Unterföhring:"Baudenkmäler sind keine Massenware"

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Die Diskussion um das alte Bahnwärterhaus in Unterföhring, das Zindlerhaus, ruft jetzt das Denkmalamt auf den Plan. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Das Landesamt für Denkmalpflege kündigt an, das Zindlerhaus in Unterföhring unter die Lupe zu nehmen. Der Chef der Fachbehörde, Mathias Pfeil, erklärt, warum ein Gebäude mehr als alt sein muss, um geschützt zu werden.

Interview von Georg Jahreis, Unterföhring

Seit bekannt ist, dass das Zindlerhaus in Unterföhring für den Bau der neuen Ortsmitte abgerissen werden soll, sind Heimatkundige und Liebhaber alter Gebäude in Aufruhr. Warum, fragen sie sich, steht das Bahnwärterhaus nicht unter Denkmalschutz? Zuständig dafür ist das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege. Die SZ sprach mit dem Chef der Behörde, Mathias Pfeil.

SZ: Herr Pfeil, es gibt den Begriff "Baudenkmal". Man sagt: "Etwas steht unter Denkmalschutz." Ist das dasselbe?

Mathias Pfeil: Denkmalschutz ist der Überbegriff. Ein Baudenkmal ist ein Gebäude, das unter Denkmalschutz steht. Es gibt aber auch zum Beispiel Boden- und Gartendenkmäler.

Warum zählt das Zindlerhaus in Unterföhring nicht zu den Baudenkmälern?

Das Zindlerhaus ist in unserem Haus in den vergangenen Jahren nicht geprüft worden. Es liegen bisher keine Unterlagen vor, die das Haus zu einem Baudenkmal machen würden. Infolge der laufenden Diskussion und der Medienberichte darüber werden wir uns das Gebäude aber noch einmal ansehen.

Wann wird das passieren?

In den nächsten Wochen.

Wie wird denn ein Haus zu einem Baudenkmal?

Es gibt den Artikel 1 des Denkmalschutzgesetzes. Demnach muss ein Denkmal aus vergangener Zeit stammen und von Menschen geschaffen sein. Der Erhalt des Gebäudes muss aufgrund seiner geschichtlichen, künstlerischen, städtebaulichen, wissenschaftlichen oder volkskundlichen Bedeutung dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Das Gebäude muss im Vergleich zu anderen Gebäuden etwas Herausragendes, etwas Besonderes haben.

Das klingt sehr subjektiv.

Nein. Sie müssen ihre Einschätzung begründen können, und zwar so, dass sie gerichtsfest ist. Sie müssen genau darlegen, warum gerade diese Bauaufgabe etwas Besonderes ist oder warum bei einem Gebäude beispielsweise der geschichtliche Hintergrund oder die Bautechnik etwas Herausragendes ist. Unsere Aufgabe ist es, Baudenkmäler als solche zu erkennen und sie in die Denkmalliste einzutragen.

Wie läuft das praktisch ab?

Ein Mitarbeiter schaut sich ein Gebäude an und bildet sich eine erste Meinung. Er holt sich zudem Unterlagen ein, studiert die Bauakten, geht in Archive. Wir stellen vergleichende Untersuchungen an, immer vor dem Hintergrund: Ist die Aussagekraft dieses Gebäudes höher als die von anderen Gebäuden? Solch eine Prüfung kann Monate dauern. Wenn sie abgeschlossen ist, schreiben wir die Gemeinde an, teilen ihr mit, dass wir das Gebäude als Denkmal in die Liste eintragen wollen. Die Gemeinde hat dann drei Monate Zeit, etwas einzuwenden. Vielleicht bringt sie nochmals einen neuen Aspekt vor, der unsere Informationen ergänzt oder auch einmal gegen den Schutzstatus spricht. Dann prüfen wir erneut. Kommen in den drei Monaten keine fachlichen Ergänzungen, ist das Verfahren abgeschlossen.

Sie haben das Wohl der Allgemeinheit herausgestellt. Was hat es damit auf sich?

Es geht beim Denkmalschutz um einen Eingriff ins Eigentum. Das Gemeinwohl steht dabei über dem Eigentumsrecht. Privatinteressen stehen hinter öffentlichen Interessen zurück, zumindest in Teilen. Sie müssen als Eigentümer gewisse Verfahrensschritte einhalten, wenn Sie an dem Denkmal etwas verändern wollen. Deshalb ist das Gemeinwohl entscheidend. Sie, ich und jeder andere soll einen Mehrwert von der Denkmaleintragung haben.

In Unterföhring gibt es nicht mehr viel an alter Bausubstanz. Warum dann also das alte Zindlerhaus abreißen? Wird ein Gebäude eher zu einem Denkmal, wenn in seiner Umgebung wenig Erhaltenswertes zu finden ist?

Es kommt immer darauf an, was das einzelne Gebäude aussagt. Die unmittelbare Umgebung ist nicht so wichtig. Es gibt natürlich auch Denkmalensembles. Ein Ortskern oder eine Siedlung werden dabei insgesamt unter Schutz gestellt.

Wie schützt der Stempel "Baudenkmal" ein Gebäude?

Sie dürfen ein Denkmal nicht ohne denkmalschutzrechtliche Erlaubnis abreißen oder verändern. Diese Erlaubnis zu erteilen oder zu versagen, ist Aufgabe der Unteren Denkmalschutzbehörden, also eines Landratsamts oder einer Stadtverwaltung. Das Landesamt gibt in diesem Verfahren eine Fachstellungnahme ab. Die bekommt die Untere Denkmalschutzbehörde. Sie vergleicht die Belange des Denkmalschutzes mit anderen und wägt ab. Es kann sein, dass andere Belange wichtiger sind als der Denkmalschutz, und die Untere Denkmalschutzbehörde den Abriss genehmigt.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Gehen wir von einem Industriedenkmal aus. Dort tritt eine Kontamination auf. Die bekommt man nicht in den Griff, solange das Gebäude steht. In solch einem Fall können Belange wie der Trinkwasserschutz und die Gesundheitsvorsorge wichtiger sein als der Denkmalschutz.

Hat dann die Untere Denkmalschutzbehörde das letzte Wort?

Ja. Ihre Entscheidung muss aber gerichtsfest sein. Es wird oft genug geklagt, sei es für oder gegen den Erhalt eines Gebäudes.

Wie geht die Gesellschaft grundsätzlich mit ihrer alten Bausubstanz um?

Das ist regional verschieden. Insgesamt haben wir zirka zehn Millionen Gebäude in Bayern. 1,5 Prozent davon sind Denkmäler. In München sind es ungefähr vier Prozent. Etwa in manchen ländlichen Gebieten Oberfrankens entsteht weniger schnell eine Bürgerinitiative, wenn ein Denkmal schlecht behandelt wird, in München aber sehr wohl. Das hat auch mit dem enormen Investitionsdruck zu tun. Die Eigentümer wollen oft neu, höher und intensiver bauen. Die Gesellschaft sieht, dass immer mehr gesichtslose Architektur entsteht, aber immer weniger Gebäude, mit denen sie sich identifizieren kann.

"Das Gemeinwohl steht über dem Privatinteresse": Generalkonservator Mathias Pfeil vom Landesamt für Denkmalpflege. (Foto: Catherina Hess)

Angenommen, ein Unternehmen will ein neues Gebäude bauen, dem ein altes im Weg steht. Wie reagieren Sie, wenn es Interessenskonflikte gibt?

Zunächst muss man erklären, dass das Alte einen Wert hat und nicht im Weg steht. Es ist möglich, einen Altbau so umzubauen, dass er den neuen Bedürfnissen gerecht wird. Man muss das Gefühl dafür wecken, dass das Gebäude wertvoll ist. Wir fördern Voruntersuchungen, die statische, architektonische und restauratorische Fragen klären, finanziell. Wir beantworten damit Fragen, die sich der Eigentümer stellt: Was kann ich aus dem Gebäude machen? Was kostet mich das? Wie viel Geld bekomme ich vom Staat dafür?

Wer ist die Lobby der alten Gebäude?

Vor allen Dingen sind es die Bürger. Die Menschen, die durch Orte laufen, haben das Bedürfnis, die eigene Geschichte zu sehen. Sie können die eigene Geschichte nirgendwo besser sehen als in der gebauten Umwelt. Gerade in den größeren Städten Bayerns, deren Gesicht sich zunehmend schnell wandelt, entsteht meines Erachtens ein immer stärkeres Bedürfnis, Identität spüren zu wollen.

Eine Unterföhringerin sagt: "Es sollte etwas vom Alten erhalten bleiben." Ist etwas erhaltenswert, nur weil es alt ist?

Grundsätzlich ist das Alter allein nicht ausschlaggebend. Es sei denn, etwas ist sehr alt. Eine Mauer aus der Römerzeit ist selten. Sie sagt geschichtlich und wissenschaftlich viel aus. Ein Gebäude aus dem 19. Jahrhundert ist allein aufgrund seines Alters nicht so wertvoll wie ein Gebäude aus dem dritten Jahrhundert. Ein Denkmal ist nur deshalb etwas Besonderes, weil es einer der Zeugen der Vergangenheit ist, die ich nicht nebenbei an der Straße finde. Wir im Landesamt dokumentieren Authentizität. Baudenkmäler sind keine Massenware. Den Wunsch der Bevölkerung, sich mit der Vergangenheit beschäftigen zu wollen, unterstützen wir natürlich. Denkmalpflege darf aber nicht inflationär werden.

Warum nicht?

Wenn wir zu viele Denkmäler ausweisen und damit massiv in eine Ortsentwicklung eingreifen, wird es schwierig. Jede Gesellschaft muss sich weiterentwickeln. Wenn man unbegründet zu stark eingreift, ist das der falsche Weg. Der gesellschaftliche Mehrwert muss immer größer sein als der Eingriff ins Privateigentum.

© SZ vom 16.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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