Wissenswertes vor Ort:Plätschernde Geschichte

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Peter Martin hat ein Buch über den Bach "Gießen" geschrieben. Darin erzählt er, warum es auf Garchinger Feldern Brückenpfeiler gibt und was es mit der "Russenstraße" auf sich hat

Von Alexandra Vettori, Garching

Mit der Idee, ein Buch über die Garchinger Gießen zu schreiben, geht Peter Martin schon lange schwanger. "Der Bach liegt mir am Herzen, er weiß eine spannende Landschaftsgeschichte zu erzählen", sagt der einstige Vorsitzende der Bund Naturschutz-Ortsgruppe in Garching und immer noch aktive Biberberater im nördlichen Landkreis. 70 Jahre ist Martin gerade geworden, doch er brennt noch immer, für die Natur, für die Kulturlandschaft seiner Heimatstadt und für Entdeckungen. Davon hat er in den vergangen Jahrzehnten bei seinen Streifzügen durch die Isarauen viele gemacht, einige sind in sein Buch eingeflossen.

Wer sich fragt, was man über einen nur wenige Kilometer langen Bach wie die Gießen überhaupt schreiben kann, der wird sehen: viel. Zum Beispiel, dass Garching einer der ganz wenigen Orte in Oberbayern sein dürfte, der im 19. Jahrhundert statt Entwässerungskanälen, Bewässerungskanäle anlegte. Als die Isar Ende des 19. Jahrhunderts in ein Flussbett gezwungen war, fehlte auf den Feldern nämlich das Wasser, und so zapfte man in Garching nach 1888 die Bäche an. Damit hängt auch zusammen, dass Garching sicher der einzige Ort ist, in dem sich in den Feldern Brückenfundamente finden. Die Bewässerungskanäle sind irgendwann in den 1950er Jahren verfüllt worden, manche Brückenteile aber blieben.

Martin liebt solche Geschichten, seine Augen blitzen dann. Stunden über Stunden hat er mit dem Studium historischer Karten zugebracht, um der Gießen auf die Spur zu kommen. Eigentlich war diese ein Auen-Grundwasserbach und nur zeit- und abschnittsweise eine Rinne der alten Isar. Damals, als sich der Fluss noch neue Läufe suchen konnte und das Grundwasser in der Au hoch stand. Damit war 1880 Schluss, als die Isar systematisch reguliert wurde, die alten Rinnen trockneten aus. Den Lauf der alten Gießen zu finden, kurz vor und seit der Isarregulierung, das war die Aufgabe, die sich Martin vorgenommen hatte. Übrigens, sagt er mit einem Lächeln, leitet sich laut deutschem Gewässernamenbuch der Name Gießen vom althochdeutschen Wort "giozo" ab, was "bewegtes Gewässer" oder "langsam fließender Flussarm" bedeutet. Daher kommt auch das heutige Verb "gießen".

Lange hat Martin suchen müssen, bis er eine Karte fand, die den Zustand der Garchinger Bäche wenige Jahre vor der Isarregulierung darstellt. "Dann habe ich im Vermessungsamt eine Karte von 1863 gefunden", erzählt er begeistert. Der in dieser Karte festgehaltene Zustand lasse sich heute im Gelände noch nachvollziehen. Als Ursprung der Gießen sind da zwei Quellbäche - eine linke und eine rechte Ur-Gießen - zu sehen, die ihrerseits von mehreren Quelltöpfen gespeist werden. Martin hat die einstigen Quellen gefunden, nahe der Stadtgrenze zu München. Auch den Zusammenfluss der beiden Bäche, die dann zu einer Gießen werden, sieht man noch. Er liegt am westlichen Auwaldrand bei Garching nördlich der B471.

Die historische Karte von 1863 weckte das Interesse des Autors aber noch in anderer Hinsicht. Sie zeigt eine kanalartige Wasserverbindung von der linken Ur-Gießen nach Westen zum Mühlbach in die Nähe des so genannten Knies am Schleißheimer Kanal. Einst umschloss das "Knie" ein Becken, den "Garchinger Hafen", auf dem das Baumaterial für das Schleißheimer Schloss von den Ziegelfabriken in Ismaning antransportiert wurde. Martin vermutet, dass auch die Gießen beim Transport eine Rolle spielte. Spätestens mit dem Bau der Garchinger Feldbewässerung wurde der Wasserweg wohl zugeschüttet. Auch die Baumreihe, die ihn in früheren Karten säumte, ist verschwunden. Nur eine markante Silberweide steht noch, etwa in der Mitte des Verbindungskanals zwischen Gießen und Garchinger Hafen. Für Martin ist sie nicht das einzige Zeugnis des früheren Wasserwegs, er hat auch ein etwa 20 Meter langes Reststück dieses Verbindungskanals gefunden.

Ganz in der Nähe verläuft auch die "Russenstraße", ein gerader Weg nach Nordosten in Richtung Isar. Auch hier wurde früher Baumaterial zum Schloss transportiert. Den Namen bekam der Weg aber erst in den Napoleonischen Kriegen Anfang des 19. Jahrhunderts. Hier sind russische Truppen, um München zu umgehen, nach Osten gezogen. Zu erkennen ist auf den Feldern davon nichts mehr, in den Isarauen aber hat Martin Reste entdeckt: "Die Russenstraße ist stückweise als Schneise erhalten: Zwei längere Abschnitte sieht man noch. Auch die Brückenrampen der Brücke über die Gießen (linke UrGießen) sind noch erkennbar."

Dass sein Gießen-Buch auf Interesse stoßen wird, davon ist Peter Martin überzeugt. Schließlich haben in Garching Ende der 1990-er Jahre viele Bürger geholfen, ein Stück der Gießen zu renaturieren. Wer die faszinierende Auenlandschaft erleben möchte, der findet in Martins Buch Tipps für Wanderungen und Radtouren. Eine Idee für ein neues Buchprojekt hat er auch schon: "Zeugnisse der Garchinger Landschaftsentwicklung"; Denn auf seinen Streifzügen hat der Naturliebhaber noch viel mehr Geheimnisse entdeckt.

Die Gießen - Einst und heute. Eine Garchinger Bachgeschichte ab dem Jahr 1863. Erhältlich beim Verfasser: Peter Martin, Fröttmaninger Weg 5, Garching, Telefon (mit AB) 0157 362 963 28.

© SZ vom 07.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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