Mitten in Neuhausen:Sport, nein danke

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Wer ein richtiger Sport-Muffel ist, dem wird schon ganz anders, wenn er den Fitness-Jüngern aus der Ferne zuschaut

Von Jutta Czeguhn

Was tut dieser Mensch da nur? Er wirft einen Medizinball gegen die Wand, fängt ihn wieder auf, dann lässt er sich der Länge nach auf den Boden fallen, macht einen Liegestütz, springt schnappmesserflink in den Kniestand wie ein Kosak beim Kasatschok, greift nach dem Medizinball, stemmt sich hoch in den Stand und knallt das Ding abermals gegen die Wand. Allein vom Zusehen beginnen die Kniegelenke zu brennen, schon zwickt die Bandscheibe. Auch die anderen Menschen hinter den erleuchteten Fenstern des Fitnessstudios, die man von der wartenden S-Bahn an der Donnersbergerbrücke aus beobachten kann, wirken wie ferngesteuerte Hamster.

"Schau dir all diese Leute an, wie sie versuchen, den unvermeidlichen Verfall ihrer Körper hinauszuzögern", sinniert Woody Allen als notorisch unsportlicher, depressiver Pessimist Mickey in seinem optimistischen Film "Hannah und ihre Schwestern" beim Anblick von Joggern im New Yorker Central Park. Ein wunderbar weiser Satz, mit dem man bevorzugt jetzt im Frühling, wenn alle Welt die Yoga-Matten ausrollt, zum Work-out oder - das Abscheulichste überhaupt - zum Zumba aufbricht, genüsslich schockieren kann.

Bereits in der Schulzeit hat man sich mit dem Lob der Unsportlichkeit keine Freunde gemacht. Zirkeltraining im Sportunterricht: Worin liegt der tiefere Sinn, einen Medizinball gegen die Wand zu donnern, bockte schon damals eine renitente Zehnjährige und wusste, dass sich für sie das Kapitel "Fitness-Studio" für alle Zeit erledigt hatte. Die Verweigerung beim Medizinballtest brachte einen Eintrag ins Klassenbuch. Und höllische Schadenfreude über einen weiteren klugen Woody-Allen-Satz (aus "Annie Hall"): "Wer nichts kann, wird Lehrer - und bei wem's zum Lehrer nicht reicht, der wird Sportlehrer. Und, hm ja, die überhaupt nichts konnten, die, schätze ich, waren an unserer Schule."

Die Hamster im Fitnessstudio an der Donnersbergerbrücke zappeln weiter, als sich die S-Bahn in Bewegung setzt. Beim Aussteigen am Pasinger Bahnhof hält der Zug direkt an der Rolltreppe. Aber vielleicht sollte man sich heute mal ausnahmsweise über die Stufen quälen?

© SZ vom 15.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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