Münchner Opernfestspiele:Feind des Weihrauchs

Lesezeit: 5 min

Tadelloser Anzug, gute Laune und kein kleines Ego: Seit zwei Jahren ist Nikolaus Bachler Intendant der Bayerischen Staatsoper.

Reinhard J. Brembeck

Man muss erlebt haben, wie Nikolaus Bachler durch die Bayerische Staatsoper stürmt. Im tadellosen dunklen Anzug, eine schwarze Brille über den vor Theatermacherlust glänzenden Augen, ansonsten ganz nach vorn gerichtete Energie - und hinter ihm eine Entourage, die von diesem Wirbelwind mitgerissen wird.

Nikolaus Bachlers neuer Coup: Die temporäre Spielstätte Pavillon 21 hinter der Oper. (Foto: ag.ddp)

Gute Laune ist Markenzeichen des Multitalents: Erst Schauspieler, dann Theaterdirektor in Berlin, Festivalleiter in Paris, und, in Wien, Festwochenchef, Volksopernintendant, Burgtheatermeister - seit zwei Jahren ist er nun Bayerischer Staatsopernintendant. Wenn München leuchtet, dann strahlt Bachler: "Ich bin sehr geübt im Verbergen meiner schlechten Laune, weil ich schlechte Laune so unsexy finde."

Bachler hat die Verwaltung aus dem Opernhaus in das neue Probengebäude am Marstallplatz verlegt, er hat offene Türen angeordnet, denn er will Offenheit, Durchlässigkeit, Transparenz. Nicht gerade Qualitäten, die dem traditionell hierarchisch strukturierten Staatsopernbetrieb anhaften.

Von Bachlers Zimmer im fünften Stock hat man einen beeindruckenden Blick auf den frisch errichteten Pavillon 21, den das Architektenkollektiv Coop Himmelb(l)au auf den Marstallplatz gestellt hat, als Spielstätte fürs Beiprogramm der Festspiele - ein beeindruckend riesiges Stachelding, das aussieht, als wolle es jeden Moment loskriechen, um die Staatsopernfestung zu schleifen. Ein gepanzert starkes Selbstbewusstsein tut sich da kund, eine kaum auf Anlockung erpichte Außendarstellung. Transparenz und Offenheit strahlt es nicht aus.

Doch das ist in einer Opernhochburg wie München vielleicht auch gar nicht so wichtig. Mögen andere Städte und Theater auch Sorgen um den Fortbestand ihres Stammpublikums haben, so gibt es in dem als Schickimicki-Hauptstadt der Adabeis verschrienen München immer noch genug Leute, die einzig und allein deshalb in die Oper gehen, weil sie Opern erleben wollen.

Was Bachler nach wie vor verblüfft: "Ich bin in München lieber als in den meisten anderen Städten. Denn ich habe bisher keine kulturelle Situation erlebt, die so leicht, offen und direkt ist wie hier. Das Opernpublikum hier hat eine große Geradlinigkeit - auch im Widerspruch, auch in der Ablehnung. Ich habe hier extrem das Gefühl, es geht um die Sache - aber vielleicht ist das nur die Verseuchung durch Wien, wo es das andere Extrem ist."

Vielleicht liegt in der Fixierung "auf die Sache" der Grund dafür, dass ein (Münchner) Staatsopernintendant umso besser ist, je weniger er von sich selbst redet und reden macht. In diesem Punkt hat Bachler keine Fehler gemacht. So gern und eloquent er auch in seinem österreichischen Singsang daherredet, so prägnant er formuliert, so pointiert intellektuell bis derb er seine Ansichten klarstellt, so wenig bauscht er dabei sein gewiss nicht kleines Ego auf.

Impressionen von dem Bau
:Pavillon auf dem Marstallplatz

Zu kurzlebig, um die Münchner zu provozieren: Der zackige Pavillon von Coop Himmelb(l)au für die Opernfestspiele ist eingeweiht worden.

Bachlers Thema ist immer die Oper, ist die Sorge um ihren Fortbestand, ist die Lust, Oper in der Gesellschaft zu verankern. Er ist einer, der Oper vor den großen Entwicklungen der Moderne begreift, vor dem Vormarsch des Materialismus und dem Rückzug des Geistes, vor dem Verlust des Ganzheitlichen und dem Zunehmen des Säkularen.

Dagegen stellt sich für Bachler die Oper mit ihrer Welthaltigkeit, die durch die Partitur zumindest noch partiell etwas Ganzheitliches behauptet, mag das Genre ansonsten auch noch so Flickwerk sein. Deshalb eigne sich Oper derzeit viel besser als Droge für die Menschheit als das Schauspiel, das den Zersetzungsprozessen des Weltlaufs sehr viel weniger entgegensetzen kann und will.

Zeugung ohne Geburt

Bachler selbst, der weder singt noch inszeniert, noch dirigiert, weist sich in diesem seinen Welttheater die Rolle des Moderators zu: "Eine der großen Schwierigkeiten in meinem Beruf ist, dass die Katharsis fehlt. Man bringt die Stoffe und die Künstler zusammen, und es entsteht eine Chemie, die man überhaupt nicht mehr in der Hand hat. Man ist eigentlich immer am Zeugen, aber es kommt nie zur Geburt. Das ist nicht leicht. Ich fühle mich wahnsinnig verbunden mit einem Fußballtrainer. Weil der auf der Bank sitzt, wahnsinnig wird, sich zerfleischt, und du merkst die Hilflosigkeit: Er kann nichts tun. Das ist eine sehr verwandte Situation."

Die Geburten, die Bachler in seinen ersten zwei Jahren eingeleitet hat, zeichnen sich durch zweierlei aus: Einmal versucht der Intendant zunehmend große Sängerstars nach München zu locken, zum Zweiten - da schlägt Bachlers Vergangenheit als Sprechtheatermanager durch - verkuppelt er diese Stars mit Avantgarderegisseuren. Ein Konzept, das an anderen großen Häusern - Met, Wien, Covent Garden, Scala - kaum durchsetzbar wäre.

Weil es Bachler immer "um die Sache" geht, haben Ausstatter bei ihm keine Chance. Denn die Welthaltigkeit der Oper muss nicht nur hörbar, sondern auch sichtbar werden: "Theater ist die einzige Kunst, die ohne Zuschauer nicht existiert. Und was am Theater nicht gesehen wird, existiert nicht. Im Unterschied zur bildenden Kunst, zur Literatur." Also ist Bachler immer auf der Suche nach Sichtbarmachern, die die Relevanz eines Stücks nicht im Ungefähren ihrer musikalischen Schönheit belassen, sondern ans Hier und Jetzt anbinden. Denn sie allein garantieren das Überleben der Oper.

Welthaltigkeit und Fülle

Was auch bedeutet, dass es Bachler nicht nur um Qualität geht, sondern primär um Aufregung: Nur die Produktion, die Emotionen welcher Art auch immer auslöst, dient dem Genre. Was langweilt, was einlullt, was nach Museum riecht, nach Weihrauch oder Begräbnisstätte, das hat im Nationaltheater nichts zu suchen. Die Ergebnisse der zwei Bachler-Jahre sind dementsprechend gemischt, aber sie werden in der Regel kontrovers diskutiert. Eine einheitliche Linie, eine typische Ästhetik aber lässt sich darüber hinaus kaum ausmachen. Denn Bachler setzt vor allem auf Fülle: Er will vielen etwas bringen.

Nach Kusejs deftiger "Macbeth"Inszenierung zum Auftakt vor zwei Jahren erwiesen sich überraschenderweise Poulencs "Karmeliterinnen" als die bisher stimmigste Bachler-Produktion. Erstaunlich auch deshalb, weil es sich um ein zutiefst katholisches Stück handelt. Aber "katholisch" war das Schlagwort, das Bachler sofort zu München einfiel, als er seine Berufung an die Staatsoper akzeptiert hatte. So gab es Palestrina, wird es den "Saint François" geben. Zudem befanden sich bei den "Karmeliterinnen" der eher auf Verdi, Strauss und Puccini versessene Bachler erstmals auf gleicher Wellenlänge mit seinem auf Distanz haltenden Musikchef Kent Nagano - einem eher intellektuellen Musiker, der großen Leidenschaftsausbrüchen misstraut und lieber fein ziseliert, statt mitreißend kräftig auftrumpft.

Nagano & Bachler: Das ist keine einfache Konstellation, sie bereichert aber Bachlers Edelgemischtwarenladen um die ihm fremden Aspekte des Meditativen, Versonnenen, auch Esoterischen. Im Herbst wird es spannend, da wollen die beiden mit dem Kunstminister über eine Vertragsverlängerung ab 2013 reden. Dass Bachler bleibt, scheint ausgemacht. Und Nagano?

Bachler, und da fügt er sich nahtlos in die Münchner Intendantenahnenreihe Everding-Sawallisch-Jonas, bietet neueste Musik nur selten und dann eher sanft. Barockes hat er bisher gemieden. Er verspricht zwar für die übernächste Spielzeit Rameau mit Dirigent Ivor Bolton, doch das wird nicht das Staatsorchester, sondern ein Spezialensemble spielen. Die durch Vorgängerintendant Peter Jonas geweckte Barockgier wird Bachler also nicht befriedigen: "Ich persönlich sitze halt lieber bei 'Wozzeck' oder bei 'Tosca' als bei 'Rinaldo'". Eine Verknappung ist das durchaus, und ob sie sich durch berühmte Sänger und ungesehene Regieansätze kompensieren lässt, ist längst noch nicht heraus.

2012 kommt dann noch der "Ring", an dem Peter Jonas gescheitert war. Bachler nennt den "Ring" zwar "Joint fürs bürgerliche Publikum", sieht ihn nicht als Höhepunkt seiner Karriere.

Aber spätestens dann wird über den in seinem ästhetischen Weltwollen noch recht unfassbaren Bachler das Urteil gefallen sein, wird man wissen, ob er nur ein eleganter Marketender des Opern(un)wesens ist oder doch mehr - vielleicht gar ein genialer Erzeuger.

© SZ vom 23.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: