Im Kino: Alias:"Jemand, der ein Anderer ist"

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Ein persönlicher Film mit wichtiger Botschaft: In der Dokumentation "Alias" macht sich der Münchner Regisseur Jens Junker auf die Suche nach seinem Vater - und nach anderen fehlenden Puzzleteilen seines Lebens.

Felicitas Kock

Jens Junker sucht nach Worten. Der junge Mann im Wollpullover sitzt ruhig da und es macht ihm nichts aus, dass die Stille im Raum immer dichter und drückender wird. Er will das Richtige sagen, zu seinem Vater, der vielleicht gar nicht sein Vater ist. Der selbst davon überzeugt ist, nicht sein Vater zu sein. "Warum bist du mit Mama zusammengeblieben?" fragt Junker schließlich. "Aus Pflichtgefühl", antwortet der Mann, der ihm gegenübersitzt, "aus Pflichtgefühl gegenüber dir und deinen Brüdern".

In einem Telefongespräch kündigt Jens Junker seinen Besuch im Heimatort Castrop-Rauxel an. Die Reaktionen der Familie sind verhalten - auch von der Idee mit dem Dokumentarfilm sind sie nicht begeistert. (Foto: N/A)

Das Gespräch ist eine Szene aus dem Film Alias und gleichzeitig eine Episode aus dem Leben von Jens Junker. Der 34-Jährige studiert Spielfilmregie an der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) in München. Alias ist sein bisher erfolgreichstes Werk - eine Dokumentation über die Reise zurück zu den eigenen Wurzeln. Von Freitag an ist es im Filmcasino am Odeonsplatz zu sehen.

"Ich habe mich hineingestürzt und alles an einem Stück durchgezogen", sagt Junker und zündet die Zigarette an, die er sich gerade gedreht hat. Tabak, Filter und Papers liegen stets in der Nähe. "Die Chronologie des Films entspricht der Chronologie des Drehs", erklärt er und bläst weißen Rauch aus dem geöffneten Fenster seines Büros, in dem wir uns zum Gespräch getroffen haben.

Er ist nach Hause gefahren, damals, im Winter 2005. In seiner Heimatstadt Castrop-Rauxel hat er sich mit den beiden Brüdern, den Eltern und den Großeltern getroffen. Er hat Gespräche geführt, in denen viel geschwiegen, viel ausgelassen wurde, die aber auch Einiges ans Licht gebracht haben. Alias zeigt die wichtigsten Ausschnitte aus diesen Gesprächen und die anschließende Reise Junkers in den Libanon, wo er sich auf die Suche nach dem Mann macht, der vielleicht sein Vater sein könnte.

Ein Stück eigene Familiengeschichte als Stoff für eine Dokumentation, die tausende von Menschen sehen werden - warum macht man das? Ist es der Drang zur Selbstdarstellung, eine exhibitionistische Leidenschaft - seht alle her, wer ich bin und was ich gerade mache? "In erster Linie ging es mir darum, die Puzzlestücke meines Lebens zusammenzusetzen", antwortet Junker. "Ich habe lange verdrängt, dass ich da einen Film für die Öffentlichkeit drehe."

Mit 21 hatte er im Streit vom vermeintlichen Vater erfahren, dass er womöglich gar nicht dessen Sohn sei. Ein Schock, obwohl er selbst schon immer etwas geahnt hatte. "Ich wurde, seit ich denken kann, immer wieder gefragt, wo ich herkomme", sagt Junker. Von den Türken habe er Döner geschenkt bekommen und von den Italienern Eis, weil sie den Jungen mit den dunklen Locken für einen Landsmann hielten. Um wirklich über sein Anderssein nachzudenken, brauchte es aber die klare Ansage seines "deutschen Vaters", wie er ihn heute nennt.

Der Name eines Mannes aus dem Libanon

Dem Heimatort im Ruhrgebiet hat Junker mit Anfang 20 den Rücken gekehrt. Er ist nach München gezogen und hat das Studium an der Filmhochschule aufgenommen. "Im Film habe ich mich auf die Reise zu meinen Wurzeln gemacht, mittlerweile bin ich aber hier in München zu Hause", sagt Junker. Man merkt, wie dem 34-Jährigen das Leben in der Isarstadt gefällt. Er gerät ins Schwärmen, wenn er über seine Arbeit - das Drehen von Spiel- und Werbefilmen - spricht oder über das Haus in der Maxvorstadt, das er mit Freunden gemietet hat, um dort gemeinsam zu arbeiten.

Auch wenn er viel in Castrop Rauxel zurückgelassen hat, ein Stück Papier hat Junker aus dem Ruhrgebiet mit nach München genommen. Ein Name steht darauf - der Name des Mannes, der sein richtiger Vater sein könnte. Er stammt aus dem Libanon. Das Stück Papier soll eine Möglichkeit sein, eine Hintertür, um der eigenen Familie und dem bekannten Leben zu entwischen.

Auf Spurensuche im Libanon: Ist der Mann auf dem Zettel wirklich Jens Junkers Vater? (Foto: N/A)

Wenn in Alias die Gespräche gezeigt werden, die Junker mit seiner Familie führt, wird deutlich, wie die einzelnen Personen mit sich ringen - wie schwer es ihnen fällt, die Fassade der heilen Welt, hinter der sie sich versteckt haben, in Stücke zu reißen. Dem Regisseur geht es dabei nicht um eine private Abrechnung mit der eigenen Familie, sondern darum, den Menschen, die seinen Film sehen, etwas mitzugeben.

Dass die Botschaften der Dokumentation beim Publikum ankommen, hat sich mittlerweile bestätigt. Bei verschiedenen Filmfestivals im In- und Ausland hat Alias Preise gewonnen. Wenn Junker nach der Vorführung zum Gespräch anwesend ist, kommt es oft vor, dass die Zuschauer weniger Fragen stellen, als ihre eigenen Geschichten zu erzählen. Es sind Geschichten über häusliche Gewalt, über fehlende Kommunikation innerhalb von Familien oder über gefühlte Eltern, die nicht die biologischen Eltern sind.

Junker freut sich über die positive Resonanz und ist erleichtert, dass sein Film nicht als eine Geschichte über seine privaten Probleme angesehen wird, sondern den Menschen einen tieferen Sinn vermittelt. Er würde sich schämen, wenn Alias als reine Selbstdarstellung aufgenommen würde. "Ich hasse es, mich selbst da auf der Leinwand zu sehen", sagt der 34-Jährige und verzieht das Gesicht.

Am Ende der Dokumentation fährt Junker in den Libanon. Er möchte herausfinden, ob der Mann auf dem Zettel sein wirklicher Vater ist und trifft sich mit einem libanesischen Arzt, der in den siebziger Jahren in einem Krankenhaus in Castrop-Rauxel gearbeitet hat - es ist die gleiche Klinik, in der auch Junkers Mutter tätig war. Schließlich gelingt es dem Wahlmünchner, das Puzzle, das sich Leben nennt, weiter zu vervollständigen. Wie sehr er sich durch seine Recherche und den Film verändert hat, soll auch der Titel der Dokumentation zeigen. "Alias - das ist jemand, der auch ein Anderer ist", sagt Junker.

Das Filmcasino am Odeonsplatz zeigt "Alias" am 1. Oktober im Rahmen seiner Reihe "Filmcasino*Starter". In den nächsten Wochen wird es noch weitere Vorstellungen geben, je nach Zuschauerinteresse. Genauere Informationen zum Programm gibt es unter www.filmcasino.de.

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