Unterhaching:Spektakel mit Spezialeffekten

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Spuk im Opernhaus: Die junge Opernsängerin Julia (Julia Häusler im roten Kleid) will wissen, was es mit den drei Toten auf sich hat. (Foto: Claus Schunk)

"Der letzte Gast" nimmt die Zuschauer mit auf eine Reise ins Ungewisse und siedelt die Erwartungen da an, wo sie hingehören - in der Realität

Von Franziska Gerlach, Unterhaching

Musik von Guns 'N' Roses und Puccini auf einer Bühne, dazu waghalsige Zirkusakrobaten in immer anderen Kostümen, ein Skelett am Flügel und drei Todesfälle. "Der letzte Gast", ein artistischer Opernkrimi, erinnerte manchen Zuschauer im Unterhachinger Kubiz an ein prall gefülltes Überraschungsei: Man wusste nie, was man in der nächsten Szene bekommen sollte.

Und das war gerade das Schöne an dem zweistündigen Spektakel, das die Opernsängerin Julia Häusler und das Münchner Sporttheater Ensemble in Kooperation erarbeitet hatten: dass sich die Geschichte langsam entwickelte. Selbst in der Pause hatte am Freitagabend so mancher im voll besetzten Saal noch nicht den Hauch einer Ahnung, wie die drei Künstlerinnen in dem fiktiven Opernhaus denn nun zu Tode gekommen waren. Mord? Suizid? Und, was um alles in der Welt, hat der ominöse, letzte Gast damit zu tun? Sitzt immer nur reglos da auf seinem Stuhl, das Gesicht in den Händen verborgen. Sehr seltsam, die ganze Sache.

Peu à peu turnten sich kleinen und großen Darsteller dem Höhepunkt entgegen, verkeilten die Glieder zu Pyramiden, schwangen in ausladenden Posen am Trapez oder dehnten den Rücken zu geschmeidigen Bogengängen. Zwischendrin gab es Schauspieleinlagen - und Operngesang von Julia Häusler, der entzündeter Stimmbänder wegen vom Band kam. Machte aber nichts. Denn wie die Opernsängerin jetzt, am Ende des Stückes, im dunkelroten Kleid auf der Bühne stand, da war ihr die ungeteilte Aufmerksamkeit des Publikums gewiss: Die drei Frauen haben sich das Leben genommen, löst sie den Fall. Aus Liebeskummer oder weil sie sich von Kunstkritikern und Talentscouts nicht beachtet sahen. "Ihr habt zu viel und vor allem das Falsche erwartet", sagte Julia Häusler zu den dreien, die vor ihr aufgebahrt liegen. Mausetot sind sie. Nur um im nächsten Moment wieder aufzuerstehen und auf flacher Sohle mit pastellfarbenen Tüchern einen sinnlichen Schmetterlingstanz aufzuführen, ausgesöhnt mit sich und ihrem Schicksal. Als zentrale Botschaft in der Geschichte um Julia, einer jungen Absolventin des Operngesangs, die nichts lieber möchte als einmal im "Opernhaus Haching"auftreten, schälte sich letztlich der Appell an die Dankbarkeit heraus. Und die Erkenntnis, dass nur enttäuscht werden kann, wer zu viel erwartet.

Ein wenig traf das auch auf die Protagonistin zu. Denn als Julia hoffnungsfroh am Opernhaus ankommt, muss sie feststellen, dass es am Tag darauf abgerissen werden soll. Kein Mensch weit und breit, Julia trifft lediglich die drei toten Damen und ihr graues Gefolge an, das in syntaktisch leicht verdrehten Sätzen schon früh auf die Moral des Ganzen hinweist. "Ich, ich, ich", rufen die Artistinnen im Chor. "Wer immer will, sieht sich nur!"

Das darf guten Gewissens als Abgesang auf jenen Verwöhnungsanspruch gedeutet werden, mit dem unsere Gesellschaft dem Leben allzu gerne begegnet. Wir sind daran gewöhnt, dass alles gelingt, und wenn es mal nicht so läuft, wird sich schon eine Lösung finden. Notfalls mit Geld. Besonders die Vehemenz, mit der die unglückseligen Künstlerinnen in "Der letzte Gast" die Geschehnisse missdeuteten, erinnert doch stark an die Anekdote vom "Hammer", die Paul Watzlawick einst in seiner großartigen "Anleitung zum Unglücklichsein" mit viel Gespür für die richtige Dosis Ironie niederschrieb. Aber auch Verena Kanoldt und Nina Hausner, die Regisseurinnen des Opernkrimis, begegnen dem psychologisch komplexen Thema mit einer Leichtigkeit, die gut tat. Momente, in denen sich die Mundwinkel auf den Weg nach oben machten, gab es zumindest einige.

"Sie könnten mich groß rausbringen!", schleudert eine junge Frau dem letzten Gast in seinem Stuhl entgegen, der sich als Leo entpuppt, Erbe des fiktiven Opernhauses und unfreiwillige Projektionsfläche für überzogene Sehnsüchte. "Doch er sieht mich einfach nicht, ich bin ein Nichts, ein niemand, ich kann es einfach nicht!", lamentiert die Verkannte nun. Und wie sie da leidet, ja fast zerfressen wird von ihrem Bedürfnis nach Anerkennung und schließlich vergiftet zu Boden sackt, da muss man schon sagen: Das war nicht nur gut gespielt, das war das ganz große Drama. In dieser Tiefe war die Tragik unerfüllter Wünsche dem kleinen Jungen, der zuvor eine Leiter aus Menschenkörpern erklommen hatte, wohl nicht bewusst. Aber auch er rührte. Und dass mal jemand patzte, machte das Stück nur noch liebenswerter. Denn genau darum ging es: die Erwartungen dort anzusiedeln, wo sie hingehören - in die Realität.

© SZ vom 20.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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