Kent Nagano: Vertragsende:Duett vor dem Finale

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2013 wird wohl Schluss sein: Dirigent Kent Nagano soll nach dem Willen von Bayerns Kunstminister Wolfgang Heubisch offenbar das Münchner Nationaltheater verlassen.

Reinhard J. Brembeck

Kent Naganos Vertrag als Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper soll nicht über 2013 hinaus verlängert werden. So will es offenbar Bayerns Kunstminister Wolfgang Heubisch (FDP) - auch wenn er das in einem SZ-Interview dezidiert bestreitet.

Kent Nagano arbeitet seit 2006 als Generalmusikdirektor an der Bayerischen Staatsoper. Sein Vertrag läuft 2013 aus. (Foto: Getty Images)

Dem Vernehmen nach soll Nagano allerdings bereits einen Anruf des Ministers erhalten haben, in dem dieser ihm von der Nichtverlängerung seines Vertrages benachrichtigt habe. Sollte dies den Tatsachen entsprechen, und Insider stellen diesen Punkt als sicher dar, dann hätte der Minister in einer Nacht- und Nebelaktion einen Coup gelandet - der durchaus sein politisches Überleben tangieren könnte.

Denn Heubisch kann Nagano in künstlerischer Hinsicht wenig vorwerfen. Der Dirigent hat sich in vier Jahren in die Herzen des Publikums und auch des Orchesters hineindirigiert, er hat mit seinem Musizieren eine bisher ungeahnte Leichtigkeit in das Haus gebracht, eine bis dato ungekannte Partnerschaftlichkeit, eine glamourfreie und streng auf Inhalte gerichtete Seriosität. Das hat das Ensemble entscheidende Schritte weitergebracht, hat ihm Einladungen in die Metropolen der Welt eingebracht - eine für ein Opernorchester durchaus ungewohnte Auszeichnung.

Nagano hat sich in den letzten vier Jahren sehr stark auf München konzentriert, er hat mit einer erstaunlichen Leidenschaft die Tradition des Orchesters in den Mittelpunkt seines Klangdenkens gestellt. Wobei er die Tradition aber nicht nur bediente, sondern visionär fortentwickelte, entschlackte, belebte.

Solche handwerklich wie ideell orientierte Seriosität aber hat ihren Preis. Naganos "Sound of Munich" verträgt sich nicht mit der Hemdsärmeligkeit eines Repertoiredirigenten, der jeden Tag ein anderes Stück über die Rampe bringt. Er bedient auch nicht die große Leidenschaftlichkeit, und sein Traditionsverständnis hat wenig mit konservativen Auffassungen dieses Begriffes zu tun. Das haben ihm einige durchaus verübelt, ihn als ,langweilig' abgetan, weil er sein Publikum nie mit Klanglawinen überrollte, mit Seelenbekenntnissen aufreizte. Was aber kein wirklicher Verlust ist, sondern eben nur Ausweis einer völlig anderen Ästhetik, die in München sehr viele Bewunderer fand und findet.

Für das Staatsorchester kommt diese Entwicklung offenbar vollkommen unerwartet. Er sei "total erstaunt", sagt Gerhard Zank, seit 1987 als Cellist im Orchestergraben und seit zwei Jahren Mitglied des Orchestervorstands, "und erstaunt ist noch kein Ausdruck". Die Initiative, einen anderen Dirigenten zu suchen, gehe jedenfalls nicht vom Orchester aus. Entsprechende Gespräche mit Bachler hätten nicht stattgefunden. Der Gretchenfrage, ob das Orchester gerne mit Nagano weiterarbeiten würde, geht er aus dem Weg. Auf die Frage, ob er gerne mit Nagano weiterarbeiten würde oder eine Veränderung wünsche, lautet sein einziger Kommentar: "Dazu kann ich nichts sagen." Und nach der bisherigen Zusammenarbeit mit Nagano befragt, räumt er ein, dass es mal gut, mal weniger gut gelaufen sei.

Wie zufrieden das Orchester dann mit Nagano? "Kein Kommentar." Mehr sagt auch sein Vorstandskollege Florian Ruf nicht. Kein Bekenntnis zu Nagano - das kann man auch Bekenntnis werten. Gegen Nagano. Was wiederum Holger Schinköthe, ebenfalls Vorstand des Orchesters, relativiert mit der Aussage, dass man im Moment sehr gut zusammenarbeite und dies auch so belassen wolle. Auch von anderer Seite, aber auch aus dem Orchester, ist zu hören, dass die Musiker Naganos Stärken und Schwächen und kennen würden, der Umgang miteinander ausgesprochen herzlich sei. Zu deutlicheren Aussagen lassen sich Opernmusiker, zwei Dienstherren, dem Intendanten und dem Dirigenten, verpflichtet, nicht hinreißen.

Wenn Heubisch nun diese unbestreitbar positive Bilanz mit einer brüsken Nichtverlängerung vergilt, dann ist das nicht nur eine Stilfrage. Dann muss das in erster Linie heißen, dass Heubisch eine - zumindest in seinen Augen - bessere Alternative zu Nagano gefunden zu haben meint. Andernfalls wäre diese Entscheidung schlicht sinnwidrig und rational nicht nachvollziehbar. Wie aber sieht diese Alternative aus? Auf wen könnte sie zielen?

Die Fähre zu diesem Wundermann führt über den Münchner Staatsopernintendanten Nikolaus Bachler, dessen Vertrag im Unterschied zu demjenigen Naganos wohl verlängert wird. Bachlers Abneigung gegen Nagano, den er sich nicht als Generalmusikdirektor aussuchen konnte, ist stadtbekannt. Dass Bachler bei den derzeitigen Vertragsverhandlungen Maximalforderungen gestellt haben wird, ist wahrscheinlich. Dazu könnte durchaus die Forderung nach einem anderen Generalmusikdirektor gehören.

Denn Bachler & Nagano haben nur wenig gemeinsam. Das von Bachler geliebte italienisches Repertoire wird von Nagano nicht bedient, die von Nagano geschätzte Avantgarde findet bei Bachler kaum Anklang, genauso wenig die von Nagano betriebene Entschlackung der österreichisch-deutschen Romantik. Man kann sich Bachler gut als einen König Claudius ("Hamlet") vorstellen, der durch die Staatsoper geistert und ständig murmelt: "Ich mag ihn nicht! Ich mag ihn nicht!"

Was aber bleibt, wenn man aus den zwei Bachler-Nagano-Jahren Nagano heraussubstrahiert? Ein Intendant, dessen Repertoiregrenzen recht eng gezogen sind. Kein Barock, Mozart nur spärlich vertreten, eine Vorliebe für die großen Opernschinken und für Belcantostücke, ein Faible fürs Katholische. Dazu die Lust an berühmten Sängernamen und überhaupt an teuren Einkäufen.

So lässt sich Bachler von einem Wiener Architekturbüro einen architektonisch avantgardistischen Edelpavillon auf den Marstallplatz stellen, den er dann aber nicht mit einer eigenen Produktion eröffnet, sondern nur mit einem Fremdeinkauf, mit Christoph Schlingensiefs Afrikastück "Remdoogo".

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Schlingensief, Coop Himmelb(l)au, junge Regiestars, bekannte Sängerhelden: Das verrät viel über Bachlers Kunstdenken. Er kauft gerne auf dem großen Opernweltmarkt Markennamen auf, und wie ein Zauberkünstler schüttet er sie in München zusammen, in der Erwartung einer großen beeindruckenden Show. Die Ergebnisse haben dann zwar nur wenig mit der Stadt, ihren Traditionen und spezifischen Gegebenheiten zu tun, sie glitzern aber und locken, sie provozieren und girren. Bachler, das bedeutet viel elegant gemachte Taschenspielerei, viel Glamour, viel Mode.

Verständlich, dass so einer für die Politik interessant sind. Erst recht für einen Ministerneuling, der sich bisher nicht so recht profilieren konnte. Doch Bachler ohne Nagano ist nun auch nur eine halbe Sache. Denn wenn alles an der Staatsoper nur nach dem Kopf dieses Intendanten ginge, so wäre das Ergebnis schmal und mager. Das zeigt ganz klar ein Blick auf die diesjährigen Opernfestspiele, die sich von dem überquellend lustvollen Programmwahnsinn der letzten Jahre deutlich in Richtung Stromlinie entfernt haben. In dieser Verknappung ästhetischer Ansätze und Lesarten liegt denn auch die größte Gefahr der Monokultur Bachler.

Deshalb kann Bachler allein nicht der Grund dafür sein, weshalb Nagano gehen muss. Bachler muss im Doppelpack auftreten. Die Frage ist nur, wer sein zweiter Mann ist, wer also Nagano beerben soll. Das wird ganz sicher ein Dirigent sein, der sehr viel kräftiger hinlangt wie Bachler. Es muss aber auch jemand sein, der als besonders gehandelt wird, der, ohne verbraucht zu sein, schon genug Reputation sowohl bei der Kritik als auch Publikum gewonnen hat.

Es muss aber auch jemand sein, der Bachlers Vorliebe für provokante Regie teilt, der auch ab 2013 frei ist. Immer wieder hört man in diesem Zusammenhang den Namen Kirill Petrenko, der all diese Voraussetzungen auch wunderbar erfüllt. Petrenko, Jahrgang 1972, war Chef in Meiningen, wo er einen viel beachteten "Ring" dirigierte, er war dann an der Komischen Oper beschäftigt, ist seither als freier Dirigent tätig und soll 2013 den Bayreuther "Ring" dirigieren. So einer - das wäre tatsächlich ein Coup, der die Entscheidung des Ministers tatsächlich zumindest etwas verstehen ließe, wenn sic auch das Drumherum nicht vergessen ließe.

© SZ vom 02.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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