Nahe dem Arbeitsamt:Angriff in der Kapuzinerstraße: Mann ist in der Salafisten-Szene stark verankert

Lesezeit: 3 min

Der 26-Jährige Angreifer ist derzeit in einer Psychiatrie untergebracht. (Foto: Stephan Rumpf)
  • Der 26-Jährige, der vergangene Woche Passanten und Polizisten an der Kapuzinerstraße mit einer Schere bedroht hatte, hat engere Kontakte in die Salafisten-Szene, als bislang bekannt.
  • Dennoch hatte die Tat aus Sicht der Polizei keinen religiösen Hintergrund.
  • Nach Einschätzung des Verfassungsschutzes sind junge Menschen mit psychischen Problemen die Hauptzielgruppe islamistischer Internetpropaganda.

Von Martin Bernstein

Der "Scherenstecher" von der Kapuzinerstraße hatte weit intensivere Kontakte in die Salafisten-Szene, als von Polizei und Staatsanwaltschaft ursprünglich eingeräumt. Der Fall zeigt, wie radikale Salafisten versuchen, junge Menschen mit psychischen Problemen für ihre Zwecke zu rekrutieren. In die Ermittlungen der Kriminalpolizei zu dem Fall ist deshalb mittlerweile der für politische Kriminalität zuständige Staatsschutz eingebunden.

Das Polizeipräsidium hat inzwischen bestätigt, dass der 26-jährige, in München geborene Italiener in einem Youtube-Video zu sehen ist. Das Video wurde Anfang Februar vom salafistischen Netzwerk "Die wahre Religion" des Predigers Ibrahim Abou Nagie veröffentlicht und zeigt diesen mit dem jungen Mann und anderen Personen beim Verteilen von Koranen an der Theatinerstraße.

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Entgegen ersten Angaben wurde der 26-Jährige, der Menschen nahe dem Arbeitsamt mit einer Schere bedroht hat, doch lebensgefährlich verletzt. Er soll psychisch krank sein.

Von Martin Bernstein

"Ich bin spazieren gewesen", berichtet in dem Propagandavideo ein junger bärtiger Mann, "und dann habe ich gesagt: Ich bin Muslim." In einem Krankenhaus, so erzählt er weiter, habe er dann erstmals das muslimische Glaubensbekenntnis gesprochen. Der Interviewer will wissen, wie der "italienische Bruder" - es handelt sich um den 26-Jährigen, der sich nun Zakaria nennt - zum Islam gekommen sei. Dieser antwortet, die einzige "Da'wa" (Missionierung), die er bekommen habe, habe gelautet: "Entweder du nimmst den Islam an, oder du kommst in die Hölle." Es ist der gleiche Satz, den Abou Nagie, der Gründer der "Lies!"-Bewegung, kurz darauf in dem Video mehrfach betont. Die Angst vor der Hölle, darin sind die beiden sich im anschließenden Gespräch einig, bringe die Menschen zum Islam.

Für die Münchner Polizei gibt es trotz des Videos nach wie vor keine Hinweise auf ein religiös motiviertes Handeln des Tatverdächtigen, als dieser am Donnerstag vergangener Woche an der Kapuzinerstraße mit einer Haushaltsschere mehrere Passanten und Polizisten angriff und bedrohte. Das Video ändere "nach aktuellem Ermittlungsstand nichts an dieser Einschätzung". In einer Pressekonferenz vor einer Woche hatten Polizei und Staatsanwaltschaft lediglich bestätigt, dass der Tatverdächtige selbst erklärt habe, vor einem Jahr zum Islam konvertiert zu sein. Das habe der Mann im Frühjahr bei einer Personenkontrolle gesagt.

Auffallend ist, dass der Tatverdächtige nach Auskunft der Polizei in der Vergangenheit mehrmals kontrolliert wurde. Bei einer dieser Kontrollen am 15. Mai, also nur vier Tage vor der Scherenattacke an der Kapuzinerstraße, wurde er in Garmisch-Partenkirchen "zusammen mit bekannten Salafisten angetroffen". Auf Nachfrage bestätigt ein Sprecher des Polizeipräsidiums München: "Die weiteren Ermittlungen zur Einbindung in die salafistische Szene dauern an."

Trotzdem sieht die Staatsanwaltschaft den Mann in der Psychiatrie besser aufgehoben als in der Untersuchungshaft. Denkbar ist, dass er so dem weiteren salafistischen Einfluss entzogen werden soll. Im Internet jedenfalls gibt es nach einem Bericht des Bayerischen Rundfunks bereits Solidarisierungen aus der Szene mit dem Tatverdächtigen und die Ankündigung, ihn besuchen zu wollen. Der 26-Jährige leidet seit längerer Zeit an einer psychischen Erkrankung, zuletzt lebte er in einer betreuten Wohngemeinschaft im Westend. In der Vergangenheit hatte er zudem Drogenprobleme.

Die Hauptzielgruppe der islamistischen Internetpropaganda

Junge Menschen wie er gelten laut bayerischem Verfassungsschutzbericht als Hauptzielgruppe islamistischer Internetpropaganda - "insbesondere solche junge Menschen, die in einem instabilen sozialen Umfeld leben und auf der Suche nach Orientierung, Halt und Anerkennung sind". Ein Experte, der für das beim Landeskriminalamt angesiedelte Münchner Kompetenzzentrum für Deradikalisierung arbeitet, sagte im April über seine Arbeit mit jungen Islamisten: In allen Fällen habe es im Hintergrund eine schwere psychische oder soziale Störung gegeben.

Auch bei dem in der vergangenen Woche verurteilten 27-jährigen mutmaßlichen Islamisten Samir A. aus Neuperlach war 2012 eine Depression diagnostiziert worden. Er wurde vom Landgericht München I zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt, weil er über die Türkei nach Syrien reisen wollte, um sich dort einer Organisation im bewaffneten Kampf gegen das Assad-Regime anzuschließen.

Insgesamt 19 Personen, die der Münchner salafistischen Szene zugeordnet werden, sind laut Polizeipräsident Hubertus Andrä im vergangenen Jahr in Richtung Syrien oder Irak zum bewaffneten Kampf ausgereist, haben auszureisen versucht oder sind wieder zurückgekehrt. Vier Rückkehrer sind in Haft, acht Personen sind noch im Ausland, vier vermutlich tot, drei wohnen wieder in München. Andrä: "Die Rückkehrer genießen unsere besondere Aufmerksamkeit, weil von diesen Personen aufgrund ihres Radikalisierungsprozesses in den Kriegsgebieten ein großes Risiko ausgeht." 21 Personen stuft die Polizei derzeit als "Gefährder" ein.

Salafisten lehnen weltliche Gesetze und die Werte der westlichen Gesellschaft als unislamisch ab und werden deshalb vom Verfassungsschutz beobachtet. Seit Ende 2012 werden salafistische Infostände regelmäßig in Verbindung mit dem bundesweiten Koranverteilungsprojekt "Lies!" organisiert. In München gilt die El-Salam-Moschee in Mittersendling laut Verfassungsschutz als eine der Plattformen für salafistische Vortragsveranstaltungen und salafistischen Islamunterricht. Ende April trat dort der als radikal geltende Berliner Prediger Abulbaraa auf.

© SZ vom 28.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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