Ungewöhnliche Skulpturen:Der Allesverwerter

Lesezeit: 3 min

Der Künstler Lorenz Straßl hat sein Atelier in einem alten Haus in Oberschleißheim. Dort experimentiert er mit Fundstücken und Dingen, die andere Menschen aussortiert haben, um daraus etwas Neues, vielleicht sogar Kosmisches zu schaffen.

Von Franziska Gerlach, Oberschleißheim

Da wären zum Beispiel die alten Schallplatten, die Lorenz Straßl solange geföhnt hat, bis sich das Plastik unter der heißen Luft in einen glänzenden schwarzen Ball verwandelte. Aber auch für die Plastikgehäuse von Leuchtröhren, einen Skistock aus den Fünfzigerjahren oder die Bürsten einer Reinigungsmaschine findet er Verwendung. Nichts von dem ist für ihn Plunder, fast alles hat das Zeug zur Skulptur. Und sieht Straßl irgendwo einen Container stehen, dann kommt er nicht umhin, einen Blick hineinzuwerfen.

Oft findet der Münchner Künstler mit dem Atelier in Oberschleißheim in diesen Containern tatsächlich Gegenstände, die sich zur Kunst erheben lassen. Umzüge seien eine gute Gelegenheit, um an "Fundstücke" zu gelangen, sagt der 48-Jährige, auch ein Gang über den Flohmarkt auf der Münchner Theresienwiese lohne sich, und zwar am besten gegen Ende der Veranstaltung, wenn die Leute den Krempel verschenken, den sie nicht losgeworden sind. "Ich kann wirklich die ungewöhnlichsten Sachen gebrauchen", sagt Straßl.

Gerade zeigt eine Galerie in der Maxvorstadt in München einige Schwarz-Weiß-Fotografien seiner Installationen und zehn seiner Skulpturen. Eine davon erinnert an ein Wegkreuz - allerdings bildet bei Straßl nicht Jesus das Zentrum, sondern der schwarze Ball aus den geschmolzenen Schallplatten. An die Stelle einer religiösen Symbolik setzt der Künstler quasi die Kugel als kosmische Grundform. Eine endgültige Definition möchte Straßl seinen Werken aber nicht aufnötigen. Wer also darüber sinniert, was der Künstler nun mit dieser oder jener Arbeit sagen möchte, wird hier nicht weit kommen. Denn dessen Skulpturen erzählen keine konkrete Geschichten. Sie sollen Gefühle provozieren. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Viel Gespür für Farben und Proportionen

Im Schaffensprozess sei es dann weniger eine bestimmte Idee als der Gegenstand selbst, sagt er, der einen Reiz auf ihn ausübe. Einen Impuls, mit diesem einen Skistock oder den Schallplatten weiterzuarbeiten. Das Ergebnis erfordert bisweilen starke Nerven: Das abstrakte Arrangement aus Glühbirnen und diesem organartigen Gebilde, das Straßl aus einem gewachsten Leintuch gestaltet hat, entfaltet durch seine Materialfülle eine geradezu irritierende Wucht. Auch dass der Künstler für seine Skulpturen die Arme und Beine von Plastikpuppen zerschnitten hat, ist schon vorgekommen. Meistens ist da aber ganz viel Gespür für Farben und Proportionen, und es ist genau dieses Gespür, das Straßls Kreationen unerhört ästhetisch erscheinen lässt - wie etwa im Fall der geschmolzenen Leuchtröhrenhüllen, die sich hinter dem Glas einer Vitrine wie exotische Schlangen aneinanderschmiegen. Oder die Art, wie Straßl die Lampenschirme, die Bürsten der Reinigungsmaschine und den Skistock zu einem Konstrukt von futuristischer Anmut zusammengeführt hat. Was das darstellen soll? "Einen Planeten, ein Teleskop. Irgendetwas Kosmisches", sagt der Künstler.

Er legt Holz im Ofen nach, an diesem Nachmittag dringt die Kälte unerbittlich durch die Wände des Hauses an der Dachauer Straße in Oberschleißheim, nahe der Regattastrecke der Ruderer. Das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts errichtete Gebäude war einst eine Gaststätte, beliebt vor allem bei den Torfstechern der Gegend. Vor gut zehn Jahren hat Lorenz Straßl, der an der Kunstakademie in München studiert hat, die Räume mit den schiefen Böden zu seiner Werkstatt gemacht. Jeden Tag setzt er sich im Münchner Glockenbachviertel, wo er wohnt, in sein Auto und fährt nach Oberschleißheim zur Arbeit. Wie andere Leute eben auch. Nur dass der Kofferraum von Lorenz Straßl ab und an mit seinen Fundstücken beladen ist. Selbst Lehm von der Isar hat er schon nach Oberschleißheim gebracht, er hat ihn für eine Fotoserie benötigt: Auf einem Tisch in seinem Atelier hat er eine Mondlandschaft nachgebaut, jegliches Leben scheint daraus gewichen. Auf dem Grund klafft ein gewaltiger Krater - kaum zu glauben, dass diese morbide Szene in Oberschleißheim entstanden ist.

Für die Malerei waren ihm die Künstlerfarben zu teuer

Straßl holt ein Buch. Rund 100 Fotografien beinhaltet seine Abschlussarbeit von 2005, lauter Aufnahmen von Installationen. Einmal hat er einen Koffer und einen Hocker ineinander verkeilt, dann wiederum diente ihm ein Haufen Schutt als Motiv, und einmal hat er sogar mit Feuer experimentiert. "Eine kleine Zündelei", sagt Straßl und schmunzelt. "Das wäre wahrscheinlich gar nicht erlaubt gewesen." Straßl ist nicht der Typ, der seine Arbeit eigens mit einer Philosophie auflädt. Und auch für seine aktuelle Ausstellung in München hat er sich keinen Namen überlegt. Er macht einfach, ohne viele Worte über dieses Tun zu verlieren, probiert aus, traut sich was. Und es ist wohl gerade dieser unbefangene Zugang zur Kunst, der Straßls Reiz ausmacht.

Grenzenlose Kreativität: Der Künstler kombiniert verschiedene Materialien miteinander und verfremdet sie teilweise. Sein Ziel: Gefühle provozieren. (Foto: Stephan Rumpf)

Dass es die Skulpturen sind und nicht die Malerei, das merkte der Künstler dagegen schon zu Studienzeiten. Er habe damals gesehen, wie sich seine Kommilitonen abgemüht hätten bei der Suche nach einer Idee - und letztlich erteilte er der Staffelei auch deshalb eine Absage, weil Künstlerfarben teuer sind. "Da habe ich mir immer gedacht, dann habe ich so viel Geld verschwendet, wenn es nichts wird", sagt Straßl. Und darum habe er sich bei der Malerei stets gehemmt gefühlt. Das bedeutet allerdings nicht, dass er bei seinen Skulpturen die Kreativität auf Knopfdruck abrufen kann. Doch wenn es mal nicht so läuft, nun ja, dann lässt Straßl eine Arbeit eben ruhen. Manchmal vernichtet er aber auch, was ihm nicht gefällt. Um aus den Materialien vielleicht eines Tages etwas Neues zu erschaffen.

Die Ausstellung von Lorenz Straßl ist noch bis zum 28. April in der Galerie "Jo van de Loo" an der Theresienstraße 48 in München zu sehen.

© SZ vom 24.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: