Münchner Oktoberfest. (Foto: Hullbr3ach via Wikimedia Commons; Bearbeitung SZ.de)

Wer auf der Wiesn beim Toboggan mitfährt, traut sich was. Doch während der eine sich nicht zum Deppen machen will, tut der andere genau das - zur Freude des Publikums. Eine Typologie.

Von Laura Kaufmann

Der Wiesngänger kann durch fünf Loopings fahren oder aus 75 Metern Höhe auf die Erde zurasen. Fahrgeschäfte gibt es viele auf der Wiesn - die Herzen aber fliegen einem über 80-jährigen Rutschturm zu. Der Charme des Toboggans, nach einem Schlitten kanadischer Ureinwohner benannt, ist nicht die Fahrt hinab, sondern das Beförderungsband hinauf; der Laufsteg der eitel Torkelnden. Und die Menschentraube drumherum johlt und lacht und klatscht den Fahrern zu. Wir haben deren Fahrstil analysiert.

Der Käfer

Schon beim ersten Schritt auf das Laufband überrascht ihn die Geschwindigkeit. So hinterrücks, dass er trotz wildesten Armruderns nach höchstens zwei weiteren hilflosen Stolperschritten auf dem Hintern landet. Immer noch mit seinen Extremitäten rudernd, fährt er auf dem Rücken liegend hinauf wie ein Käfer, der sich nicht mehr selbstständig aufrichten kann. Zur größtmöglichen Demütigung trägt der Mitarbeiter bei, der ihn lässig an einem der rudernden Beine packt.

Der Superheld

Ohne lange zu fackeln springt er auf das Band. Sein Markenzeichen: Der dazugehörige Urschrei und die nach vorne gereckte Hand, als würde er gleich schnittig wie ein Superheld durch die Luft zischen. Je nach Übung und Alkoholkonsum meistert er die Fahrt mit Haltung, höchstens ein, zwei kaum sichtbare Ausfallschritte benötigt er. Sind die Ausfallschritte sichtbarer, hält ihn ein Mitarbeiter zur Stabilisierung am Gesäß. Oder aber sein eigener Schwung beim Aufsprung reißt ihn vornüber, so dass als halbe Heuschrecke hinaufbegleitet wird.

Regeln
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Die Heuschrecke

Die Heuschrecke, oder auch die halbe Heuschrecke, ist eine aus dem Yoga bekannte Position. Dabei liegt der Mensch bäuchlings mit angezogenen Armen auf dem Boden und reckt die Beine, oder eben nur ein Bein, in die Höhe. Dass Tobogganfahrer in dieser Position allesamt Yogis sind, darf bezweifelt werden. Es ist mehr der übermäßige Biergenuss, der für die plötzliche Flexibilität sorgt. Und ganz freiwillig begeben sich die Fahrer nach einem sehenswerten Bauchklatscher nicht in diese Position: Ein Mitarbeiter hält die Heuschrecke an den hinaufragenden Beinen fest und geleitet sie so, Kopf voraus, nach oben.

Der Besonnene

Der Besonnene sorgt erst einmal dafür, dass sich hinter ihm eine beachtliche Schlange aufstaut. Ohne ausführliche Beratung wagt er sich nicht auf das Band, er hat doch keine vier Euro bezahlt, um sich hier zum Deppen zu machen. Er fragt nach und fragt nach, während die Leute, die hinter ihm anstehen, langsam ungeduldig werden. Bevor ihn die Mitarbeiter schließlich genervt aufs Band oder gleich ganz herunter schubsen, traut er sich doch. Es verreißt ihn schon nach dem ersten Schritt. Die Zuschauer johlen.

Der Langweiler

Der Langweiler fährt nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal Toboggan. Siegesgewiss und ohne die Miene zu verziehen steigt er aufs Band, um dort regungslos in einer Position zu verharren, bis er oben angekommen ist: ein Bein nach vorne, leicht angewinkelt. Das bringt zwar keine großen Zuschauerreaktionen hervor, aber immerhin auch keine blauen Flecken. Für einen Hauch von Showeffekt wirft er sich in die Position eines Wellenreiters, was ihm anerkennenden Applaus von unten einbringt.

Die Spinne

Unglaublich, wie viele Extremitäten dieser Tobogganfahrer besitzt! Im nächsten Jahr könnte er glatt in einer Geisterbahn anheuern, so wie er, nach Gleichgewicht ringend, mit den Armen fuchtelt. Trotzdem fällt er einige Male, stolpert von der einen Seite auf die andere, steht aber so schnell wieder auf wie ein Springteufel. Dabei grinst er siegessicher in die Menge, gewiss, die Lacher auf seiner Seite zu haben. Weit voran kommt er mit der Stolper-Fuchtel-Taktik allerdings nicht. Als er zum dritten Mal am Gelände hängt und in die Menge grinst, packt ihn ein kräftiger Mitarbeiter und zerrt ihn am Schlafittchen nach oben.

Der Risikofreie

Hochsausen, ja, aber bitteschön ohne blaue Flecken und ohne Blamage. Diesem Wunsch kommen die Mitarbeiter des Toboggans gern nach, die den Fahrenden dann an der Hand nehmen und nach oben ziehen. Kinder selbstverständlich, abends auch reihenweise Frauen, die sich nichts beweisen müssen oder ihrem Schuhwerk nicht so recht trauen. Für das Publikum recht unspektakulär, aber der nächste Totalausfall folgt bestimmt.

Der Showrunner

Wer kennt ihn noch, den Roadrunner? Den Comic-Vogel, der so schnell läuft, dass seine Beine nur als Wirbel dargestellt werden? Der Showrunner jedenfalls scheint ihn sich zum Vorbild genommen zu haben, seine Beine treiben ähnliches. Allerdings rückwärts, denn der Vorwärtsbewegung des Laufbands scheint er nicht so recht zu trauen. Ewig hält er das nicht durch. Er landet entweder am Geländer, auf dem Hosenboden oder in starken Armen, die dem Kasperltheater unsanft ein Ende bereiten und ihn nach oben geleiten. Die Lacher allerdings hat er auf seiner Seite.

Der Tänzer

Es gibt Menschen, die scheinen physikalische Gesetze außer Kraft setzen zu können. Und der Tänzer ist einer davon. Sichtlich angetrunken wagt er sich alleine aufs Laufband und tänzelt wie eine Ballerina hinauf, knallt dabei auch mal gegen das Geländer und verbiegt sich dreimal wie ein Gummimensch, um nicht umzufallen, findet aber immer wieder ein magisches Gleichgewicht. Wie von Geisterhand angeschoben schafft er es nach oben, ohne endgültig zu stürzen oder die Kontrolle über sein katzenhaftes Torkeln zu verlieren. Der Tänzer hat die anerkennenden Pfiffe des Publikums verdient.

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