Oktoberfest-Attentat:"Es war ein Albtraum"

Am 26. September 1980 erschütterte kurz nach 22 Uhr ein Knall das Oktoberfest. Der bisher schwerste Anschlag in der Bundesrepublik kostete 13 Menschen das Leben. Sieben Münchner erinnern sich.

Protokolle von Wolfgang Görl, Dominik Hutter, Annette Ramelsberger, Franz Kotteder, Katja Riedel

Neue Ermittlungen

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(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Nach 34 Jahren werden die Ermittlungen zum Attentat auf das Münchner Oktoberfest wieder aufgenommen. Der bis heute schwerste Anschlag in der Bundesrepublik Deutschland kostete 13 Menschen das Leben, mehr als 200 wurden zum Teil schwer verletzt. Die bisherige Einzeltätertheorie wird wieder angezweifelt. Wer am 26. September 1980 in München war, wird - vergleichbar mit dem Anschlag auf das World Trade Center in New York - nie vergessen, was er an diesem Tag erlebt hat. Sieben Münchner, darunter ein Opfer, erzählen.

Christian Ude, ehemaliger Oberbürgermeister

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(Foto: region.mue)

"Ich war damals in meiner Wohnung und habe Akten für meine noch junge Anwaltskanzlei bearbeitet. Nebenher lief der Fernseher, und da kam die Nachricht vom Attentat. Der erste Gedanke war: Das hätte ja nicht nur an dieser Stelle passieren können, sondern in jedem Bierzelt mit noch schlimmeren Folgen. Wenn ein Täter zu so einem Anschlag bereit ist, dann sind auch in Fußballstadien, U-Bahn-Stationen oder im Stachus-Untergeschoss unvorstellbare Blutbäder möglich. Es war ein Albtraum. Das zweite Gefühl war ein namenloser Zorn auf Franz Josef Strauß, der das Attentat noch in den Abendnachrichten mit eiskaltem Zynismus für seinen Wahlkampf missbraucht hat, indem er sinngemäß sagte: Das waren Gerhart Baums Terroristen. Er wollte damit den linksliberalen Innenminister Baum zum Verantwortlichen stempeln - und das ohne irgendeine Kenntnis über den Hintergrund. Angesichts eines Blutbads und vieler Toter und verletzter Opfer sofort Wahlkampf zu machen, hat mich über die Maßen empört. Und dann blieb es natürlich ein monatelanges Thema, wieso trotz der rechtsextremen Vergangenheit des Täters, die ja sehr schnell bekannt wurde, in diese Richtung überhaupt nicht erkennbar ermittelt wurde. Stattdessen hat man gebetsmühlenartig gesagt, es war ein Einzeltäter. Mein Misstrauen, die Ermittlungsbehörden könnten auf dem rechten Auge blind gewesen sein, hat dann viele Jahre später plötzlichen Auftrieb bekommen durch das totale Staatsversagen bei der Aufklärung der NSU-Morde, wo ja auch eine Blindheit über die Grenzen verschiedener Bundesländer hinweg festzustellen war."

Renate Martinez, Mitarbeiterin im Papierhandel, verletzt durch die Bombe

"Es sollte ein letzter Bummel über das Oktoberfest werden. Ich wollte Abschied nehmen, mal beim Schichtl reinschauen oder bei anderen Attraktionen, zu denen man sonst nicht geht. Denn ich wollte auswandern, vier Wochen später. Am Nachmittag hatte ich mir mit Freunden den Trachtenumzug angeschaut. Am Abend hatte ich ein Dutzend lockere Verabredungen, ich bin dann aber lieber allein geblieben, weil ich in kein Zelt wollte, sondern am nächsten Morgen früh raus, in die Berge. Deshalb war ich am Ausgang, als mich die Druckwelle von hinten traf. Fast gleichzeitig konnte ich den Feuerschein sehen. Einen Knall habe ich nicht gehört, nur ein hohes Fiepen, mein Trommelfell ist geplatzt. Ich bin geflogen, und noch im Fliegen habe ich gedacht: Das werden sie den Linken in die Schuhe schieben. Dann lag ich da, anderthalb Stunden, bevor ich ins Krankenhaus nach Pasing kam. Irgendein Mann war die ganze Zeit bei mir, das war wichtig. Auch der damalige Chef der Pasinger Chirurgie war zufällig auf dem Fest. Der hat die Verteilung übernommen, wer wohin kommt. Ich habe noch im Krankenhaus gesagt: "Kümmert's Euch um die Schwerverletzten, mir geht's gut." Dann bin ich schon als Zweite in den OP gekommen. Meine Lunge war zusammengefallen, ich hatte überall Splitter, der Hinterkopf war verletzt, meine Knie und Beine waren Hackfleisch. Allein 13 Wochen lag ich im Streckverband, bis Mitte Februar im Krankenhaus. Anfangs wollten sie uns schonen, uns die Zeitungen vorenthalten, aber wir haben uns ausgetauscht. Eine Freundin ist jeden Tag zu mir nach Pasing gekommen, obwohl sie in Garching gearbeitet und auch dort gewohnt hat. Wir sind heute noch eng. Das Thema Auswandern war nach der Krankenhauszeit vom Tisch. Auf das Oktoberfest bin ich schon im nächsten Jahr wieder gegangen. Aber an den Anschlag denke ich jeden Tag - immer, wenn mein Knie oder sonst etwas weh tut. Ich will wissen, wie es war, wer die Hintermänner waren. Trotzdem ist mir wichtig: Ich will nicht das ewige Bombenopfer sein."

Richard Süßmeier, damals Sprecher der Wiesnwirte

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(Foto: Schunk)

"Mein Zelt, das Armbrustschützenzelt, stand am nächsten zum Ort des Anschlags. Ich kann mich noch an einen fürchterlichen Schlag erinnern, in meinem Büro sind die Bilder von der Wand gefallen. Erst dachten wir, eine Gasflasche sei explodiert oder etwas dergleichen. Aber dann haben wir natürlich die Leute auf der Straße liegen gesehen. Es war wirklich ein schauriges Bild. Es ist dann unheimlich schnell gegangen, die Feuerwehr und die Sanitäter waren im Nu da, alles war sofort abgesperrt. Viele standen unter Schock. Ich habe dann meine Kollegen angerufen, damit sie die Musik weiterspielen lassen. Es war ja an diesem Freitagabend kurz vor Schluss in den Zelten, und die meisten Leute wären dann ja auch gleich gegangen. Das mit der Musik hat gut funktioniert, es ist keine Panik entstanden. Dann kamen der Polizeipräsident, auch der Strauß, der Kiesl war nicht da, ich weiß nicht mehr warum. Die haben dann entschieden, dass das Oktoberfest am nächsten Tag trotz allem wieder weitergehen sollte, da war ja auch das Fußballspiel FC Bayern gegen den Hamburger SV. Erst am Dienstag, zur offiziellen Trauerfeier, blieb die Wiesn einen Tag lang geschlossen. Einige Bedienungen sind nach dem Anschlag nicht mehr gekommen, die Familien hatten Angst. Und auch einige Firmen haben ihre Reservierungen storniert."

Anneliese Zaglauer, langjährige Chefsekretärin der Süddeutschen Zeitung

"Ich saß an dem Abend mit meinem Lebensgefährten und den zwei Kindern im Winzerer Fähndel, ganz nah an der Bavaria. Die Kinder waren 11 und 13, denen war langweilig bei uns. Wir drückten ihnen ein paar Mark in die Hand, fürs Karussellfahren, dann sollten sie heimgehen. Wir hatten einen schönen Abend, wir wunderten uns nur, warum die Musik immer weiter spielte. Eigentlich hört die Musik um 22.15 Uhr auf, aber die spielte noch um 22.30 Uhr, um 23.00 Uhr. Im Nachhinein war uns klar, die hatten die Wirte angerufen: Haltet die Leute in den Zelten, damit keine Panik ausbricht. Als wir aufbrachen, kamen wir direkt am Haupteingang vorbei. Der war weiträumig abgesperrt und die Polizisten waren wahnsinnig nervös. "Geht's weiter, geht's weiter", sagten sie immer wieder. Keiner wollte uns sagen, was passiert war. Es gab damals noch kein Handy. Ich bin in die nächste Telefonzelle und habe angerufen, ob die Kinder gut heimgekommen sind. Gott sei Dank, sie waren daheim."

Michael Lerchenberg, Schauspieler

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(Foto: oh)

"Ich bin damals am Abend mit dem Zug vom Münchner Hauptbahnhof nach Göttingen gefahren. Seinerzeit war ich im Zivilschutz beim Technischen Hilfswerk, und weil ich noch in Göttingen gemeldet war, musste ich dorthin zu einer zweitägigen Übung. Ich saß also im Zug, und plötzlich kommen völlig aufgelöste Menschen in das Abteil, die Augenzeugen des Attentats waren beziehungsweise des unmittelbaren Geschehens danach. Diese Leute standen unter Schock. Sie waren vollkommen paralysiert und emotional auf- gewühlt. Die redeten von einem Attentat, dass da eine Bombe hochgegangen sei und dass es Tote gegeben habe und viele Verletzte. Ich war fassungslos. Natürlich dachte man erst einmal an die RAF, obwohl diese Art des Attentats ja eigentlich nicht in das Muster der Roten Armee Fraktion reingepasst hat. Insofern war ich dann auch wieder skeptisch. Ich habe dann eher noch gedacht, das war ein Geisteskranker. Zu dieser Stunde wusste man ja noch nichts."

Werner Schmidt, damals Nachrichtenredakteur der Süddeutschen Zeitung

"Es mag so gegen 22.40 Uhr gewesen sein, als das alte Bakelit-Telefon noch einmal klingelte. Eigentlich waren sonst freitags um diese Zeit wegen der deutlich früheren Andruckzeiten der Wochenendausgabe die zwei Redakteure im Spätdienst der Nachrichtenredaktion schon weg. Sollte man noch einmal rangehen? Meist waren zur späteren Stunde ohnehin nur noch kreuzfidele Kneipenbesucher dran, die für ihre Wette am Stammtisch vom vermeintlich allwissenden Zeitungsmenschen hören wollten, wann und wo der Boxer Max Schmeling gegen den "braunen Bomber" Joe Louis gekämpft hatte. Ich hob, obgleich schon im Mantel, noch einmal ab. An der Strippe war ein aufmerksamer Metteur aus der Zeitungssetzerei - diesen ehrenwerten Beruf gab es im vorigen Jahrhundert noch -, der knapp mitteilte, die Kollegen der Abendzeitung seien ungewöhnlich hektisch, es müsse etwas passiert sein und zwar auf dem Oktoberfest. Eigentlich ein Fall für das Lokale, doch dort war die Nachtdienstkollegin Rosel Termolen schon entschwunden. Also rief ich die Zentrale der Polizei an. "Auf'm Oktoberfest sois brenna." Mehr wusste der Beamte vom Dienst nicht zu sagen. Das ließ Schlimmes befürchten. Also blieben mein Kollege und ich im Büro. Und während längst unentwegt die Martinshörner durch die Nacht hallten, hieß es in den ersten Blitz-und Eilmeldungen der Nachrichtenagenturen: "Explosion auf dem Oktoberfest". Danach überschlugen sich die Ereignisse. Während wir Nachrichtenredakteure eiligst die Seite 1 umwarfen, eilte der letzte Kollege, der noch im Haus war, Sportchef Ludwig Koppenwallner, als Reporter auf die Wiesn. Es wurde eine sehr lange Nacht: "Bombenanschlag auf dem Oktoberfest" - "Neun Tote und zahlreiche Verletzte", so lauteten die letzten mehrspaltigen Schlagzeilen des Aufmachers. Das Ausmaß der Katastrophe sollte noch viel schlimmer werden."

Dieter Reiter, Münchner Oberbürgermeister

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

"Meine Erinnerung an diesen Abend ist noch sehr deutlich, an die Polizeisirenen. Ich habe damals bei meinen Eltern am Herzog-Ernst-Platz gewohnt, also ganz in der Nähe der Wiesn, und zunächst wussten wir gar nicht, was da passiert ist. Wir haben es dann erst aus dem Fernsehen erfahren. Damals waren in den Medien sehr drastische Bilder zu sehen, ich sehe die abgedeckten Leichen noch vor mir. In dem Jahr bin ich dann nicht mehr aufs Oktoberfest gegangen, das kam mir nicht in den Sinn. Es war einfach zu schrecklich. Damals konnte man sich gar keinen Reim darauf machen, was da eigentlich passiert ist. Über den Täter war ja am Anfang noch nichts bekannt. Dieses Ereignis kann man nicht einfach vergessen, ich denke immer wieder daran und bin auch jedes Jahr auf der Gedenkfeier. Der rechte Hintergrund ist ja unbestritten, das zeigt uns bis heute, was diese Szene anrichten kann."

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© SZ vom 12.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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