Mitten in Schwabing:Luft anhalten für die Wiesn

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Dirndlkauf ist keineswegs reine Frauensache - aber am Tag vor dem Wiesn-Anstich nicht wirklich clever

Von Nicole Graner

Es ist ziemlich dämlich, am Tag vor dem Wiesn-Anstich ein Dirndl kaufen zu gehen. Ja ja, schon klar! Aber es musste eben sein. Und so waren alle einschlägigen Läden, in die Münchner und insbesondere auch Nichtmünchner gehen, voll. So voll, dass die - logischerweise in Einheitsdirndl gepackten - Verkäuferinnen nicht mehr ausreichten. Also: großes Chaos. Dirndlschürzen in ungeordneten Haufen im Regal, Schürzen auf dem Boden und unzählige Dirndlblusen in der Garderobe. Ein paar Silberknöpfchen vom Mieder auf dem Boden, ein paar ausgerissene Häkchen am Rock. Und dann die Suche nach den richtigen Größen. 38 leergekauft, die 40 auch. Die kleinen Größen vorhanden und die ganz großen. Wer also mit dem natürlichen Geschenk "Holz vor der Hütten" ausgestattet war, hatte Glück. Manchmal aber gefiel das eine, kleine Dirndl in 38 so gut, dass sich eine klare 40 trotzdem in das Mieder presste. Luft anhalten und raus vor den Spiegel. Luft anhalten und daran denken, dass sich ja schließlich schon Frauen um 1720 in ein "Leibstück" zwängten. "Wunderbar", sagt die Verkäuferin und fasst der Frau beherzt ans Oberteil: "Das gibt dann schon noch etwas nach!" Die Beengte schnauft kurzatmig, lächelt etwas gequält. "Nicht zu eng?" - "Nö, nö, das wird schon noch." Die Verkäuferin zupft schon wieder am nächsten Gewand herum, das Korsett-Dirndl wird gekauft.

Und von wegen der Dirndlkauf sei reine Frauensache. Oh, nein. Sehr viele Männer sind da. Die einen wollen dann doch wissen, wie viel Dekolleté bei der Holden im Rahmen ist. "Schatz, du, ist das nicht ein bisschen offenherzig?" Andere erfreuen sich nur am Anblick der aus der Garderobe Tretenden. Beim Kauf einer teuren Kreation einen Sekt gratis. Bayern, Preußen, Italiener, Koreaner - alle wollen sie wiesntauglich werden. Sogar ein paar Frauen in langen Gewändern. Nicht verschleiert, aber eindeutig Arabisch sprechend. Sie streichen über den Stoff, lächeln. Und eine, ganz ehrlich, geht mit Dirndl in die Garderobe. Ein Gewand für die ganze Welt? An diesem Tag, ja.

© SZ vom 19.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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