Mitten in der Altstadt:Immer mit der Geduld

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Der Mensch bemüht sich allerorten um Effizienz, entsprechend steigt das Aggressionspotenzial. Dabei ist Muße manchmal einfach hilfreich

Kolumne von Nicole Graner

Wie tickt nur der Mensch? Alles muss irgendwie schneller, effizienter und gewinnbringender sein. Zeit wird immer mehr zur Mangelware. Wäre man Karikaturist, fände man zum Beispiel beim Anstehen an der Supermarkt-Kasse wunderbare Vorlagen für Cartoons: verzerrte und genervte Mimik. Das ewige Warten - alles ist Zeitvergeudung. Wie Staus, lange Telefonate, Mails sortieren. Ach, und was sonst nicht alles. Wer nicht schnell ist, bleibt irgendwie auf der Strecke.

Neulich am Taxistand. Boxt einen doch ein Herr in feinem Zwirn einfach mit seiner Aktentasche in die Seite, steigt in das Taxi, auf das man brav am Stand gewartet hat und in das man selbst gerade hinein wollte. Raunt einem zu "Habe es eilig". Sagt es, und das Taxi verschwindet. Mhmm.

Oder ein Radler, der in entgegengesetzter Richtung auf dem Radweg fährt. Er darf das eigentlich nicht, schimpft aber trotzdem den Autofahrer nieder, der sich vorsichtig in die Hauptstraße hineintastet. Er bremst, schreit in das offene Fenster, dass das typisch Autofahrer sei. "Total rücksichtslos!" Und er schreit noch immer, als der Autofahrer nach vergeblichen Gesprächsversuchen doch ein Schlupfloch findet und weiterfahren kann. Mhmm.

Und dann überrascht er wieder, der Mensch in seiner Münchner Ausprägung. Kaum zu glauben, mit Geduld. Da steht doch am Bahnsteig der S-Bahn am Marienplatz in Richtung Hauptbahnhof einfach ein Plastikeimer. Voll mit Wasser, das mit der monotonen Rhythmik eines Sekundenzeigers von der Decke tropft. Mitten im Weg steht das Provisorium, das einst wohl ein Kanister mit Reinigungsflüssigkeit war, als echtes Hindernis. Denn es ist ein Kommen und Gehen, viele Menschen stehen und warten. Andere hasten in ihre S-Bahn. Aber ausnahmslos alle lavieren vorsichtig um diesen einen Topf. Tragen Räder daran vorbei, dicke Taschen. Rollen ihren Koffer drum herum. Keiner meckert, keiner mault. Mhmm. Viel schöner so!

© SZ vom 03.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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