Integration:Die Gesellschaft wird sich verändern

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Aufeinander zugehen ist die Voraussetzung für eine gelungene Integration: Szene aus einem Sprachkurs für Flüchtlinge in Aschheim. (Foto: Claus Schunk)

Bei einer bayernweiten Fachkonferenz in Taufkirchen wirbt Landrat Christoph Göbel für eine neue Bedeutung des Begriffes Integration: Nicht nur die Zuwanderer müssen sich anpassen, sondern alle

Von Iris Hilberth, Taufkirchen

Integrationsarbeit war in vielen Kommunen bis vor Kurzen eher Nebensache. Hier und dort mal ein Projekt, bestenfalls gab es einen Beauftragten im Rathaus, der sich mit der unkonkreten Ansage des Chefs häufig allein gelassen fühlte und vor einer komplexen Aufgabe stand, die eigentlich nur alle Fachbereiche gemeinsam stemmen können. Mit der steigenden Anzahl an Zuwanderern und Flüchtlingen ist das Thema bekanntlich mehr denn je in den Fokus der Kommunen gerückt. "Viele haben uns belächelt, doch jetzt ist unsere Arbeit ganz wichtig und zum überragenden Thema geworden", ließ Martin Neumeyer, der Integrationsbeauftragte der bayerischen Staatsregierung, per Videobotschaft die Teilnehmer der bayerischen Integrationskonferenz in Taufkirchen wissen. "Das bedeutet für uns, dass wir nicht mehr die Exoten sind, sondern im Zentrum der Diskussion."

Überwiegend Integrationsbeauftragte, Beiräte, Vertreter von Ausländerbehörden und Fachkräfte aus Städten, Landkreisen und Gemeinden waren in den Ritter-Hilprand-Hof gekommen, um gemeinsam Strategien für die Zukunft zu entwickeln. Denn "kommunales Integrationsmanagement ist zur zentralen Herausforderung geworden", wie Hubertus Schröer in Taufkirchen sagte. Schröer war bis 2006 Jugendamtsleiter in München, heute ist er Geschäftsführer des Instituts interkulturelles Qualitätsmanagement München (IQM). Er ist überzeugt davon, dass "Integrationsarbeit Führungsaufgabe ist". Kommunen bräuchten ein Gesamtkonzept, müssten wissen, was sie wollten und wohin sie wollten, riet er den Zuhörern.

Landrat Christoph Göbel (CSU) hat die Integration längst zur Chef- und Gesamtaufgabe seines Landkreises gemacht. Sie werde natürlich durch die steigende Zahl an Zuwanderern "sportlich beschleunigt". Vor allem im Landkreis München, wo eine große Anzahl von Menschen ankomme, die voraussichtlich länger bleibe, stellten sich nicht nur logistische Fragen der Unterbringung, betonte Göbel. Dem Landrat geht es auch um mehr als Integration wie sie in der Vergangenheit meist verstanden wurde. "Es ist ein großes Wort, das sich im Wandel befindet", sagte er, Integration habe immer etwas Statisches, weil etwas in eine feste Masse integriert werden müsse. Doch das passe weder zur Praxis noch zur fortschrittlichen Theorie. "Wir müssen Menschen in Begegnung bringen, das ist die Anforderung an die Gesellschaft."

Göbel weiß sehr wohl, dass die Gesellschaft auf die Veränderungsprozesse vorbereitet werden muss. "Wenn Veränderungen Verbesserung bringen, ist das per se nicht schlecht", doch in der Diskussion um Zuwanderung und Integration begegneten einem auch Ängste, denen man nicht rational, sondern emotional entgegenwirken müsse. "Begegnung und Erfahrung baut Ängste ab", sagte er, bisherige Ansätze zur Integration griffen oft zu kurz.

Auch Hubertus Schröer ist sich sicher, "dass wir zu einer neuen Gesellschaft werden". Das mache natürlich denjenigen Angst, die keinen Weitblick besäßen. "Aber wir sind nicht mehr die alte Bundesrepublik Deutschland", betonte er. Deutschland habe sich endlich von der Lebenslüge verabschiedet, kein Einwanderungsland zu sein, "doch jetzt müssen wir daraus Konsequenzen ziehen und werden neue rechtliche Rahmenbedingungen schaffen müssen". Für Schröer bedeutet das: "Deutschland kann es sich nicht leisten, kein modernes Einwanderungsgesetz zu haben." Eine Forderung, die auch Landrat Göbel in Taufkirchen erneut aufstellte.

Für Schröer ist klar: "Wir müssen von der Willkommenskultur hin zur nachhaltigen Anerkennung." Für ihn bedeute das "Zugehörigkeit von Anfang an", Integration müsse sich als Inklusion verstehen. Die Verschiedenheit müsse anerkannt, die Vielfalt gesellschaftlichen Lebens wertgeschätzt werden.

Landrat Göbel will für das Gelingen der Integration vor allem die Menschen in Qualifikation und Arbeit bringen, "dann sind sie in der Gesellschaft angekommen". Der Integrationsbeauftragte des Landratsamts, Ali Danabas, interessierte sich in Taufkirchen daher insbesondere für den Workshop zum Thema interkulturelle Öffnung von Unternehmen durch Kooperation mit Kommunen.

Zwar hat der Landkreis München als erster in Bayern bereits 2011 die "Charta der Vielfalt" unterschrieben, eine Unternehmensinitiative zur Förderung der Anerkennung, Wertschätzung und Einbeziehung von Vielfalt. "Es geht auch darum, Kompetenzen sichtbar und nutzbar zu machen", sagte Workshop-Leiter Claas Triebel vom Projekt Kei in Gräfelfing, das Beratung und Integration von ausländischen Fachkräften in Deutschland fördert. Mentoring und Tutoren-Programm sollen dabei helfen. An Bereitschaft mangelt es hierzu im Landkreis München offenbar nicht. Helfer stünden in einigen Unternehmen bereit, berichtete eine Mitarbeiterin des Landratsamts. Das Problem sei nur: "So schnell komme ich nicht an die Flüchtlinge ran."

© SZ vom 18.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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