Unterföhringer Seniorenzentrum:"Probleme können immer mal wieder mal auftauchen"

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Heimleiter Bernd Meurer und Bürgermeister Andreas Kemmelmeyer beziehen Stellung zu den öffentlichen Vorwürfen gegen das Altenheim. Mittlerweile gibt es ein neues Leitungsteam und geplant sind auch regelmäßige Treffen mit dem Seniorenbeirat

Interview Von Vinzenz Neumaier und Sabine Wejsada, Unterföhring

Falsche Medikation, Legionellen im Wasser: Der Unterföhringer Seniorenbeirat, die Heimaufsicht und der Pflege-Kritiker Claus Fussek haben erhebliche Mängel im örtlichen Seniorenzentrum festgestellt. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung beziehen Heimbetreiber Bernd Meurer und Andreas Kemmelmeyer, Bürgermeister der Gemeinde Unterföhring, in deren Besitz sich das Seniorenzentrum befindet, Stellung zu den öffentlich gemachten Missständen.

SZ: Herr Meurer, erste Frage an Sie. Seit wann sind Ihnen die Probleme im Unterföhringer Seniorenzentrum bekannt?

Meurer: Ich habe etwa Mitte vergangenen Jahres festgestellt, dass es Unzufriedenheiten gibt, bei Mitarbeitern und Angehörigen. Am Anfang spürt man das auf eine diffuse Art und Weise. Ich habe versucht, mir einen Eindruck zu verschaffen, indem ich mit Angehörigen und Mitarbeitern gesprochen habe. Und da habe ich gemerkt: Es läuft nicht. Ich hatte ja bereits früher ein externes Qualitätsmanagementunternehmen beauftragt, das einen Tag kommt, sich Bewohner, Arbeitsprozesse und Abläufe anschaut. Darauf aufbauend, werden Vorschläge gemacht. Ich habe mich dafür entschieden, dass die Firma die Prozesse im Heim begleitet und überwacht.

War diese Unzufriedenheit, die Sie da gespürt haben, der Grund dafür, dass Sie dieses Unternehmen beauftragt haben?

Meurer: Ich glaube, im Februar 2017 waren die zum ersten Mal da. Ich selbst hatte einen gewissen Abstand zu der Einrichtung in Unterföhring. Das war für mich auch eine Art von Qualitätsmanagement, weil jeder Betrieb auch eine gewisse Betriebsblindheit haben kann. Wir hatten außerdem eine Prüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen, mit der Note 1,5 im Bereich Pflege und einer 1,0 bei der Hygiene. Jetzt wird irgendwann eine weitere kommen.

Der bayerische Durchschnitt beim Pflege-TÜV liegt bei 1,4. In der Umgebung sogar zwischen 1,0 und 1,3. Was können Sie tun, um diese Bestnoten zu erreichen?

Meurer: Weiterarbeiten.

Konkret?

Meurer: Ich habe mich ab dem Sommer persönlich öfters hier eingebracht. Man muss den Mitarbeiterstab stabilisieren, ständig neues Personal einarbeiten, das ist aufwendig, kostet Geld und bringt keine Bestnoten. Das muss man mal ganz klar sehen. Als ich die Mitarbeiterfluktuation mitbekam, fragte ich nach den Gründen.

Haben Sie eine Antwort gekriegt, warum so viele Menschen den Dienst quittiert haben?

Meurer: Natürlich kriegen sie eine Antwort, aber ob das immer die richtige Analyse ist, weiß man nicht. Schlussendlich blieb nur ultima ratio: Vom Heimleiter und von der Pflegedienstleitung musste ich mich trennen. Ich hatte noch keinen Nachfolger, sodass ich ab November vergangenen Jahres bis einschließlich Januar hier die Leitung übernehmen musste.

Lief es unter Ihrer Leitung besser?

Meurer: Ich hoffe, ja. Die Rückmeldungen sind so. Ich bin Krankenpfleger, ich habe die Heimleiterqualifikation und ich war jeden Wochentag hier. 60, 70 Prozent der Zeit habe ich auch hier im Haus geschlafen.

Auf wie vielen Prozent sind Sie gelaufen in den drei Monaten, als Sie in Unterföhring die Leitung inne hatten?

Meurer: Auf vollen Touren. Ich habe zwei Schichten mitgemacht, wobei ich sagen muss, es war mir keine Last. Ich bin hier auf eine motivierte Mannschaft gestoßen, die gesagt hat: Gut, dass Sie jetzt da sind. Die haben nur darauf gewartet, dass jetzt ein wirklich professionelles Führungsteam kommt. Mit Frau Homann und Frau Hardek ist das gelungen.

Wieso hat man dem vorigen Führungsteam so lange zugeguckt? Ist es nicht zu Ihnen gelangt, dass da etwas schief läuft?

Meurer: Von allem etwas. Das Verhältnis hat 16 Monate lang gedauert, das ist nicht allzu lang. Das alte Führungsteam, das muss ich fairerweise sagen, ist mit sehr viel Energie und Enthusiasmus gestartet.

Waren die dann müde gelaufen?

Meurer: Das weiß ich nicht. Vermutlich ja. Wieso habe ich das so spät erkannt? Man muss jedem Leitungsteam das Recht einräumen, ein klein wenig seinen eigenen Stil zu haben, und ihm auch die Chance lassen, sich zu beweisen. Was manchmal klappt oder auch nicht. Ich denke, das ist das Leben. Doch dann kommt die Phase, in der man merkt, es läuft nicht so, wie man es persönlich empfehlen würde. Und dann fängt man an, zu intervenieren, und irgendwann kommt der Moment, wo man sagt: Jetzt geht's nicht mehr.

In Unterföhring beklagten sich Angehörige und Bewohner schon sein längerem, dass es im Seniorenzentrum Probleme gebe. Tatsächlich hat der Heimbetreiber darauf reagiert und Dinge verändert. (Foto: Sabine Wejsada)

Herr Meurer, die Probleme im Heim gab es 16 Monate lang, bevor Sie im Sommer 2017 eingeschritten sind?

Meurer: Ich habe von den Mitarbeitern und von den Angehörigen für diese Zeit verstärkt Rückmeldung bekommen. Ich will zum Thema Probleme ein offenes Wort reden. Probleme können immer wieder mal auftauchen. Dann werden die abgearbeitet, dann denkt man das Problem ist erledigt, dann stellt man fest, es kommt doch wieder. Das kann damit zu tun haben, dass ein Mitarbeiter abwandert. Nicht nur weil er unzufrieden ist, sondern weil er schwanger ist, weil er woanders hinzieht. Probleme wird es immer wieder geben. Wichtig ist, dass man die früh erkennt und in einem möglichst frühen Stadium dann angehen kann und dafür die Tools hat.

Uns liegt ein Schreiben von 2010 vor, indem bereits ähnliche Probleme angesprochen wurden, wie es der Unterföhringer Seniorenbeirat jetzt getan hat.

Meurer: Machen Sie mir mal eine Kopie. Dann kann ich dazu Stellung beziehen.

Wir können Ihnen gern etwas daraus vorlesen: " Das Personal ist oft sehr frech und ungehalten, nicht selten kommt es vor, dass man lauthals angeschrien wird. Auch andere Angehörige berichten von ähnlichen Problemen, fühlen sich nicht ernst genommen und haben keinen Ansprechpartner. Unser Angehöriger riecht nicht gut und wurde seit längerer Zeit nicht gewaschen. Unser Angehöriger denkt öfter ans Sterben, das ist neu und macht uns Sorgen".

Meurer: Wenn ich zu konkreten Fällen Stellung beziehen soll, dann muss ich eins sagen: 2010 liegt natürlich sehr weit zurück, um da jetzt noch mal genau einzusteigen. Mal unterstellt, dass das alles so war. Ich habe jetzt keine Möglichkeit, einen Mitarbeiter dazu zu befragen, damit er sich da rechtfertigen könnte. Ich weiß nicht, ob dieser Mitarbeiter jetzt noch im Haus ist.

Herr Kemmelmeyer, seit wann wussten Sie von den Problemen im Haus?

Kemmelmeyer: Einige Male sind Angehörige zu mir gekommen, auch Bewohner. Ich habe ihre Beschwerden an die damalige Heimleitung weitergegeben.

Wie hat diese darauf reagiert? Hat sie die Kritik abwiegeln wollen?

Kemmelmeyer: Nein, nein, die haben gesagt, wir kümmern uns. Teilweise haben die Angehörigen darum gebeten, die Sache vertraulich zu behandeln.

Weil ein Klima der Angst herrschte?

Kemmelmeyer: Es gibt viele Leute im Ort, die mir sagen: Ich habe mit dem und dem ein Problem, aber sagen Sie nichts. Das ist unabhängig vom Pflegeheim.

Der neu gewählte Seniorenbeirat hat sich mit den Missständen im Pflegeheim beschäftigt...

Kemmelmeyer: ...er hat die Probleme aufgegriffen. Beschäftigt hat sich der vorherige Seniorenbeirat genauso damit.

Also gibt es die Probleme schon länger?

Kemmelmeyer: Der frühere Seniorenbeirat hat sich genauso mit diesen Problemen beschäftigt, die immer wieder auftreten.

Hat der Seniorenbeirat die Probleme an Sie kommuniziert?

Kemmelmeyer: Selbstverständlich.

Wir sind ja im dauernden Austausch.

Herr Meurer, stehen Sie mit dem Seniorenbeirat in Kontakt?

Meurer: Der Seniorenbeirat ist, nachdem er sich im vergangenen Herbst neu konstituiert hat, mit uns noch nicht in Kontakt getreten. Wir haben auch keinen Bericht des Beirats. Was uns ein bisschen verwundert hat. Hätten sie ja auch mal gekonnt. Ich habe jetzt den Vorsitzenden angerufen und den Beirat eingeladen. Mitte April ist es so weit. Ich bin da offen für die Gespräche.

Also, wenn es etwas gäbe, dann kann man zu Ihnen kommen, Herr Meurer?

Meurer: Zu mir kann jeder kommen, insbesondere Angehörige und Bewohner. Sie können ihre Kritik äußern, ohne dass sie befürchten müssen, dass ich verärgert bin.

Was uns zugetragen wurde, ist, dass diese weniger Angst vor Ihnen haben , sondern davor, dass der Bewohner darunter leiden könnte.

Meurer: Wenn jemand versuchen würde, einen Bewohner zu sanktionieren und ich würde das mitkriegen, würde ich sofort arbeitsrechtlich reagieren. Da können Sie sicher sein.

Bernd Meurer (rechts) und Andreas Kemmelmeyer beim Rundgang im Haus. Sie wollen die Zusammenarbeit zwischen Heim und Gemeinde intensivieren. (Foto: Sabine Wejsada)

Welche Möglichkeiten gibt es, auftretende Probleme frühzeitig zu lösen?

Meurer: Ein gutes Leitungsteam, das nah an der Mannschaft ist und diese Probleme erkennt; wo eine Vertrauensbasis da ist, damit die Mitarbeiter auch sagen können: Ich habe einen Fehler gemacht, ohne dass sie Angst haben zu müssen. Fehler sind menschlich, besonders unter Stress.

Herr Kemmelmeyer, waren Sie überrascht, als die Missstände bei der Podiumsdiskussion vor zwei Wochen angesprochen wurden?

Kemmelmeyer: Insofern nicht überrascht, als dass der Herr Fussek immer Missstände in der Pflege anprangert, nicht nur lokal. Es ist ja auch bekannt, dass der Herr Fussek und der Herr Meurer nicht die besten Freunde sind...

Meurer: ... aber auch keine Feinde, auf diese Feststellung lege ich Wert. Fussek war vor zehn, zwölf Jahren in meiner Einrichtung in Katzenelnbogen und anschließend hat er gesagt: Das ist ein Leuchtturm in der Landschaft und jetzt hat er gesagt, hier (Unterföhring, Anm. d. Red) ist kein Leuchtturm in der Landschaft. Ich stimme in vielen Dingen mit dem Herrn Fussek überein, vielleicht nicht in der Art der Darstellung.

Kemmelmeyer: Ich war überrascht, dass Herr Fussek mich bei der Diskussion so angegangen ist. Ehrenamtliche hatten mir erzählt, dass sie nicht mehr gerne ins Heim gehen. Ich habe mich mit der früheren Leitung und auch Herrn Meurer zusammengesetzt und die Probleme angesprochen. Die Ehrenamtlichen sind wichtig fürs Heim.

Wie soll es jetzt weiter gehen?

Meurer: Die Zusammenarbeit mit Gemeindeverwaltung und Bürgermeister ist ausgesprochen gut. Wenn ich ein Problem habe, haben die ein offenes Ohr. Der nächste Schritt ist, dass ich den Kontakt mit dem Seniorenbeirat suche. Ich denke, der Seniorenbeirat hätte uns konfrontieren sollen.

Herr Meurer, aber Sie konnten doch in der Gemeinderatssitzung zum Bericht des Seniorenbeirats Stellung nehmen.

Meurer: Nein, das wurde da nicht diskutiert, den kannte ich nicht.

SZ: Was wurde in der Sitzung diskutiert?

Meurer: Ich treffe einmal im Jahr den Gemeinderat und berichte allgemein zur Situation im Heim, diesmal haben wir auch den Bericht der Heimaufsicht besprochen.

Herr Kemmelmeyer, werden Sie den 2019 auslaufenden Vertrag mit Herrn Meurer verlängern?

Kemmelmeyer: Ich werde mich generell nicht über vertragliche Dinge öffentlich unterhalten.

Herr Meurer wünschen Sie sich, dass der Vertrag verlängert wird angesichts Ihres Einsatzes...

Meurer: Ich wünsche mir, dass wir wieder aus den Schlagzeilen kommen. Dass man benennt, dass es Probleme gegeben hat, ist für mich kein Problem.

Kemmelmeyer: Die Zusammenarbeit zwischen Gemeinde und Heim wird intensiviert. Ich habe dem Seniorenbeirat mitgeteilt, dass wir uns regelmäßig treffen, alle drei Monate ist vorstellbar.

Im Beisein des Seniorenbeirats?

Kemmelmeyer: Selbstverständlich.

Als vertrauensbildende Maßnahme?

Meurer: Ja, das fehlt im Moment ein bisschen. Das Schlimme ist, wenn etwas schief läuft, dann können zehn Dinge gut laufen, aber das eine dominiert. Und das muss man reduzieren, reduzieren, reduzieren.

© SZ vom 26.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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