Ulrike Haerendel:"Es gibt noch die berühmte gläserne Decke"

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Ulrike Haerendel, 53, ist stellvertretende Direktorin der evangelischen Akademie Tutzing und zuständig unter anderem für Gleichstellungsfragen. (Foto: Lukas Barth)

Die Garchinger SPD-Vorsitzende will zum Weltfrauentag aufzeigen, dass wir in Deutschland von einer gleichen gesellschaftlichen Teilhabe der Geschlechter noch weit entfernt sind

Interview von Gudrun Passarge, Garching

Wenn am Mittwoch wieder einmal der Internationale Weltfrauentag begangen wird, veranstaltet die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF) in Garching eine Diskussion im Restaurant Flamm's (Beginn: 19.30 Uhr). Obwohl Frauen inzwischen das Wahlrecht haben und auch sonst in allen Rechten den Männern gleichgestellt seien, gebe es noch große Unterschiede zum Beispiel bei den Karrieren oder der Bezahlung von Frauen im Vergleich zu den Männern, sagt Ulrike Haerendel, Vorsitzende der AsF und des SPD-Ortsvereins.

SZ: In Ländern wie Russland, Kambodscha oder Angola ist der 8. März ein Feiertag. Warum ist das bei uns anders?

Ulrike Haerendel: Das muss man geschichtlich betrachten. Der erste internationale Frauentag fand 1911 statt als Kampftag für das Frauenwahlrecht. Damals waren es sozialistische Frauen, die ihn einrichteten, durchaus im Verein mit bürgerlichen Frauen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde er dann von kommunistischen Kräften okkupiert. Das Datum wurde auf den 8. März gelegt, in Erinnerung an einen von Textilarbeiterinnen geleiteten Streik in Petrograd, der als Auftakt der Russischen Revolution von 1917 gilt.

Aber warum mussten Frauen überhaupt noch so einen Tag feiern? Das Wahlrecht bekamen sie in Deutschland 1918.

Das stimmt, auch die Frauen in Österreich und Großbritannien bekamen das Wahlrecht, aber in Frankreich wurde es beispielsweise erst 1944 eingeführt. Es gab aber noch einen zweiten Grund für die Frauen, sie sahen, dass sie auf vielen Gebieten noch zurückgesetzt waren und wollten sich nicht zufriedengeben mit dem Erreichten. Die Idee war einfach zu zeigen: Wir sind noch nicht angekommen mit dem, was wir wollen.

Was wollten denn die Frauen damals?

Ein sehr starkes Thema bis in die Siebzigerjahre waren gleiche Rechte in der Ehe. So durfte eine Frau bis dahin beispielsweise nur mit Zustimmung des Mannes arbeiten. Und auch bei der Erziehung der Kinder war der Mann an erster Stelle eingetragen. Das Gleichberechtigungsgesetz von 1957 änderte die Grundlage, aber es zog sich bis in die Siebzigerjahre hin, bis alle Ungleichheiten beseitigt waren. Die Reform des Scheidungsrechts, wonach niemand mehr schuldig geschieden wurde, war der letzte Stein, dass Frauen familienrechtlich gleich behandelt wurden. Ein anderer Punkt war damals noch der Zugang zur Bildung, dass Frauen nicht alle Fächer studieren konnten.

Und was ist das Ziel der Frauen heute am Internationalen Frauentag?

Mein Anlass, eine Diskussion zu veranstalten, war die letzte OECD-Studie, wonach Deutschland auf dem letzten Platz liegt, wenn es darum geht, was Frauen zum Familieneinkommen beitragen. Das muss nicht per se schlecht sein. Es kann ein selbst gewähltes Modell der Frauen sein und eben zeigen, dass in Deutschland Familie noch sehr stark mit männlichen Ernährern funktioniert. Ich bin aber schon der Meinung, dass hier genau hingeschaut werden muss, ob es nicht in vielen Fällen so ist, dass Männer es sich gar nicht erlauben können, im Beruf auszusetzen wegen der Kinder oder kürzer zu treten. Viele Männer würden das gerne tun, aber viele Arbeitgeber sehen das nicht gerne. Ich finde, dass wir ein viel zu einseitiges Modell haben, es sollte vieles partnerschaftlicher ablaufen. Die Familienministerin Manuela Schwesig hat Teilzeitmodelle für beide Eltern vorgeschlagen, mit Zuzahlung vom Staat. Bei solchen Modellen liegen wir noch zurück.

Sie erwähnten die Männer und ihre Probleme, Familie und Karriere unter einen Hut zu bringen, was ist mit den Frauen?

Die Frauen lassen sich häufig noch viel zu leicht in die Teilzeitfalle locken. Angesichts unseres Rentensystems kann man sich das eigentlich gar nicht mehr leisten. Da ist noch viel zu tun. Gut ist, dass Mütter jetzt das Recht haben sollen, in ihre Vollzeitarbeit zurückzukehren, das halte ich für eine ganz wichtige Sache. Es ist aber auch noch viel zu tun in Sachen Kinderbetreuung. Frauen liegen in vielen Bereichen noch zurück. Ich sehe das zum Beispiel in meiner Arbeit in Tutzing an der Akademie. Es ist oft schwierig, Frauen für Diskussionen zu finden. Oft sitze ich dann nur mit Männern auf dem Podium. Es gibt noch die berühmte gläserne Decke. Frauen machen bis zu einem bestimmten Punkt Karriere und nicht weiter.

Helfen da Quotenregelungen weiter?

Ich denke, als Übergangsmodell brauchen wir sie noch. Allerdings betrifft es ja nur die 30 Dax-Unternehmen und nicht die Masse. Allerdings geht von den großen Konzernen ein Vorbildeffekt aus. Aber den großen Durchbruch auf den Ebenen der vielen Führungspositionen, darauf warten wir noch. Vielleicht muss sich in Deutschland erst eine andere Kultur entwickeln, dass Führungspositionen und Teilzeitarbeit zusammenpassen.

Wenn deutsche Frauen feiern, dann wohl eher den Muttertag als den Frauentag.

Ich persönlich habe nichts gegen den Muttertag. Es ist süß, wenn die Kleinen kommen und ihren Müttern etwas Gebasteltes überreichen. Der Internationale Frauentag war dagegen besetzt von sozialistischer Seite. In der DDR war es ein staatlich verordneter Feiertag, an dem Frauen fähnchenschwenkend auf die Straße mussten. In der Bundesrepublik dagegen war die Tradition verschüttet und lebte erst in den Siebzigerjahren wieder auf. Wir freuen uns über den Anlass, mal wieder auf ein paar passende Themen aufmerksam zu machen. In der Diskussion wird es um Rechte und die Stellung der Frau und um Frauenpolitik gehen, nicht um die liebevolle Ehrung der Mutter.

© SZ vom 08.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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