Unterhachinger Lesenacht:Orwell, Munch und die Drechselbank

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Franz Josef Keilhofer. (Foto: Claus Schunk)

Bei der Unterhachinger Lesenacht bekommt das Publikum außer Literatur auch Film und Musik geboten. Und ein junger Handwerker schwärmt von seiner Leidenschaft: dem Holz.

Von Georg Jahreis, Unterhaching

Kariertes Hemd und roter Bart. Franz greift zur Kettensäge. Aus einem Baumstamm sägt er einen Block Holz, trägt ihn zur Werkbank. Die Arbeit beginnt: drechseln, schleifen, ölen. Er begutachtet sein Werk: eine Schale. Franz kehrt die Späne am Boden zusammen. Das Video endet.

Die Zuschauer sind gespannt. Kein einziges Wort ist bislang gefallen.

Es war ein ungewöhnlicher Auftakt für die 13. Unterhachinger Lesenacht am Samstagabend. Zwölf Schriftsteller auf sieben Bühnen traten dort jeweils für eine Dreiviertelstunde auf. Darunter auch Franz Josef Keilhofer mit einer Lesung im Kubiz, dem Unterhachinger Kultur- und Bildungszentrum. Mit der anfänglichen Filmsequenz packte der Berchtesgadener das Publikum, zog es mitten hinein in die Welt des Holzes. In seinem Buch "Mit Holz, Herz und Hand" beschreibt er sein Drechslerhandwerk. Kein Aufsatz in technischer Sprache, kein Lehrbuch. Nein, Keilhofer huldigt dem Holz. Detailliert und feinsinnig gewährt der 30-Jährige Einblicke in seine Arbeit, bei der es auf Genauigkeit ankommt, schildert, wie er beim Drechseln durch die Nase atmen muss, um nicht die Holzspäne zu verschlucken, die sich in seinem langen Bart verfangen.

Der Holzfäll-Hipster kommt leise daher

Die teils sinnlichen Beschreibungen des Drechselns sind das Eine. Der Leser steigt zudem in die Lebensgeschichte des Berchtesgadeners ein, etwa wenn er im Kapitel "Holz und Krankheit" von seiner Depression erzählt. Der von den Medien zum markigen Holzfäll-Hipster stilisierte Keilhofer kommt in Unterhaching leise und bescheiden daher: "Das was ich tue, ist nichts Besonderes. Das Buch beschreibt nur jemanden, der genau das Richtige für sich gefunden hat."

Bei aller Poesie hat Keilhofers Text doch etwas sehr Authentisches, die metaphorische Verspieltheit ist nie übertrieben. Dass er sich für sein Buch Hilfe von Co-Autor Matthias Maus geholt hat, sieht der 30-Jährige nicht als Makel: "Ich bin Handwerker. Es gibt nichts, das mich mehr nervt, als wenn Leute ihre Arbeit nicht gescheit machen. Deshalb hab' ich jemanden gebraucht, der sich mit dem Schreiben auskennt." Im Buch vergleicht Keilhofer sein Handwerk oft mit der Kunst: Ungenau geschliffene Werkzeuge sind wie "verstimmte Musikinstrumente". Die Drechselbank ist sein "Klavier".

Mit einem echten Klavier geht es denn auch weiter im Programm. Bevor er seine Lesung beginnt, haut Wulf Schmid Noerr erst einmal kräftig in die Tasten - die Ouvertüre? Im ersten Gedicht, das Noerr aus seinem Buch "Gedanken Flügel" vorträgt, erfrischt sich ein Lyrikpreisträger bei seiner Lesung mehrmals "mit einem Schluck Wasser". Erfrischend kurzweilig soll dann auch Noerrs eigene Lesung, oder besser gesagt Performance, werden. Mal sitzt er und liest, mal steht er und trägt vor, spielt mit Mimik, Gestik, dem Klang seiner Stimme. Humorvoll, bisweilen bizarr, greift der 72-Jährige scheinbar selbstverständliche Dinge des Lebens auf, wendet sie und eröffnet so neue Blickwinkel. In einem Gedicht ist Munchs Gemälde "Der Schrei" als Tonaufnahme von einer Museumswand zu hören. In einem anderen stellt das lyrische Ich seiner Hose Fragen, die daraufhin alleine in die Stadt geht, wortlos.

Sprache als Denksport-Disziplin

In der Buchhandlung Helming und Heuser widmet sich später Daniel Scholten der deutschen Sprache. In seinem Buch "Denksport Deutsch" warnt der Sprachwissenschaftler mit einem Verweis auf George Orwells "1984" vor Sprach-Totalitaristen, die "Fußgänger" lieber durch "Zu-Fuß-Gehende" ersetzen möchten. Scholten zufolge ist im Grunde jedes Substantiv ein Maskulinum. Das Wort "Bundeskanzler" schließe Frauen keineswegs aus.

Apropos Frauen. Die einzige Autorin der Lesenacht ist Franziska Schönenberger. Die Filmemacherin erzählt in ihrem autobiografischen Buch "Tausche Dirndl gegen Sari" von ihrer Beziehung zu einem indischen Mann sowie dem Aufeinanderprallen der doch sehr unterschiedlichen Kulturen. Unterschiedlich und abwechslungsreich waren nicht nur die Texte bei der 13. Lesenacht in Unterhaching.

Auch bei ihren Auftritten ließen sich die Autoren einiges einfallen. Neben den vorgelesenen Zeilen gab es fürs Publikum Filmschnipsel, Spontanreferate und Mini-Klavierkonzerte.

© SZ vom 15.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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