Mitten in Solln:Grenzwertige Betrachtungen

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Am südlichen Stadtrand kann man leicht die Orientierung verlieren - nur sehr Ortskundige lassen sich nicht irritieren

Von Jürgen Wolfram

Wo bin ich denn hier gelandet? Eine Frage, die jeden anspringt wie ein Borkenkäfer den Windwurf, wenn er die Randzonen von Solln durchstreift. Pferdekoppel und Monsterhochhaus liegen keine zwei Kilometer Luftlinie auseinander. Auf diese Distanz läuft sich ein Warnberger-Feld-Jogger nicht mal richtig warm. Dafür wird ihm vermutlich ganz heiß, wenn er darüber nachdenkt, ob der Stadtrandentwicklung irgendwelche Grenzen gesetzt sind. Apropos Grenzen - in Solln ein interessantes Thema. Das geht auf der edlen Prinz-Ludwigs-Höhe schon los. Die Gegend wird in der Regel als Filetstück gehobener Sollner Wohnkultur betrachtet. Dabei gehört sie, Dokumente aus der Gründerzeit belegen es, weit überwiegend zu Thalkirchen. Ambitionierte Historiker sind deshalb mit ihrer Geduld längst am Limit.

Grenzenloses Vergnügen bereiten dem Ortskenner die gängigen Immobilien-Annoncen. Was da mit dem Prädikat "Bestes Solln" oder "Sollner Isar-Hochufer" beworben wird, liegt meistens mitten in Obersendling. Von der Existenz der Isar kündet allenfalls eine Möwe am fernen Horizont. In diesem Kontext auch nicht zu verachten: das Senioren-Domizil an der Wolfratshauser Straße. Geistig völlig entgrenzte Planer zogen dort eine Trennlinie zwischen den Zimmern der Bewohner oder zwischen den Gemeinschaftseinrichtungen, beziehungsweise haben es versäumt, das Heim realen Gegebenheiten anzupassen. Im Ergebnis speisen die Senioren gesellig in Pullach und spielen zusammen Canasta in Solln oder umgekehrt - Irrwitz dutzendfach: alles unter einem Dach. Am anderen Ende des Stadtteils gerät leicht an seine Grenzen, wer herauszufinden versucht, ob er sich noch in Solln oder schon in Forstenried befindet. So ist es vor einiger Zeit Emissären der Stadtverwaltung ergangen, die unweit der Waterloostraße einen Radlparcours eröffneten. Als mäßig harte Faustregel nahmen sie mit in ihre Büros: Die Straßenseite mit Fußweg gehört den Forstenriedern, diejenige ohne Trottoir den Sollnern, den armen. Geografische Wirren sind das, die jeden Grenzpolizisten irritieren müssten wie ein knallbunter Schlagbaum.

Dabei ist es ganz leicht, als Stadtviertel Kante zu zeigen. Wie so etwas funktioniert, hat vor ein paar Jahren die oberbayerische Gemeinde Steingaden anschaulich hingezirkelt: Sie räumte den Schnee auf der Brückenverbindung zur schwäbischen Nachbarkommune Lechbruck stets exakt nur zur Hälfte weg. Mit der unwillkommenen Folge, dass die Gemeinde jenseits ihrer Gemarkung zum medialen Lachschlager avancierte. "Jetzt red i", zur Abwechslung mal mit Schenkelklopfen. Typisch Solln, dass es derart erschütternde Resultate für grenzwertig hält. Lieber nicht so scharf hinschauen und sich dafür grenzenlosen Spott ersparen.

© SZ vom 23.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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