Münchner Polizei:"Die Nacht gehört nicht den Verbrechern"

Lesezeit: 4 min

Tatort Tengelmann: Am Hintereingang des Lebensmittelmarktes in Höhenkirchen soll sich der Raubüberfall abgespielt haben. (Foto: Robert Haas)

Zwölf Stunden dauert die Schicht des Kriminaldauerdienstes, der bei Raubüberfällen, Einbrüchen oder Sexualdelikten ausrückt. Die Polizisten können der Nachtarbeit durchaus Positives abgewinnen.

Von Susi Wimmer

Der dunkle Kombi rauscht fast lautlos durch die Nacht. Rosenheimer Straße stadtauswärts, dann auf die Autobahn. Die Straßen sind frei um diese Uhrzeit, und die beiden Ermittler sind etwas wortkarg. "Raub auf Tengelmann in Höhenkirchen, ein Täter, maskiert, Angestellte mit Messer bedroht und gefesselt, mehrere Tausend Euro erbeutet, die Fahndung läuft", rattert Kriminaloberkommissar Benedikt Franz herunter. Kollege Josef Forchhammer steuert den hinteren Parkplatz des Marktes an, Blaulichter zucken durch die Dunkelheit und werfen ein surreales Licht auf den Tatort. Hier soll vor wenigen Minuten der bewaffnete Raubüberfall stattgefunden haben.

Wenn es dunkel wird in München, dann gehört die Nacht den Fahndern des Kriminaldauerdienstes (KDD). Sie übernehmen, bis auf Tötungsdelikte, alle Kriminalfälle, die die Stadt zu bieten hat. Überfälle, Raub, Einbrüche, Sexualdelikte, "die komplette Kripo-Arbeit", sagt KDD-Chef Peter Reichl. 94 Leute sind bei ihm im Schichtdienst beschäftigt, "wir sind das größte Kommissariat in ganz Bayern". Tagsüber fahren die Mitarbeiter zu Einbrüchen und greifen bei gefährlichen Körperverletzungsdelikten ein, die eventuell noch zu einem versuchten Tötungsdelikt hochgestuft werden könnten. Doch wenn die Nacht hereinbricht, "dann wird es spannend", sagt der Chef.

"Ich bin müde. Ich will nur noch in mein Bett." Für eines der Opfer des Raubüberfalls ist die Nacht eine Tortur. Es ist kurz vor ein Uhr, als Benedikt Franz die Vernehmung des Jugendlichen beendet. Der 17-Jährige ist Azubi bei Tengelmann, hat erst vor drei Monaten seine Ausbildung begonnen. Immer und immer wieder muss er dem Kriminalbeamten den Tathergang schildern, detailliert beschreiben, wie ihn der Täter zu Boden gerungen und mit Kabelbindern gefesselt hat. Wie er den Kollegen bedroht und gezwungen hat, den Tresor zu öffnen. Und wie es der Maskierte geschafft hat, die beiden Angestellten im Keller der Damenumkleide mehr schlecht als recht zu fixieren und wie sie sich gleich darauf selbst befreien konnten. Eigentlich waren die beiden schon auf dem Weg zur S-Bahn, als dem Kollegen aufgefallen war, dass er das Festnetz-Telefon der Filiale versehentlich mitgenommen hatte. Als sie gegen 20.30 Uhr das Telefon zurückbrachten, sei plötzlich der Täter da gestanden.

Manche Delikte werden nur nachts verübt

"Ob es hell oder dunkel ist, das ist egal", sagt KDD-Chef Reichl. München sei sicher, "da kann man sich auch in der Nacht völlig unbehelligt bewegen. Die Nacht gehört nicht den Verbrechern." Tatsächlich gibt es bestimmte Delikte, die von der Tageszeit abhängig sind. Ladendiebe sind natürlich meist tagsüber unterwegs, wenn die Geschäfte geöffnet haben. Und auch der Wohnungseinbrecher schlägt öfter zu, wenn es draußen noch hell ist. Als lichtscheues Gesindel könnte man hingegen Schläger und Straßenräuber bezeichnen. Tötungs- und Sexualdelikte ließen sich hingegen nicht auf eine bestimmte Zeit festlegen, sagt Polizeisprecher Werner Kraus und fügt noch hinzu, dass die Nacht übrigens auch in der Strafprozessordnung geregelt ist: Laut Paragraf 104 ist es vom 1. April bis 30. September zwischen 21 und vier Uhr Nacht, vom 1. Oktober bis 31. März zwischen 21 und sechs Uhr. Die Definition spiele vor allem bei der Durchsuchung von Räumen zur Nachtzeit eine Rolle.

Die KDD-Disponenten schicken ihre Ermittler. (Foto: Robert Haas)

Die Nachtarbeiter des Kriminaldauerdienstes jedenfalls lieben ihre Zwölf-Stunden-Schicht, den daraus resultierenden Freizeitausgleich - und das Ausrücken in der Dunkelheit. "Am schönsten ist die Stadt um vier Uhr früh", sagt Kriminalhauptkommissar Anton Geiß. Wenn das Tal wie leergefegt ist und die ersten Straßenkehrmaschinen dem anbrechenden Tag entgegenfahren. Geiß sitzt im sogenannten Aquarium des KDD, der kleinen Einsatzzentrale, die durch Glasscheiben aus allen Richtungen einsehbar ist. Hier disponiert er die Einsätze seiner Kollegen, schickt sie hinaus in die Dunkelheit.

Mit Klebestreifen auf Spurensuche

Wie in dieser Nacht nach Höhenkirchen. "Na prima", stöhnt Tobias Böhner von der Spurensicherung, dann greift er zu. Der Arm geht tief in die stinkende Biomülltonne, in der gut ein Dutzend Kabelbinder liegen. Der Täter muss sie auf der Flucht vom Hinterhausgang des Marktes weggeworfen haben. Böhner mag die Ruhe der Nacht, weniger Verkehr, weniger Menschen auf den Straßen. Der Mann von der "Spusi" untersucht den Tresor auf Fingerabdrücke, pinselt die Hartgeld-Rollen ab, die der Täter zurückgelassen hat. Dann widmet er sich den Opfern. Den 17-Jährigen soll der Täter von hinten gepackt und zu Boden gerungen haben. Also Körperkontakt. Böhner versucht mit Klebestreifen mögliche DNA-Spuren auf der Jacke des Azubi sicherzustellen. Dann stellen Forchheimer und die beiden Opfer die Tat Schritt für Schritt nach, Tobias Böhner fotografiert. Vier Stunden dauert die Beweissicherung, die Befragungen, Vernehmungen. Die Ermittler sprechen die Sachverhalte in ihre Diktiergeräte. Später werden Angestellte die Protokolle tippen, die Fahnder sollen raus zum Ermitteln und nicht ewig mit Büroarbeit beschäftigt sein.

Die Münchner Polizei
:Vom Schandi zum SEK

Aktive und ehemalige Beamte haben eine Chronik der Polizei geschrieben - auch die dunklen Kapitel fehlen nicht.

Von Martin Bernstein

Zwischen drei und vier Uhr, erzählt Benedikt Franz, da kann es zäh werden, wenn gerade nichts los ist. Der tote Punkt. Franz ist Vater einer kleinen Tochter, da ist es mit dem Schlafen ohnehin schwierig. "Aber ich versuche halt, vor der Nachtschicht ein bisschen vorzuschlafen." Diesmal war es eine Stunde. Schichtleiter Ulrich Metzger hält von derlei Aktionen nichts. Fünf Stunden Schlaf, egal ob Tag oder Nacht, reichen ihm aus. Er liebt die Nacht ebenso wie seine Kollegin, Kriminalhauptkommissarin Jasmin Schiffner. "Nachts durch den Englischen Garten zu fahren, das hat schon was", sagt sie. Und ihr Streifenpartner Roland Lohrer findet es generell reizvoll zu arbeiten, wenn andere Menschen schlafen.

An Schlaf ist aber für die KDD-Leute noch nicht zu denken. Die Schicht geht bis 5.30 Uhr. Es warten zwei ungeklärte Todesfälle. Als es gegen zwei Uhr mit Franz und Forchhammer im beheizten Auto zurück in die Ettstraße geht, wird ein Nachteil der stundenlangen, späten Arbeit klar: In der Nacht kann es ganz schön kalt werden.

Als Josef Forchhammer und sein Kollege Benedikt Franz wieder in die Ettstraße einrücken, ist es zwei Uhr morgens. Beide arbeiten gerne nachts. (Foto: Florian Peljak)
© SZ vom 28.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: