Mitten in München:Mit der Nase durch die Stadt

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Die Isar-Metropole hatte schon immer einen typischen Duft - heute wird der Geruch anders wahrgenommen als früher

Von Hubert Grundner

Wenn man durch die Stadt läuft und wirklich riecht, dann trifft man auf den Geruch von Tradition. Ich habe Bier und Brauereien in der Luft gefunden und dass viel Fleisch gegessen wird - vor allem Schwein." Was außerdem sehr präsent sei in einigen Teilen Münchens, sei der Duft von teurem Parfüm. So fasste vor einigen Jahren die norwegische Chemikerin und Geruchsforscherin Sissel Tolaas ihre Haupteindrücke nach einer Entdeckungstour durch Bayerns Landeshauptstadt zusammen, als sie hier im Rahmen des Projektes "A Space Called Public" ein Geruchsseminar abhielt. Dafür hatte sie den typischen Duft der Stadt eingefangen und chemisch nachgebaut. Anschließend verteilte sie ihr München-Parfüm in einer Art olfaktorischer Performance in einer Innenstadt-Passage. Tolaas, das sollte man vielleicht wissen, ist nicht nur Wissenschaftlerin, die Gerüche des Alltags sammelt und archiviert, sondern auch Künstlerin.

Überhaupt haben Künstler oft ein gutes Näschen. Sensibel registrieren sie, wenn der Wind dreht und sich neue gesellschaftliche Aromen verbreiten. Während der unbedarfte Bürger vielleicht nur vage über einen Anflug von Übelkeit unbestimmter Herkunft klagt, steigt dem Schriftsteller der gleiche Odeur aus den Hinterzimmern der Republik schon stechend scharf in die Nase. Ein Paradebeispiel solch intellektuell-sinnlicher Wahrnehmung stellt Lion Feuchtwangers 1930 erschienener Roman "Erfolg" dar. Darin findet sich für München der schöne Wahlspruch "Bauen, brauen, sauen", der in seiner Prägnanz seinesgleichen sucht.

Eins zu eins lässt sich das natürlich nicht auf die heutige Zeit übertragen. Feuchtwanger analysierte die Chemie menschlicher Beziehungen und Machtverhältnisse Ende der Zwanzigerjahre. Statt in Glaskolben und Ballons fing er auf den Seiten seiner Bücher jene Faulgase ein, die aus dem Untergrund einer Stadt aufstiegen, die stolz behauptete, Hauptstadt der Bewegung zu sein.

"Bauen, brauen, sauen" - dieses Motto muss und sollte man also nicht unbedingt im Kopf haben, wenn man an einem schönen Sommerabend über die Reichenbachbrücke schlendert. Andererseits drängt sich die Assoziation geradezu auf: Vom Nockherberg weht die Malzfahne der Paulaner-Brauerei herüber, während von der Isar der Rauch Dutzender Grillfeuer und das Flaschenklirren der Partygänger aufsteigt.

Derart eingenebelt, hätte selbst Willy Michl heute größte Probleme, das "Isarflimmern mitten im Paradies" noch zu erkennen. Gebaut wird hier auch, und zwar sehr exklusiv, an der Ecke Fraunhofer-/Erhardtstraße. Und Sauen gibt's ebenfalls: Die werden meist nachts in Transportern zum Schlachthof gebracht. Wer das erlebt hat, wird gerne glauben, dass er Angst und Verzweiflung pur gerochen hat. Ob Sissel Tolaas diese Note ihrem München-Parfüm auch beigefügt hat?

© SZ vom 24.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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