Mitten in  Ramersdorf:Ciao, altes Haus

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Es ist noch keine 100 Jahre alt, aber das Haus in unserer Straße wird dennoch abgerissen. Der Bagger entreißt ihm seine Geschichte, man sieht es verschwinden und blickt ihm wehmütig hinterher

Von Renate winkler-schlang

Unsere Straße ist eine ganz besondere. Wirklich. Sie bietet mit ihren Walmdach-Häuschen und den unterschiedlichen Gartenzäunen ein so vertrauenerweckendes Bild, dass vor Jahren sogar eine Schokoriegelfirma mit einem ganzen Filmtross samt Catering-Bus anrückte, um vor unseren Haustüren einen verkaufsfördernden Süßigkeiten-Werbespot zu drehen. Wir fühlten uns berühmt und nahmen gerne in Kauf, dass wir ein paar Tage anderswo parken mussten. Den Spot haben wir leider nie zu sehen bekommen, denn der Star des Spots hieß Felix Magath - und als das Filmchen erscheinen sollte, hatten sich Trainer Magath und der FC Bayern schon getrennt. Von der Entschädigung fürs Auswärtsparken aber füllten wir unsere Straßenfestkasse und prosteten uns zu: "Auf unsere kleine Straße."

Jetzt ist der Bagger angerückt. Eines der alten Häuser aus dem Zwanzigerjahren wurde nach einem Todesfall verkauft, wir treffen uns am Straßenrand und schauen zu, wie die Arbeiter das Haus zerlegen. Erst alle Holzteile raus, dann alle Leitungen. Die drei Klos stehen vor der ehemaligen Garage, eines mit grünem Deckel.

Fast sanft befreit der Baggerzahn dann das Haus von seiner wärmenden Styropor-Hülle. Kügelchen wehen herüber. Wieder parken wir anderswo. Am Abend hat das Abrissunternehmen den Dämmstoff in großen blauen Müllsäcken auf seinem Anhänger. Am nächsten Tag frisst sich das Baggermaul durch die Mauern. Die noch brauchbaren alten Ziegel werden auf Paletten geschichtet.

Die Kinder staunen mit großen Mund, wollen gar nicht mehr in die Kita, um nur ja keinen dieser spektakulären Augenblicke zu verpassen. Die Alten aber schauen ein wenig verschreckt, denken an die Generation, die das alles aufgebaut hat, an die früheren Bewohner des Hauses, das nun sein Innenleben, seine Tapeten und Wandfarben enthüllt.

Man redet. "Wisst ihr, was hinkommt?" - "Ein Holzhaus . . ." Noch hoffen wir, dass es ein schönes Häuschen wird, wir uns daran gewöhnen werden und irgendwann jemand in unserer Straße einen Film darüber dreht, wie sich ein neues Holzhaus in eine alte Siedlung einfügt. So richtig glauben können wir das aber noch nicht. Ciao, altes Haus.

© SZ vom 11.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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