Österreich:Schwere Geburten

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In Wien wird die Entstehung des NS-Dokuzentrums genau verfolgt.

Von Cathrin Kahlweit

Im renommierten Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) in Wien gab es kürzlich einen Festakt anlässlich der Jahresversammlung der Stiftung. Die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann sprach über "Erinnerungskultur als politische Bildung". Erinnern, sagte sie, diene der historischen Selbstvergewisserung unter Umständen, die sich stets verändern. 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges "erinnern wir uns an die Befreiung durch die Alliierten, die die Grundlage für eine Neuordnung Europas gelegt" hätten. Gleichzeitig aber stehe die österreichische Erinnerungskultur vor neuen Herausforderungen: dem Aufbau einer selbstkritischen Erinnerung, dem Erinnern in der Migrationsgesellschaft und einer neuen Präsentation der eigenen Geschichte.

Der Festvortrag hatte es in sich, Assmanns Themen rühren an das Selbstverständnis eines Landes, das sich lange in seiner Rolle als "erstes Opfer des Nationalsozialismus" eingerichtet hatte und das erst seit einigen Jahren offensiv mit der Geschichte des "Anschlusses" und der Beteiligung von Österreichern am braunen Terror umgeht. Das DÖW ist bisher eines der wenigen Zentren, in denen Quellen und Forschungsarbeiten zu Widerstand, Verfolgung und Exil, aber auch zu NS-Unrecht gestern und Rechtsradikalismus heute gesammelt werden.

Nach jahrzehntelanger Vorarbeit wurde nun immerhin der Startschuss für ein Haus der Geschichte gegeben, das sich auch mit Österreichs Geschichte im Dritten Reich befassen wird; es soll 2018 eröffnet werden. Und auch die Österreich-Ausstellung in Auschwitz, die 1978 eröffnet wurde und ein eher naiv-geschöntes Geschichtsbild zeigte, wird derzeit überarbeitet. Sie soll 2017 neu präsentiert werden.

Zukunftsmusik also. Umso interessierter schauen die Experten nach Deutschland, was sich da so tut - und wie mühsam die Aufarbeitung auch und vor allem beim Nachbarn bisweilen gerät. Claudia Haas etwa, Kuratorin und Museumsberaterin, hat nicht nur das Jüdische Museum in Wien bei seiner Neuausrichtung begleitet und ein Konzept für das geplante Haus der Geschichte in Wien vorgelegt. Sie hat auch vor einigen Jahren - "das Ganze war ja eine sehr schwere Geburt", sagt sie und lacht - für das NS-Dokumentationszentrum in München ein "Raum- und Funktionsprogramm" erstellt. Insofern war sie am deutschen Projekt beteiligt, saß auch in der einen oder anderen Münchner Kommission - und ist insofern voreingenommen. Eine umfassende Schau findet sie aber in jedem Fall richtig. "In Österreich kann man sich nur an wenigen Orten gut über diese Zeit informieren, es gibt immer wieder mal Sonderausstellungen, aber wenig Umfassendes", sagt Haas.

Historiker beklagen den "inneren Widerstand", sich mit der NS-Zeit zu beschäftigen

Auch der Historiker Oliver Rathkolb, der in Wien federführend das Haus der Geschichte konzipiert, stellt fest, dass es in Österreich keine vergleichbare Ausstellung wie in München gebe, die sich zum Beispiel mit NS-Bauten, mit Stadt-Architektur befasse. "Es gibt ein paar private Initiativen." Ein Forschungsprojekt zum "Adolf-Hitler-Haus" in der Wiener Hirschengasse im Stadtteil Mariahilf etwa untersuchte die Geschichte des "kleinen Braunen Hauses", in dem heute ein Jugendgästehaus der Stadt logiert. Aber die Ausstellung war dann nur einige Wochen lang im Museum des Bezirks zu sehen.

Rathkolb beklagt die "fehlende Entscheidungsfreude" der Politik, den "inneren Widerstand", sich mit der NS-Zeit auseinanderzusetzen, so wie ja auch in München zwischen erster Idee und Entscheidung viel Zeit vergangen sei. "Da mangelt es oft, hier wie da, an Mut. Es gibt gute Gruppen, gute Ideen, dann wird konzipiert und konzipiert - und doch fehlt der letzte Anstoß." Den habe es nun in München gegeben - und mittlerweile auch für das Haus der Geschichte in Wien, das in der Hofburg entstehen soll. "Dort wird es natürlich auch eine direkte Auseinandersetzung mit den Nazis geben. Wir können ja nicht ein kritisches Museum planen und dann so tun, als ob das nicht Teil unserer Geschichte gewesen wäre."

© SZ vom 29.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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