Boxen in München:Ring of Fire

Lesezeit: 5 min

"Im Boxen ist es doch so wie im Leben", sagt Tim Yilmaz. "Wenn du dich nicht fokussierst, kriegst du auf die Nase." (Foto: Robert Haas)

Tim Yilmaz forscht an der LMU und bringt am Abend anderen bei, wie man sich richtig auf die Fresse haut - denn dabei geht es um viel mehr als nur um Sieg und Niederlage.

Von Pia Ratzesberger

Konzentration. Fäuste vors Gesicht, Blick nach vorne, immer zum Gegner. Tim Yilmaz hebt die linke Faust, er schlägt zu, hebt die rechte Faust, schlägt zu. Der Gegner weicht aus. Fäuste vors Gesicht, Blick nach vorne, noch ein Schlag. Tim Yilmaz taxiert den Mann vor sich, mit dem er gerade noch gelacht hat, er blickt nicht nach links, nicht nach rechts. Kein einziges Mal. Der Blick ist hart.

Boxen ist Gewalt, sagen die einen. Boxen ist Kunst, sagen die anderen. Und Tim Yilmaz, 38 Jahre alt, sagt, ohne Boxen jedenfalls hätte er nie seine Doktorarbeit schreiben können.

Ein Abend im Februar und ein Keller im Westen der Stadt. Es steht kein Name oben an der Türe, aber die Menschen, die hierherkommen, wissen, wo sie hinmüssen. "Gym Yilmaz", so nennt Tim Yilmaz seinen privaten Boxkeller. Und wenn er von dem Tag erzählt, als er vor vielen Jahren zum ersten Mal zum Boxen ging, dann erzählt er von einer Gruppe Männer, die ihn anstarrte und von dem Gefühl, "der kleine deutsche Bubi" zu sein. Er ging nicht noch einmal zu diesem Training, mittlerweile aber ist Tim Yilmaz einer der Menschen in der Stadt, die für ein neues Bild vom Boxen stehen. Boxen und München, das passt immer besser zusammen.

Box-WM im Schwergewicht
:Der Boxer mit den künstlichen Hüften

Manuel Charr will der erste deutsche Schwergewichts-Weltmeister seit Max Schmeling werden. Zweimal wurde er angeschossen - und hat Lebenserfahrung wie kaum ein anderer.

Von Benedikt Warmbrunn

Es gibt Städte, denen traut man eine solche Szene zu, Berlin natürlich, aber auch Köln oder Hamburg, den rauen Städten eben, da ist München erst einmal nicht dabei. Doch wie bei so vielem muss man nur an die richtigen Orte gelangen, um zu verstehen, dass man München "die alte Lady", wie Marcus Wiebusch neulich auf einem Konzert seiner Band Kettcar sagte, unterschätzt hat.

Ein kalter Keller, kleine Fenster, unter der Decke verlaufen Heizungsrohre, darauf die Boxhandschuhe. Tim Yilmaz zieht sich gerade die 14 Unzen über, die dickeren für das Training. Vor zehn Jahren sei das noch anders gewesen, sagt er, "aber heute würde ich sagen, München ist eine gute Stadt zum Boxen". Yilmaz ist ein großer, schmaler Typ, er trägt die Haare zum Zopf gebunden und man kann sich ganz gut vorstellen, dass die Muskelmänner damals auf ihn befremdlich wirkten.

Die Leute kommen wegen der Fitness, dann wollen sie vor allem eines: hauen

An die Wand hat einer seiner Freunde Schwarz-Weiß-Fotos geleimt, von Woody Allen und Kate Moss zum Beispiel. Bald aber wird Yilmaz seine Kurse nicht mehr wie die vergangenen vier Jahre in diesem "schimmligen Undergroundkeller" geben. Er lacht. Im "Undergroundkeller" liegen gerade sieben Männer am Boden und strecken die Beine, Aufwärmen, man begrüßt sich mit Handschlag. Es kommen Freunde und Freunde von Freunden, die meisten argumentieren zu Beginn, dass sie vor allem was für ihre Fitness machen wollen. Tim Yilmaz weiß, wie es weitergeht: "Und nach einem Jahr wollen die alle vor allem eines: hauen."

In München zählt der Bayerische Amateurbox-Verband um die zehn Vereine. Mit einem Freund wird Tim Yilmaz im April sein eigenes Studio in Sendling eröffnen. Wie das genau aussehen wird, will er noch nicht sagen, was er sagen will: Boxen sei doch so viel mehr als nur ein Kampf mit dem Körper. Es gehe doch auch um Taktik, um Distanz und um Härte, nicht nur um die Härte des Körpers. Sondern auch um die im Kopf.

Der Boxkampf hatte lange keinen guten Ruf, er war für manche ein Synonym für Gewalt, Drogen, Exzess - und dass das heute anders ist, hat in München auch mit Menschen wie Tim Yilmaz zu tun. Schon seit Tausenden von Jahren treten zwei Menschen mit Fäusten gegeneinander an, im 17. und 18. Jahrhundert dann wurde Boxen in England groß, dort legte man immer mehr Regeln für die anfangs so brutalen Kämpfe fest. Keiner schlägt den anderen, wenn der schon am Boden liegt, zum Beispiel. Jack Broughton war damals ein großer Name, in Deutschland war es in den Dreißigerjahren Max Schmeling, der erste deutsche Weltmeister im Schwergewicht. Und als Tim Yilmaz ein Kind war, sah er im Fernsehen Mike Tyson zu, der Box-Legende aus den USA.

Tim Yilmaz wollte nie in den Profisport, was auch damit zu tun hat, dass ein Profisportler nicht als Vulkanologe forschen könnte. Er hat zwei Dutzend Amateurboxkämpfe hinter sich, er stand vor ein paar Jahren im Finale der oberbayerischen Meisterschaften. Mittlerweile boxt er nur noch für sich. Und für seine Kurse.

Manche der Männer an diesem Tag tragen die gleichen Pullover wie Tim Yilmaz, auf allen steht "Brrrp", diesen Aufdruck sieht man derzeit öfter in Münchens Straßen. Doch nicht immer wissen die Träger, dass er aus diesem Boxkeller kommt. Das Ganze war eigentlich nur ein Gag, aus Versehen ist nun ein Streetwear-Label daraus geworden, das Yilmaz gemeinsam mit Designer Mirko Borsche gegründet und das selbst die Vogue besprochen hat. In seinen Kursen hieß es, er mache immer diesen Laut, sagt Yilmaz, wenn er die Leute antreiben wolle. Er rollt das R. "Brrrp, weiter, weiter".

Sie druckten sich also Pullis, die wollten dann Freunde haben und Freunde von Freunden, irgendwann auch deren Freunde. Im vergangenen Jahr haben sie mehr als tausend Pullover verkauft. Verdient hätten sie daran keinen Cent, sagt Yilmaz, guter Stoff koste eben, gute Produktion. "Aber es ist natürlich schön, seine eigenen Klamotten herzustellen." Diese Klamotten hat jetzt selbst der Herrenausstatter Hirmer in seinen Regalen, der sonst wenig für Underground bekannt ist, all das erwähnt Tim Yilmaz aber nicht. Er prahlt nicht.

"Brrrp" - Diesen Aufdruck sieht man derzeit öfter in Münchens Straßen. Doch nicht immer wissen die Träger, dass er aus diesem Boxkeller kommt. (Foto: Jonathan Mauloubier / OH)

Neulich hat er einmal für ein paar Tage den Instagram-Account des Zeit-Magazins übernommen, auch dort hat er nicht nur Bilder aus seinem Gym Yilmaz hochgeladen, sondern auch von der Boxabteilung des TSV 1860 und von Leo's Box Gym, vom Boxwerk und von MTV 1879, dem Verein, bei dem er schließlich zu boxen begann. Hashtag: boxingislife. Es waren auch Bilder aus der Universität dabei, Hashtag volcanology, als Vulkanologe forscht Yilmaz hauptberuflich an der LMU und auf den Fachkonferenzen der Akademiker sei es doch letztendlich nicht anders als im Boxring. Die Zuschauer, die Aufregung. Das Messen mit den anderen. Die Erleichterung, wenn es vorbei ist.

Dann ist sie da, die Angst

Zwei Stunden vor dem ersten Schlag an diesem Abend sitzt Yilmaz in der Mitte des Rings, sein Handy brummt unentwegt, die Leute wollen wissen, ob das Training stattfindet. Boxtraining heißt für Tim Yilmaz auch: abschalten. Fokussieren lernen. "Mein ganzes Leben würde mir schwerer fallen ohne das Boxen." Die Doktorarbeit zum Beispiel, ihr Titel: "Wechselwirkung von Fragmentierung, Quarzniederschlag und Material Transport in brüchigen Scherzonen." Es ist nicht so, dass Tim Yilmaz schon immer von der Vulkanologie geträumt hätte, auch nicht vom Boxen. Heute aber sagt er: "Ich kann mir nichts Krasseres vorstellen als Vulkane." Und: "Im Boxen ist es doch so wie im Leben. Wenn du dich nicht fokussierst, kriegst du auf die Nase." Er hat gefunden, was ihn erfüllt. Und wie so oft war es vielleicht nicht das, was er in jungen Jahren erwartet hatte. Es hat sich ergeben. Und das war gut.

Eigentlich hatte Tim Yilmaz als Junge Handball gespielt, doch die Mannschaft löste sich auf, eigentlich hatte er auch nach der Schule eine Lehre zum Schlosser gemacht, weil der Bruder nun einmal Schlosser war, aber er hat danach nicht als Schlosser gearbeitet, sondern als Surflehrer. Portugal, Spanien, Marokko. Immer wieder neue Menschen, neue Frauen, immer am Strand. "Ein Leben, das sexy klingt, aber eigentlich total langweilig ist." Da war die Familie zu Hause in München, da war die Liebe zur Stadt. Und vor allem "war mir das alles zu einfach". Wahrscheinlich fasst es das ganz gut zusammen. Er wollte es sich nie zu einfach machen.

Tim Yilmaz war einer von vielen jungen Menschen mit vielen Möglichkeiten, die genau deshalb so lange hadern, welche dieser Möglichkeiten nun glücklich macht. Er entschied sich für München, holte sein Abi nach, begann Geologie zu studieren. Und zu boxen. Das Gefühl, das einen erfasst, wenn man dann zum ersten Mal einem Gegner gegenübersteht, auch das ist seit Jahrhunderten das gleiche. Dann ist sie da, "die Angst".

Tim Yilmaz hat die Fäuste vor dem Gesicht. Er schlägt zu, mit der rechten Faust, dann mit der linken. Noch einmal die Rechte, von unten, dann auf die andere Seite drehen, der Gegner ist dran. Sparring nennt man das im Boxen. Ein Training für den Kampf. Ohne Sieger und Verlierer. Sparring, sagt Yilmaz, sei ihm schon immer das Liebste gewesen.

© SZ vom 15.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Mike Tyson
:Unendlich viel Mist gebaut

Der Ex-Boxweltmeister Mike Tyson hat ein Buch geschrieben, doch Unschönes aus seinem Leben lässt er manchmal einfach weg.

Von David Pfeifer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: