Unterschiedliche Religionen:"Wir wissen zu wenig voneinander"

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Toleranz schaffen und Verständnis wecken - das ist Sinn und Zweck der Dialoggespräche zwischen Christen und Muslimen in Oberschleißheim. An diesem Donnerstag findet es zum zehnten Mal statt. Was hat es bisher gebracht?

Von Anna Reuß, Oberschleißheim

Wenn jemand wieder einmal etwas zum Islam fragt, schickt Pfarrer Ulrich Kampe ihn zu Deniz Dadli. Den kennt in Oberschleißheim fast jeder. Er kam mit neun Jahren aus der Türkei nach Deutschland und leitet heute das Jugendzentrum "Planet O". Kampe sagt dann zu den Leuten: "Fragt ihn doch mal, wie das bei den Muslimen ist. Der beißt nicht." Er selbst geht dafür ab und zu rüber ins "Planet O" und beantwortet die Fragen der Jugendlichen.

"Treffen sich ein Pfarrer und ein Imam" - was wie der Beginn eines politisch-inkorrekten Witzes klingt, ist an diesem Donnerstagabend zum zehnten Mal der Auftakt eines Gesprächs zwischen Christen und Muslimen in Oberschleißheim. Vorurteile abbauen, Toleranz schaffen, miteinander reden - das ist Sinn und Zweck der Gesprächsreihe. Zu der kommen neben dem katholischen Pfarrer Kampe und Imam Ahmed el-Khalifa regelmäßig auch die evangelische Pfarrerin Martina Buck, Jugendsozialarbeiter Dadli und Vertreter des deutsch-türkischen Freundschaftsvereins sowie der Volkshochschule.

Zehn Gespräche in zwölf Jahren. Diese Bilanz ist vor allem einem zu verdanken: Peter Benthues. Er ist ein Mann der vielen Ämter, ein "Phänomen" hat ihn die Süddeutsche Zeitung einmal genannt. 2012 erhielt er das Bundesverdienstkreuz. Eines seiner Projekte ist der christlich-muslimische Dialog, den der heute 80-Jährige 2005 ins Leben rief. Aus einem Vortrag entstand die Idee, das Angesprochene in einem Gespräch zwischen Muslimen und Christen fortzusetzen. "Am Anfang haben wir das noch unter uns gemacht", erzählt Benthues, also "laienmäßig". Seit einigen Jahren sind auch der katholische Pfarrer und seine evangelische Kollegin dabei. Zum dritten Mal nimmt nun der Imam der Freimanner Moschee teil. Die drei Theologen sollen ihr Fachwissen einbringen, aber nicht als Fürsprecher, sondern als theologisch Gelehrte. Benthues beginnt stets mit einer kleinen Einführung. "Anschließend haben die Gäste Gelegenheit für ein kurzes Statement", sagt er. Danach kann das Publikum mitdiskutieren. An diesem Donnerstagabend widmen sie sich der Frage: "Das soziale Engagement der Religionen als selbstlose Hilfe oder Teil der Missionierung?"

Nebeneinander und doch getrennt: Weil Christen und Muslime oft wenige oder falsche Vorstellungen von der ihnen fremden Religion und Kultur haben, bemüht sich eine Gruppe von Oberschleißheimern seit zwölf Jahren um Aufklärung. (Foto: imago stock&people)

Etwa 1600 Muslime leben in Oberschleißheim. Seitdem viele Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, habe das Interesse am Islam noch einmal zugenommen, sagt Dadli. Die Menschen möchten vieles wissen. "Ist doch klar, das gehört dazu", sagt er. Man müsse aber trennen zwischen Alltag und Tradition. "Was bedeutet eigentlich Weihnachten oder Fasten? Warum betet ihr fünfmal? Warum kauft ihr euch einen Tannenbaum, steht das etwa in der Bibel? Wie könnt ihr Gott durch drei teilen? Das ist laut Deniz Dadli der Kern des Dialogs - den anderen einfach mal fragen zu können. Der Austausch steht an erster Stelle: "Und zwar nicht auf akademischer Ebene", sagt Benthues.

Als es einmal um die Stellung der Frau ging, fragten viele im Publikum nach - etwa warum einige muslimische Mädchen nicht am Schwimmunterricht teilnehmen. Die Leute müssten verstehen, mit den Unterschieden des anderen zu leben, sagt Dadli. "Und dass Muslime keine homogene Gruppe sind." Bayern bestehe ja auch nicht aus Bergen und Lederhosen, sagt er, auch wenn das manche von außerhalb glaubten.

Fundamentalistische Auseinandersetzungen will Benthues, der die Veranstaltungen moderiert, vermeiden. Die Gäste sollen sich nicht gegenseitig Bibel-Zitate und Suren aus dem Koran vorhalten, um damit vermeintliche Widersprüche zu beweisen. Die Atmosphäre der Veranstaltung greift das auf: "Wir sitzen alle im Kreis, auf Augenhöhe." Natürlich sei Religion ein emotionales Thema, räumt Dadli ein, deshalb werde in den Dialoggesprächen auch mal leidenschaftlich diskutiert. "Es gibt Gemeinsamkeiten und Unterschiede", sagt Dadli. Manche Fragen, die die Unterschiede in den Religionen betreffen, könne man ohnehin nicht innerhalb von zwei Stunden klären, sagt auch Pfarrer Kampe. "Einmal mussten wir sagen: Das werden wir jetzt nicht klären, aber damit können wir auch umgehen."

Vor einigen Jahren verlegte man den Ort des Gesprächs von der Pfarrei in das nahegelegene Jugendzentrum "Planet O". Pfarrer Kampe erklärt dazu: "Vielleicht hat jemand Barrieren, in den Pfarrsaal zu gehen, aber weniger in die Räume der Gemeinde." Das Verhältnis zwischen Jung und Alt im Publikum sei "mal so, mal so". Bei den Gesprächen, in denen es um das Menschenbild in den Religionen ging, seien viele Jugendliche gekommen. Bei anderen zum Thema Frieden waren es mehr Ältere. "Wer noch selbst den Zweiten Weltkrieg erlebt hat, der ist auch stärker um den Frieden besorgt", glaubt Kampe.

Im Mittelpunkt der Veranstaltungsreihe steht der Austausch. "Wir begegnen uns in der Bäckerei oder Metzgerei, doch wir wissen zu wenig voneinander", sagt Dadli. Gerade seit den Anschlägen des 11. September 2001 werde über den Islam undifferenziert berichtet, findet er. "Das macht mit Christen und Muslimen etwas." Dadli wünscht sich deshalb, dass der Dialog sogar zweimal im Jahr stattfindet. Pfarrer Kampe klopft ihm auf die Schulte und entgegnet: "Ich sage immer, unsere Treffen jedes Jahr sind kleine Schritte. Wären es viele Schritte, könnte man auch hinfallen."

Peter Benthues findet, dass die Gespräche von den Oberschleißheimern so gut angenommen werden, sei ein großer Erfolg. Ob im Gottesdienst, der Schule oder im "Planet O" - Benthues, Kampe und Dadli werben für ihre Veranstaltungsreihe. Allen ist bewusst: Das Dialoggespräch sei nur der erste Anreiz. Die Begegnung geht weiter. Auf der Straße.

Das nächste Dialoggespräch findet an diesem Donnerstag, 9. November, um 19.30 Uhr in der Jugendfreizeitstätte "Planet O" in Oberschleißheim statt.

© SZ vom 09.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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