Unterföhring:Erregende Oktavsprünge

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Jazz-Sängerin Dianne Reeves begeistert in Unterföhring

Von Cathrin Schmiegel, Unterföhring

Der Saal wirkt trotzt seiner 609 Plätze intim. Ja, der Raum bekommt nach und nach etwas Privates. Es ist ein Gefühl von Exklusivität, das die Jazz-Virtuosin Dianne Reeves dem Publikum besonders gut geben kann. Alles an ihr zieht die Menschen in den Bann: die absolute Bühnenpräsenz, die fiebernden Scats und die markante Stimme, die in den hohen Lagen etwas aufreizend Heißeres entfaltet. Ein paar Sitze weiter schließt eine Frau ihre Augen, bedächtig. Wohl um eben jenem Detail besser lauschen zu können. So existieren in dem Saal ausschließlich Dianne Reeves und ihr vierköpfiges Ensemble, die beim 13. Jazz-Weekend im Unterföhringer Bürgerhaus gastieren und Titel ihres neuesten Albums "Beautiful Life" und früherer Werke aufführen. Nur zwischendrin - bei frenetischem Applaus - nehmen die Zuschauer die übrigen Anwesenden wahr.

Dianne Reeves ist eine Koryphäe des Jazz. Diese Musik hat sie in ihrer Geburtsstadt aufgesogen: In Detroit, die vor Industriestaub starrte und in der Soul und Funk simultan mit der Sängerin aufgezogen wurden. Heute steht der fünfte Grammy in Reeves Regal. Den letzten davon hat sie für ihr aktuelles Album gewonnen. Für die Karriere hatte sie beste Voraussetzungen: George Duke, der im Fusion-Jazz zu Hause ist, ist ihr Cousin. Der Bassist Charles Burrell ihr Onkel. Reeves kopiert ihre musikalischen Vorlagen jedoch nicht nur, sie drückt dem Jazz ihre eigene Note auf. In "Tango" tanzt ihre Stimme einen vibrierenden Scat, sie ejakuliert nahezu bei "One For My Baby" - einem Stück des Albums "Good Night, And Good Luck". Die Stromgitarre des Brasilianers Romero Lubambo treibt das Stück an, Reginald Veal führt seinen Kontrabass aus. Und Reeves? Ihre Stimme bewältigt Oktavsprünge, als ob sie virtuos mit einem Seil tanzte. Die Erde bebt. Ein Mann im Publikum stampft wie von Sinnen aufs Parkett.

Zu keinem anderen Zeitpunkt an diesem Abend ist den Zuschauern klarer, wieso sogar der Präsident der USA Reeves Musik verfiel. Er lädt sie regelmäßig für Privatkonzerte ins Weiße Haus ein. Barack Obama ist bekannt für seinen exquisiten Musikgeschmack. So ist es nicht weiter überraschend, das Reeves in seine Sammlung gehört: Der Sängerin scheinen sie alle verfallen zu sein. Sie flirtet gern, auch mit den Großen. Sie huldigt Fleetwood Mac mit der Cover-Version von "Dreams", das sie als erstes an diesem Abend singt, und mit "Waiting In Vain" Bob Marley.

Eifersüchteleien müssen hier nicht aufkommen. Ihren Charme hat Reeves nicht für die kleine Runde aufgespart. Sie schüttet ihn mit vollen Armen aus, vor ihrem Publikum und ihrem eigenen Ensemble. Ihren Drummer Terreon Gully mit dem süffisanten Lächeln nennt sie ihre "driving force", mit dem sie es nur gern "all night long" tun würde. Sie zwinkert Peter Martin zu, der hinter seinem Flügel verharren muss. Und ruft ihren Bassisten Reginald Veal mit dem schelmischen Lachen ihren "Sugarboy". Der Zuschauer wird bei einem ekstatischen Solo zwischen beiden zum Voyeur, der breitwillig in Reeves Schlafzimmer geladen wird. Es ist eine Liebeserklärung: an die Musik und ihre Hörer.

Wieder einmal an diesem Abend wäre man beim Privaten angelangt. Draußen ist es längst dunkel. Reeves entlässt ihr Publikum in die Nacht. Natürlich spricht sie ihre Abschiedsküsse nicht, sie singt sie. Für ihr Improvisationstalent ist die Grand Dame des Jazz bekannt. Den Anwesenden hat sie damit imponiert, das erkennt man an den geröteten Wangen. Die Menschen denken wohl an das, was Reeves noch in "One For My Baby" besungen hat: "Thanks for the cheer."

© SZ vom 21.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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