Literatur:Armer Mörder

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Heinz Strunk liest in den Kammerspielen

Von Michael Zirnstein, München

Die Menschen sind komisch, vor allem die normalen. Sie wollen das Elend erleben in der Kaschemme "Zum Goldenen Handschuh", in dieser Sammelstelle der Elenden, in der der Frauenmörder Fritz Honka in den Siebzigern seine Opfer auflas wie gebrauchte Damenschlüpfer vom Bordstein. Wie im Zoo wollen Party-Hipster nun Tresen-Viecher wie Fanta-Rolf, Tampon-Günther und Ritzen-Schorsch anglotzen, ein paar Fakos lang (Fanta und Korn im Mischverhältnis eins zu eins, Honkas Lieblingsgesöff). Zumindest steht das so in Zeitungsberichten, die vom Szene-Tourismus zur "neuen Pilgerstätte" auf St. Pauli berichten, wo es jetzt sogar T-Shirts mit dem Handschuh-Logo zu kaufen gebe.

"Unfug!", ruft jener empört, der diese Abschaum-Safaris angeblich ausgelöst hat. "Wenn es da einen Run gäbe, würde ich das ja wohl mitbekommen", sagt Heinz Strunk. Das Hamburger Multitalent ist seit Jahren Gast im Handschuh, es sei dort "extrem unterhaltsam. Diese Mischung aus Leuten gibt's in keinem anderen Laden in Deutschland. Und ich kenne mich da aus." Das war für Strunk der Grund, den Roman "Der goldene Handschuh" (Rowohlt) zu schreiben. Nach seinem 500 000-fach verkauften, verfilmten und auf die Bühne gebrachten Debüt "Fleisch ist mein Gemüse" über seine Flegeljahre als Tanzband-Saxofonist und einigen weiteren semi-autobiografischen Erzählungen wurde es sein zweiter Bestseller, heuer nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse und schon ans Kino verkauft. Erstmals geht es Strunk nicht um Strunk, er hat einen gefunden, dessen Leben noch abgründiger ist als das des 54-jährigen Komikers ("Studio Braun"), TV-Moderators, Musikers, sich verhaspelnden Vorlesers, Schauspielers ("Fraktus", "Immer nie am Meer") und Politikers (Die Partei). Fritz Honka sei nicht nur das ärmste aller Würstchen gewesen, sagte sein Anwalt Ralf Bossi damals, er habe auch das Pech gehabt, zum Mörder zu werden, und das gleich viermal.

Wie er die meist älteren "Säberalmas" - Gelegenheitsprostituierte, die wegen des suffbedingten Nervenschadens den Speichel nicht mehr halten können - mit Aussicht auf ein warmes Plätzchen in seine Wohnung lockte, sie mit "Abtretungsverträgen" als Sex- und Haushaltshilfe zu versklaven versuchte und schließlich im Suff und Frust umbrachte, zerstückelte und versteckte, erzählt Strunk gnadenlos. Immer an den Fakten entlang, die er im Hamburger Staatsarchiv recherchiert hat. Strunks Kunst ist es wieder, den Leser gleichermaßen erschüttert wie angewidert und streckenweise sogar amüsiert zurückzulassen. Man meint zu verstehen, wie die sabbelnden Zombies im Handschuh ticken, "die wissen, dass sie früher sterben müssen als alle anderen, doch die Zeit bis dahin kommt ihnen immer noch zu lange vor".

Aber natürlich versteht man gar nichts, man sei ja nicht Teil des Milieus, so Strunk. Bei allem Mitgefühl, das er im Leser selbst für den Frauenschlächter erzeugt, habe ihn das Schreiben über Honka "nicht belastet, so wie von Capote erzählt wird, dass er an ,Kaltblütig' zerbrochen ist". Auch wenn er sich gerade nicht exponieren möchte, kann er sogar noch in den Handschuh gehen, von den Stammgästen unerkannt - "diese Leute lesen nicht".

Heinz Strunk: Der goldene Handschuh , Mittwoch, 20. April, 20 Uhr, Kammerspiele, Kammer 1, Maximilianstraße 28

© SZ vom 20.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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