Residenzklinik in München:Der Albtraum von der Schönheit

Lesezeit: 7 min

Die Adresse ist erstklassig, der Name verspricht viel: In der Münchner Residenzklinik wurden plastische Operationen zu Dumpingpreisen angeboten - doch abgeliefert wurde oft nur Pfusch.

Silke Lode

Die Patienten werden als "Prinzen" und "Schneewittchen" umworben, versprochen wird Schönheit zu Flatrate-Preisen. Doch von der heilen Märchenwelt in der Münchner Residenzklinik ist nichts übrig geblieben. Zuerst kam das Gesundheitsamt, das Hygienemängel entdeckte. Nach Beschwerden von Patienten und der Entdeckung weiterer Mängel hat das Gesundheitsamt Strafanzeige erstattet.

Die Patienten werden umworben, doch die Münchner Residenzklinik fiel bereits 2005 dem Gesundheitsamt auf. (Foto: Robert Haas)

Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Verstößen gegen das Medizinprodukte- und Infektionsschutzgesetz sowie wegen des Verdachts auf Körperverletzung. Und die Prinzen und Schneewittchen merken, dass sie mit ihren Komplikationen nach einer Operation kein Einzelfall sind. Allein bei einem Anwalt haben sich bereits 13 Patientinnen gemeldet.

Vom Märchen blieb nur die illustre Anschrift am Münchner Odeonsplatz, gleich neben dem Schumann's. Auf der Messingtafel an der Eingangstür sind deutliche Kratzspuren sichtbar, bis vor kurzem standen hier noch drei Namen, jetzt steht dort nur noch einer: Jochen Kirschner - der Geschäftsführer der Schönheitsklinik. Die wirbt im Internet mit dem Bild von zwei schönen Nackten, die sich in einem Meer aus roten Äpfeln räkeln, er bietet ihr einen Apfel zum Biss an. Und wie in der biblischen Geschichte von Adam, Eva und dem Sündenfall ist auch bei der Residenzklinik eine Schlange im Spiel.

Die als GmbH organisierte Klinik gehört laut Handelsregister einem Gesellschafter, der Aktiengesellschaft "Die Schlange". Eigentümer und einziger Aktionär ist Geschäftsführer Jochen Kirschner, der auch unter dem Vornamen Joachim auftaucht.

Für einen Besuch hat Kirschner gerade keine Zeit, aber am Telefon ist er bereit, ein bisschen über die Residenzklinik zu reden.

Der Chefarzt wurde suspendiert - doch der weiß davon nichts.

"Es gibt Patienten, die sich über eine Schlechtbehandlung durch Doktor Marek Kiene beschweren, und es gibt das Gesundheitsamt, das sich über eine teilweise Nichtumsetzung der Vorgaben vom Februar beklagt", sagt er. Marek Kiene, Mitte 30, ist plastischer Chirurg und nach eigenen Angaben seit Juni 2009 bei der Residenzklinik angestellt, am 16. Dezember wurde er ihr ärztlicher Leiter.

Seit dem 12. März war Kiene außerdem Hygienebeauftragter - wenige Tage zuvor hatte das Gesundheitsamt nach einer Kontrolle einen umfangreichen Auflagenkatalog hinterlassen. Kirschner hat Kiene "seiner Ämter enthoben", wie er sich ausdrückt. Kiene sagt, davon wisse er nichts. "Das kann er der Presse entnehmen", entgegnet Kirschner.

Hat er ihm auch einen Kündigungsbrief geschickt? "Ob der schon draußen ist, weiß ich nicht, wenn nicht, geht der jetzt raus", sagt Kirschner. Bei all den Vorwürfen gegen die Residenzklinik ist das nur eine Randepisode. Aber sie zeigt, wie es hinter den Kulissen zugeht.

Wenn Kirschner über die Patientenbeschwerden und Hygienemängel redet, spricht er lieber von zwei "Baustellen" als von Problemen. "Einen Zusammenhang gibt es nicht. Das eine ist Hygiene, das andere medizinische Behandlung." Ob das stimmt, ist die Schlüsselfrage, die jetzt die Staatsanwälte klären müssen.

Fakt ist, dass die Klinik bereits 2005 und im vergangenen Februar dem Gesundheitsamt aufgefallen war, die Kontrollen liefen damals von der Öffentlichkeit unbemerkt ab. Anfang August erfuhr die Süddeutsche Zeitung, dass nach einer weiteren Inspektion Ende Juli das Gesundheitsamt Strafanzeige erstattet hat. Nach der Kontrolle im Februar musste die Klinik schriftlich nachweisen, welche der Auflagen sie umgesetzt hat. Noch vor der Nachkontrolle erreichten das Gesundheitsamt neue Beschwerden.

Nach dem Fieber kamen die Black-outs

Bei ihrem Besuch im Juli stellten die Inspektoren dann nicht nur fest, dass mehrere Auflagen nicht erfüllt waren. Die Mängel waren jetzt so gravierend, dass der Klinik zahlreiche Behandlungen verboten wurden: Operationen mit Vollnarkose zum Beispiel oder die Aufbereitung von Sterilgut. Außerdem hat das Amt eine Grundreinigung samt Desinfektion des gesamten OP-Trakts angeordnet. Die Kontrolleure fanden Geräte ohne Validierung, ungeeignete Pflegemittel, das Personal hatte nicht die nötigen Qualifikationen, und die Patientendokumentation war mangelhaft. Kirschner sieht die Sache als "normalen Vorgang", es komme eben vor, dass mal was nicht in Ordnung sei. "Das ist, wie wenn man mit seinem Auto zum TÜV geht - mal kommt man durch, mal nicht."

Dann zitiert er aus dem Bericht des Gesundheitsamts: "Da steht drin, dass wir die Fallzahlen von 2009 nicht darlegen konnten. Das reichen wir halt nach. Oder die wollten stichprobenartig zehn Patientenakten haben - die eine oder andere war nicht greifbar, die war verlegt oder Ähnliches."

Für Therese Merk hat ihre Operation in der Residenzklinik nichts mit einem normalen Vorgang zu tun. Therese wäre nach dem Eingriff fast gestorben. Die junge Frau aus dem Münchner Umland heißt eigentlich anders, aber sie will nicht, dass jeder von ihrer Brustvergrößerung erfährt. Doch sie will, dass andere Frauen ihre Geschichte hören, denn sie hat selbst lange geglaubt, ein Einzelfall zu sein. Dann hat Therese in der Zeitung von den Hygienemängeln gelesen und in Internetforen andere Frauen getroffen, die von Komplikationen nach Operationen in der Residenzklinik berichten.

Dem Berufsverband sind die Hände gebunden

Deshalb sitzt sie jetzt in einem Café und erzählt. Therese ist eine ausgesprochen hübsche Frau, verheiratet, ihr erstes Kind wird im Herbst zwei Jahre alt. Therese wünschte sich einen größeren Busen, und nach langem Stöbern im Internet war sie schließlich auf das vermeintlich passende Angebot gestoßen. Während die meisten Ärzte für eine Brust-OP mindestens 5000 Euro verlangen, bot der Deutsche Ärzte Service (DÄS) das Ganze für 2999 Euro an.

Der DÄS ist eine Vermittlungsagentur, die seit gut fünf Jahren mit Schönheitsoperationen zu Dumpingpreisen immer wieder Schlagzeilen gemacht hat. Der Berufsverband der plastischen Chirurgen sieht die Vermittler aus Würzburg äußerst kritisch, doch ihm sind die Hände gebunden.

Zunächst hatte der Verband Mitglieder abgemahnt, die mit dem DÄS kooperiert haben. Doch das Bundeskartellamt hat das Vorgehen des Berufsverbands 2006 als "verbotenen Boykottaufruf" gebrandmarkt. Ärzte dürften in ihrer freien Preisfindung nicht behindert werden, soweit die "vermeintlichen Discountangebote" nicht geltendes Recht verletzen, befanden die Kartellwächter.

Nun ist es Ärzten in Deutschland laut Ärztekammer zwar verboten, Provisionen an Vermittler zu bezahlen. Doch der DÄS hat ein anderes Modell gefunden: Die Patienten bezahlen für ein Pauschalpaket den DÄS - und der rechnet mit den Ärzten ab. Die Chefs des DÄS sind angeblich im Urlaub und für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Ein Schönheitschirurg, der früher mit dem Dienst zusammengearbeitet hat, sagt, dass die Vermittler bei jeder OP mehr verdienen als die Ärzte. Weil die Gewinnmargen so klein sind, arbeiten in München nur wenige Ärzte mit dem DÄS zusammen, unter ihnen die Residenzklinik. "Als der Brief vom DÄS kam, habe ich mich gefreut", erzählt Therese. "Residenzklinik am Odeonsplatz - das klingt doch gut!" Und 2000 Euro konnte sie auch noch sparen.

Die Billigangebote müssen nicht unbedingt schlechter sein, aber Werner Mang, ein bekannter Schönheitschirurg, warnt trotzdem: "Mit Dumpingpreisen erweckt man Bedürfnisse, und oft bleibt der Patient auf der Strecke, weil möglicherweise an der Sicherheit gespart wird." Zur Sicherheit gehören für ihn etwa ein Team von Fachärzten, stationäre Überwachungsmöglichkeiten und "absolute hygienische Zertifizierung".

Therese ließ sich Ende November in der Residenzklinik operieren. Kurz vor Weihnachten stand die Nachkontrolle an, und sie erzählte ihrem Arzt, es war Marek Kiene, von starken Schmerzen. "Er sagte, das sei ganz normal." Am 2. Januar, einem Samstag, bekam sie erst Schüttelfrost, dann Fieber. Draußen lag Schnee, Therese vermutete eine Erkältung. Das Wochenende verging, aber das Fieber blieb, und Therese ging zu ihrem Hausarzt.

Als der die Ergebnisse der Blutuntersuchung sah, rief er Thereses Mann an. Seine Frau müsse sofort in die Klinik. "Ab dann bin ich durch die Hölle gegangen", sagt Therese. Ihr Körper kämpfte gegen eine heftige Entzündung, es ging ihr stetig schlechter. Dann kamen die Black-outs. Sie erkannte ihren Mann und ihr Kind nicht mehr. Später hat man ihr erzählt, dass sie wirres Zeug geredet habe. Die Ärzte in einer Klinik bei München entfernten ihr eines der Implantate, doch die Infektion griff um sich.

Thereses Herz funktionierte nicht mehr richtig, Niere und Leber waren aufgebläht, und sie bekam eine Lungenentzündung. Schließlich entschieden sich die Ärzte, sie in ein künstliches Koma zu legen. Sieben Nächte und acht Tage bangten die Ärzte und Angehörigen um ihr Leben. Das zweite Implantat wurde entfernt. "Danach ging es langsam bergauf".

Die Ärzte, die sie gerettet haben, erinnern sich sofort an die Patientin, die fast den ganzen Januar bei ihnen lag. In ihrem Bericht ist von einer Sepsis bei infizierten Brustimplantaten die Rede, von einer Lungen- und einer Herzmuskelentzündung. Der Chefarzt, der sich um Therese gekümmert hat, findet dafür Worte, die auch ein Laie versteht: "Die haben wir von der Schippe geholt."

Welche Dimensionen der Skandal inzwischen angenommen hat, erlebt der Rechtsanwalt Jürgen Klass derzeit jeden Tag. Klass ist Spezialist für Medizinrecht, und bei ihm haben sich bereits 13 ehemalige Patientinnen der Residenzklinik gemeldet, die nach der Behandlung dort mit Komplikationen zu kämpfen hatten. "Zum Teil geht es um erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigungen", sagt Klass. "Man kann das nicht als Hirngespinste oder Einzelfälle abtun."

Es fand sich immer ein Arzt, der einfach weiter operierte

Der Anwalt spricht von mangelhafter Hygiene - und von Pfusch. "Damit meine ich Kunstfehler bei den Operationen", sagt Klass und schildert den Fall einer Mandantin, bei der ein Brustimplantat auf Grund der "unsorgfältigen Arbeitsweise des Arztes" beschädigt worden und ausgelaufen sei. "Der Körper der Mandantin wurde dadurch vergiftet, schlimme Schäden waren die Folge." Der Anwalt sagt über die Residenzklinik: "Im Grunde ist das ein völlig unseriöses Geschäftsgebaren. Die Frauen werden zu Dumpingpreisen wie am Fließband operiert von Ärzten, die dafür kaum ausgebildet sind."

Andere plastische Chirurgen, die ehemalige Patienten der Residenzklinik behandeln, bestätigen, dass dort Behandlungsfehler gemacht wurden. Svenja Giessler zum Beispiel, die eine Praxis in der Innenstadt hat: "Ich habe eine Patientin gesehen, die nach einer Brustvergrößerung und Implantat-Entfernung übermäßig lange und falsch platzierte Narben zurückbehalten hat." Das verwachsene Gewebe deute darauf hin, dass eine starke Entzündung stattgefunden habe.

In der Residenzklinik störte das offenbar niemanden. Ehemalige Mitarbeiter berichten von häufigen Personalwechseln, auch bei den Ärzten. Einer fand sich immer, der weitermachte - auch als das Gesundheitsamt Hygieneprobleme attestierte. Kiene, der ärztliche Leiter und Hygienebeauftragte, wirft Kirschner vor, bei Hygieneverbesserungen die Zusagen nicht erfüllt zu haben. Operiert hat er trotzdem.

Auch Kirschner würde seinen Kopf gerne aus der Schlinge ziehen. Er könne sich doch hinten im Büro nicht um die Hygiene im OP kümmern, sagt er. Dafür hätte er doch einen Hygienebeauftragten ernannt. Als Betreiber der Klinik ist er laut Gesetz trotzdem verantwortlich. Kirschner findet es "schade und ungerecht", dass er jetzt am Pranger steht. Seine schöne Märchenwelt soll weiter bestehen.

Am Freitag sollte erneut das Gesundheitsamt kommen. Wenn alles gut läuft, will Kirschner kommende Woche den normalen Betrieb wieder aufnehmen. Einen Arzt, der weiter operiert, hat er angeblich schon gefunden.

© SZ vom 14.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: