Familiendrama in Großhadern:Tödliche Stiche im Schlaf

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Ujal R. soll seine Adoptivmutter erstochen haben. Die 71-jährige Ärztin hatte ihn 1993 aus Bangladesch nach Deutschland geholt. Bei der Polizei ist der 20-Jährige als Intensivtäter bekannt.

Monika Maier-Albang

Sie hat ihn aufgenommen im Alter von drei Jahren, hat ihn großgezogen, hat ihn geliebt. Nun hat ihr Adoptivsohn sie getötet. Während die Ärztin Anja R. schlief, stach der junge Mann in der Nacht zum Samstag mit einer Schere auf die 71-Jährige ein. Das Wort tragisch greift wohl zu kurz für diese Lebensgeschichte.

Vor 17 Jahren hatte Anja R. ihren Adoptivsohn Ujal in Bangladesch kennengelernt, als die Münchnerin in dem Land arbeitete. Einen Großteil ihres Lebens habe die gläubige Christin Anja R. den "Ärmsten der Armen geholfen", sagt Richard Thiess, der als stellvertretender Leiter der Münchner Mordkommission den Fall nun behandeln muss. Bereits Ende der 1980er-Jahre hatte Anja R. zum Beispiel im Norden Tansanias das von der katholischen Hilfsorganisation Misereor unterstützte Mugana-Hospital geleitet und sich dort vor allem um aidskranke Kinder gekümmert.

Daheim in Großhadern gründete sie drei Jahre später den Hilfsverein "Solidarität mit Waisen". Sie war in Indien und in Uganda im Einsatz. In Bangladesch adoptierte die alleinstehende Frau, die keine leiblichen Kinder hatte, schließlich zwei Mädchen und einen Jungen - Ujal. Die Mädchen sind mittlerweile aus dem Haus.

Der 20-jährige Ujal indes wohnte noch bei seiner Mutter in der Neufriedenheimer Straße in Großhadern. Offenbar kam er mit seinem Leben nicht zurecht: Er kiffte, klaute, wurde wegen Sachbeschädigung angezeigt. Seit einiger Zeit war er auf der "Proper-Liste" von Polizei und Staatsanwaltschaft für jugendliche Intensivtäter.

In letzter Zeit soll es öfter Streit gegeben haben zwischen Mutter und Sohn - vermutlich wegen dessen Lebenswandels. Im Juni war der Konflikt schon einmal eskaliert. Nach Angaben von Staatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch erstattete eine Verwandte von Anja R. damals Anzeige bei der Polizei. Sie hatte sich in einem Nebenzimmer aufgehalten und mitbekommen, dass Ujal R. seine Mutter schlug und auch verbal bedrohte.

Doch der Polizei seien die Hände gebunden gewesen, deutet Steinkraus-Koch an: Als man ermitteln wollte, hätten sowohl die Verwandte als auch Ujals Mutter von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht; eine Vorladung zur Zeugenvernehmung ließ Anja R. verstreichen. Die Anzeige wurde zurückgezogen. Offenbar war R. überzeugt, dass es ihr alleine gelingen würde, Ujal auf die rechte Bahn zurückzubringen. "Wir wissen nicht genau, um was es in dem Streit ging", so Steinkraus-Koch.

Unklar ist bislang auch, was den 20-Jährigen letztlich dazu bewogen hat, seine Adoptivmutter umzubringen. Hinweise auf eine psychische Erkrankung gebe es nicht, sagt Thiess. Ob Ujal R. unter Einfluss von Drogen stand, muss noch geklärt werden. Der 20-Jährige gibt zwar zu, seine Mutter erstochen zu haben, schweigt aber ansonsten. Und noch in einem anderen Punkt ist sein Verhalten widersprüchlich. In der Nacht zum Samstag hatte er gegen 2.30 Uhr zunächst selbst die Polizei alarmiert und am Telefon gesagt, er habe soeben seine Mutter getötet. Festnehmen lassen wollte er sich jedoch nicht. Man habe ihn "mit sanftem Druck überzeugen müssen, dass er mitkommt", sagt Thiess. Der von den Beamten herbeigerufene Notarzt fand Anja R. schwerverletzt im Bett liegend vor, konnte jedoch nichts mehr für sie tun.

Welches Strafmaß Ujal R. erwartet, hängt davon ab, ob der 20-Jährige vor Gericht als Heranwachsender gilt - in diesem Fall liegt die Höchststrafe bei zehn Jahren. Wird er als Erwachsener behandelt, könnte dies für Ujal R. lebenslange Haft bedeuten. Der Haftbefehl lautet auf Mord. Einen Menschen im Schlaf umzubringen, sagt Thiess, sei ein "klassischer Fall" von Heimtücke: Das Opfer sei absolut arg- und wehrlos gewesen.

© SZ vom 10.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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