Taufkirchen:Eine Hochhaussiedlung mit Leuchtturmfunktion

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Seit Jahrzehnten kämpft die Gemeinde Taufkirchen gegen die Probleme und Konflikte im Ortsteil Am Wald an. Inzwischen gilt das Konzept zur Integration der dort lebenden Migranten als vorbildlich - auch dank des Förderprogramms "Soziale Stadt".

Von Iris Hilberth, Taufkirchen

Das großformatige Hochhaus-Bild ist schwarz-weiß, wohl auch, weil es in einer Zeit entstanden ist, in der es noch üblich war, so zu fotografieren. Wenn man Bewohnern der abgebildeten Wohnanlage im Taufkirchner Bürgertreff vor dieser jahrzehntealten Aufnahme begegnet, fängt man an zu begreifen, welche Geschichte und welche Geschichten sich hinter solch einem Bild und solch einem Hochhaus verbergen kann. "Hier wohne ich seit vierzig Jahren", erklärte kürzlich ein Betrachter des Fotos dem Sozialwissenschaftler Tilo Klöck, der das Projekt Soziale Stadt in Taufkirchen im Auftrag der Gemeinde betreut, und zeigte auf die Wohnung ganz oben links. "Und ich hier drüben, auch schon seit zwanzig Jahren", ergänzte die Frau, die dazugekommen war. Dass die beiden sich wirklich kennen, wäre zu viel gesagt, obwohl ihre Fenster nur wenige Meter Luftlinie auseinanderliegen, erzählt Professor Klöck, dessen Job es auch ist, dass die Leuten hier miteinander ins Gespräch kommen. "Ich habe immer gegrüßt", habe die Frau, eine Afghanin, hinzugefügt. Und der 76 Jahre alte Nachbar, der laut Klöck häufig Kritik an den Zuwanderern in Taufkirchen übt, habe genickt. "Sogar", habe die Frau betont, "sogar, als man meinen Sohn zusammengeschlagen hat."

Klöck erinnert sich sofort an diesen Dialog unter dem Foto im Bürgertreff, fragt man ihn nach der Schwierigkeit, das Miteinander in der Gemeinde voranzubringen, die Identität der Gemeinde zu festigen. Demnächst, sagt der Professor, werde es im Rahmen der Sozialen Stadt wieder ein Erzähl-Café geben, und ein Ziel sei es dann, diese beiden Taufkirchner an einen Tisch zu setzen. Es geht um Zusammenleben, um Zuwanderung, um Teilhabe, gegenseitigen Respekt und um Integration. Im jüngsten Sachstandsbericht der Fachstelle für Integrationsbezogene Soziale Arbeit (Isa) der Gemeinde Taufkirchen klingt das mit Hinweis auf das Bundesinnenministerium so: "Im Zuge der Integration geht es darum, dass wir zusammenleben und nicht nebeneinander her." Integration sei eine "dauerhafte, nachhaltige, gesellschaftliche Aufgabe."

Die Isa ist Teil eines Konzepts, mit dem die Gemeinde seit einigen Jahren einen eigenen Weg eingeschlagen hat, um die Integration voranzubringen. Und dabei geht es gar nicht nur darum, den deutschen Rentner und seine afghanische Nachbarin aus der Siedlung Taufkirchen am Wald an einen Tisch zu holen, um sie zu einem Miteinander zu bewegen. Die Taufkirchner Integrationsbemühungen sind vielseitig, wie auch die Gemeinde in ihrer Zusammensetzung recht vielfältig ist. Auf der einen Seite das Dorf mit den alteingesessenen Taufkirchnern, und auf der anderen Seite der S-Bahn der Anfang der Siebzigerjahre auf der grünen Wiese entstandene Ortsteil Am Wald, mit den Geschosswohnungsbau der Gewofag, zugleich aber auch Reihenhaussiedlungen und Einfamilienhäuschen.

Generationen von Bürgermeistern und Gemeinderäten haben schon versucht, daraus ein großes Ganzes zu formen, mit dem sich die Bürger aller Gemeindeteile identifizieren. Doch vor allem im Bereich der Gewofag-Wohnungen tut man sich seit jeher schwer damit und gab bislang vor allem der Belegungspraxis durch die Landeshauptstadt München die Schuld an Ausgrenzungseffekten mit einem wachsenden Armuts- und Migrationsanteil. Die bisherigen Integrationsbemühungen hätten nicht ausgereicht, die negative Dynamik zu stoppen, die sich über mehrere Dekaden hinweg gestärkt habe, heißt es im Kommunalen Integrationskonzept, das der Gemeinderat vor zweieinhalb Jahren beschlossen hat.

Gemeinsam Taufkirchen gestalten. Ayokovi Appoh (Dritte von links) leitet die Bastelfüchse im Bürgertreff. (Foto: Claus Schunk)

Ganz freiwillig hatte sich die Gemeinde nicht daran gemacht, solche Pläne zu Papier zu bringen. Noch unter dem damaligen Bürgermeister Jörg Pötke (Initiative Lebenswertes Taufkirchen, ILT) hatte die Gemeinde beschlossen, dem Kreisjugendring die Zusammenarbeit aufzukündigen und in Zukunft die Sache in Eigenregie fortzuführen. Taufkirchen war damals unzufrieden mit dem KJR und der Ansicht, mit einem speziell auf die Bedürfnisse dieser Gemeinde zugeschnittenen Programm besser zu fahren. Allerdings wollten die Kreisgremien und das Landratsamt die dafür benötigten Fördermittel nur genehmigen, wenn ein akzeptables Konzept vorgelegt wird. Die Gemeinde holte sich Hilfe bei der Hochschule für Angewandte Wissenschaften München und Professor Klöck. Das im September 2013 vorgelegte Papier gilt heute als richtungsweisend, und wie sich vergangenem Herbst bei einer bayerweiten Fachkonferenz im Ritter-Hilprand-Hof herausstellte auch als Pionierleistung für die Integrationsarbeit.

Denn während andere Kommunen bei der Tagung noch um Zuständigkeiten und Organisationsformen rangen, war Integration in Taufkirchen längst Chefsache und ein ganzer Stab von Mitarbeitern mit dem Thema und der Umsetzung eines bereits existierenden Konzepts beschäftigt. "Wir sind die einzige Landkreiskommune, die in der Integration nach einem Konzept arbeitet", hat Sybille Vogt, die Leiterin der Isa-Stelle in der Grundschule am Wald, nach der Tagung festgestellt, "wir haben da schon ein ganz anderes Level erreicht", findet sie. Andreas Bayerle, der Sozialkoordinator der Gemeinde, spricht gar von einer "Leuchtturmfunktion". Mittlerweile hatte sich die Gemeinde auch erfolgreich um das Förderprogramm "Soziale Stadt" beworben, der Quartiersladen in der Eschenpassage seine Räume gemeinsam mit dem Bürgertreff bezogen. Mit der "sozialen Stadt" könnten die bisherigen Praxisansätze der verschiedenen Organisationen besser miteinander verbunden werden. Es geht nicht um eine Siedlung oder um eine Zielgruppe, sondern darum, "das Ganze in den Blick zu nehmen und nicht nur eine einzigen Sektor, zum Beispiel die Jugendarbeit", heißt es in dem Konzept, "der Anspruch auf Teilhabe ist grundlegend und zentral". Im Alleingang eines Trägers oder einer Einrichtung könne das nicht verwirklicht werden, "das ist eine gesellschaftliche Querschnittsaufgabe", sagt Vogt. Klöck bestätigt: "Wir müssen die Kräfte bündeln und alle an einem Strang ziehen."

Das klingt alles sehr theoretisch und mancher Gemeinderat hat auch immer wieder kritisch angemerkt, dass auch in Taufkirchen schon viele Pläne und Programme ausprobiert worden seien, um ein Zusammenleben hinzubekommen. Vor allem die Belegungspraxis der Gewofag-Wohnungen durch die Landeshauptstadt wird immer wieder als Grund für starke Polarisierung, Reizklima und Rufschädigung gesehen. Immerhin soll nach vier Dekaden der "Funkstille" inzwischen die Zusammenarbeit zwischen Gewofag und Gemeinde besser funktionieren. Kürzlich erwarb Taufkirchen Anteile an der Gewofag Holding und sicherte sich damit das Belegungsrecht für 150 Wohnungen.

Begonnen hat Klöck seine Arbeit in Taufkirchen mit einem großen Teilhabeprojekt der Grundschüler. Dabei war es darum gegangen, gute und schlechte Orte der Gemeinde auszumachen und Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten. Der neue Spielplatz in der Siedlung ist ein Ergebnis dieses mehrmonatigen Projekts in der Schule am Wald. Die Aufführung des Peter-Pan-Musicals gilt als gelungenes Beispiel für ein Miteinander der Schulen aus den verschiedenen Ortsteilen. "Persönliche Gespräche und Begegnungen sind das Wichtigste bei der Integration", sagt Sybilla Vogt.

Professor Tilo Klöck (links) und Bürgermeister Ullrich Sander planen die nächsten Projekte in der Gemeinde. (Foto: Claus Schunk)

Mit den älteren Jugendlichen wurde ein Graffitiprojekt an der Bahnunterführung verwirklicht. Schmierereien auf dem Kunstwerk haben aber gleich wieder gezeigt: So einfach ist es nicht. "Der Knoten wird nicht so schnell durchschlagen", sagt Klöck. Jüngere Schüler zeigten großes Interesse an einem Zusammenhalt für die Siedlung, bei den Älteren seien hingegen noch dicke Bretter zu bohren. "Vor allem die Mittelschüler fühlen sich oftmals abgehängt, sehen sich gegenüber den Realschülern als Hartz-IV-Schule", so der Professor. Inzwischen liefen dort zwar vielversprechende Projekte vor allem im Bereich Musik und zur Gewaltprävention. "Doch es gibt auch Rückschläge", räumt er ein. Als große Aufgabe sieht er in den kommenden Jahren die Aufwertung des Bahnhofsareals.

Inzwischen habe Taufkirchen aber eine Basis geschaffen "wo Dinge gelingen können", sagt der Koordinator aus dem Rathaus, Bayerle. Der Sozialpädagoge hat einst als Streetworker, später als Leiter des Jugendzentrums Next Level gearbeitet und erzählt: "Früher haben mir die Firmen gesagt, einen Jugendlichen aus Taufkirchen brauchen Sie mir nicht schicken." Er hat daran gearbeitet, dass das anders wurde, "es geht darum die Leute in eigene Verantwortung zu bringen."

Was die Soziale Stadt dazu beitragen kann? Gerne erzählt Klöck von der Mädchengruppe der Muslimgemeinschaft, die im Bürgertreff angeklopft hat, weil die jungen Frauen dringend einen Raum benötigten, in dem sie ungestört lernen konnten. So wurde der Bürgertreff Lernort. Inzwischen seien die Prüfungen bestanden, berichtet Klöck, die Initiative bezeichnete er aber für nachfolgende Jahrgänge als bahnbrechend. Allerdings geht es bei der Integration und Teilhabe laut den Taufkirchner Plänen ja nicht allein um Kinder und Jugendliche. Das Seniorenpolitische Konzept soll auch die Älteren einbeziehen. Demnächst zieht die Nachbarschaftshilfe mit ihrer Anlaufstelle für ältere Menschen in die Räume über dem Bürgertreff. Auch der interkulturelle Garten, der in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis "Wir in Taufkirchen" entstanden ist, und die Zeitreise-Ausstellung, die bald fortgesetzt werden soll, zählen zu den Aktionen, bei denen die Umsetzung des Konzepts für alle Generationen sichtbar wird.

Das Projekt Zeitreise wird am Samstag 7. Mai, um 15 Uhr mit einem ersten Erzählcafé im Bürgertreff Soziale Stadt an der Eschenstraße 46 fortgesetzt.

© SZ vom 13.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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