40 Jahre Gebietsreform:Harmonische Vernunftehe

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Das kleine Oberbiberg schloss sich einst freiwillig der größeren Gemeinde Oberhaching an. Trotzdem hat der Ort eine gewisse Eigenständigkeit und ein besonderes Gemeinschaftsgefühl bewahrt.

Von Iris Hilberth, Oberhaching

Wenn Michael Kandler seine Adresse notiert, dann würde er niemals auf die Idee kommen, als Wohnort Oberhaching anzugeben. Auch wenn die Postleitzahl 82041 ganz klar diese Zugehörigkeit dokumentiert und man sich in Oberbiberg schon 40 Jahre lang daran gewöhnt hat, nurmehr ein kleiner Ortsteil zu sein. Der Kandler-Wirt hatte zu keiner Zeit etwas gegen diesen Zusammenschluss, schließlich habe man sich schon damals, als Oberbiberg noch eigenständig war, Richtung Oberhaching orientiert, sagt er. Aber Oberbiberg blieb für ihn trotzdem Oberbiberg. "Aber nicht aus Protest", betont er. Gestört hat das noch niemanden, nicht einmal die Behörden, und auch nicht die Postboten. Die Briefe kamen immer an.

Vielleicht sogar gerade wegen dieser Oberbiberger Adresse, an der Kandler festhielt. Denn wie in anderen Ortschaften auch, die von 1978 an gezwungenermaßen gemeinsame Sache machten, führte auch der Zusammenschluss von Oberhaching und Oberbiberg zwangsläufig dazu, dass es plötzlich alles doppelt, manches auch noch öfter gab. Hier waren es zwei Erste Bürgermeister, zwei Feuerwehren, zwei Schützenvereine, zwei Bürgerversammlungen und fünf Maibäume.

Bis auf die Bürgermeister hat man alles beibehalten. Nur bei den Straßennamen musste man irgendwann einmal aufräumen, weil das vor allem bei Rettungseinsätzen heikel werden kann. So hat Oberhaching bei der Zugspitzstraße nachgegeben und Oberbiberg auf seine Waldstraße verzichtet. Nur die beiden Kirchplätze ließen sich nicht so einfach verhandeln, waren sie doch das jeweilige Herzstück von Oberbiberg und dem Oberhachinger Ortsteil Furth. Doch allein die zehnfache Anzahl an Adressen sprach für die Further. Am Oberbiberger Kirchplatz gab es nur den Gasthof Kandler und die Höfe "Beim Hofberger" und "Beim Schmidbauer".

Als vor sieben Jahren die Umbenennung anstand, äußerte Michael Kandler den Wunsch, dass man fortan am Marienplatz wohnen wolle. Bei Oberhachings Bürgermeister Stefan Schelle (CSU) löste diese Idee erst einmal ein herzhaftes Lachen aus. Aber letztlich setzte sie sich dann doch durch, schließlich heißt die Oberbiberger Kirche Mariä Geburt. "Wir sind wohl weltweit der kleinste Marienplatz", sagt Michael Kandler. Inzwischen gibt es auch eine Mariensäule, gestiftet von den drei Anwohnern.

Bei der Einweihung 2012 sagte Bürgermeister Schelle: "Gerade in der heutigen Zeit ist es ein wichtiges Zeichen, wenn sich ein Dorf unter den Schutz der Gottesmutter stellt." Denn gerade unter dem Segen Marias könne Gemeinschaft entstehen. In Oberbiberg gibt es die schon immer und auch immer noch. Das lässt sich auch daran festmachen, dass die "Interessengemeinschaft Altgemeinde Oberbiberg" (IGAO) stets im Oberhachinger Gemeinderat vertreten ist. Kommt im Oberhachinger Rathaus die Sprache auf Oberbiberg, dann spricht Bürgermeister Schelle meist von der "Altgemeinde".

Da schwingt immer eine gewisse Anerkennung mit, Altgemeinde klingt wie eine Ehrenbezeichnung, wie Altbürgermeister oder Altkanzler. Und auch wenn in der Gemeinde heutzutage die meisten abwinken und glaubhaft versichern, dass das gar nicht notwendig wäre, weil alle längst zusammengehören: Im Hinterkopf gibt es mitunter noch das Bedürfnis, die einstige Eigenständigkeit Oberbibergs zu betonen. Denn auch 40 Jahren nach dem Zusammenschluss, würde ein Oberbiberger sich niemals als Oberhachinger bezeichnen.

"Ein Deisenhofener oder ein Further sagt auch nicht, er sei Oberhachinger", erläutert Schelle. Dabei gehören diese Ortsteile seit jeher zusammen, die genauen Grenzen sind an manchen Stellen schwierig zu bestimmen. Und mit Oberbiberg kam vor 40 Jahren gleichzeitig der Weiler Laufzorn hinzu, der zuvor zu Grünwald gehört hatte. Auch die Altgemeinde Oberbiberg bestand nicht allein aus dem gleichnamigen Dorf, sondern war bereits ein Zusammenschluss mit Ödenpullach, Kreuzpullach, Jettenhausen und Gerblinghausen. Bürgermeister Schelle unternimmt einmal im Jahr mit Neubürgern eine Radtour durch die Ortsteile, auch um ihnen den Zusammenhang zu erklären.

Oberhaching war nicht die erste Wahl

Am 4. Dezember 1975 beschloss der Gemeinderat von Oberbiberg dann die "freiwillige Eingliederung" in die Gemeinde Oberhaching. Dass es im Zuge der Gebietsreform zwangsläufig zu diesem Konglomerat kommen würde, war nicht von vornherein klar. Zwar wusste jeder in den fünf kleinen Dörfern, dass es ein "Weiter so" mit der winzigen Verwaltung, bestehend aus einem ehrenamtlichen Bürgermeister und einer Teilzeitsekretärin im alten Schulhaus nicht geben würde. Oberbiberg mit seinen etwa 400 Einwohnern war allein zu klein geworden. "Bei den heutigen Aufgaben einer Verwaltung wäre das gar nicht mehr denkbar", sagt Bürgermeister Schelle. Auf der Suche nach geeigneten Partnern hatte man in Oberbiberg gleich mehrere Optionen im Blick. Oberhaching stand an letzter Stelle.

Zunächst hatte die Regierung von Oberbayern einen Zusammenschluss mit Straßlach und Dingharting vorgeschlagen. Die Idee soll großen Anklang in Oberbiberg gefunden haben. "Doch nach kurzer Zeit traten Probleme auf", heißt es in der Oberhachinger Ortschronik "Lebendige Heimat". Die beiden so verschiedenen Gemeinden hätten damals allein schon genug Schwierigkeiten gehabt, zusammenzufinden, sagt Bürgermeister Schelle. "Das Gleißental war auch immer eine natürliche Grenze", findet Michael Kandler. Also wollte man es mit Endlhausen und Eichenhausen versuchen. Doch auch dieser Vorschlag erwies sich als zu kompliziert, da damit eine Änderung der Landkreisgrenze verbunden gewesen wäre.

Blieb also das sieben Kilometer entfernte Oberhaching, wo bereits in den Siebzigerjahren die meisten Oberbiberger Kinder zur Schule gingen und auch häufig die Einkäufe erledigt wurden. 80 Prozent der Bürger in Oberbiberg stimmten damals für das Zusammengehen. "Wir appellieren an die Gemeinde Oberhaching, unseren Gemeindebereich auch nach der Eingliederung in seiner Eigenart zu erhalten und alles zu verhindern, was diese Eigenart gefährden oder gar zerstören könnte", schrieb der damalige Oberbiberger Gemeinderat am 4. Dezember 1975 in seinem Beschluss.

In einer dreiseitigen "Vereinbarung" legten dann beide Gemeinden in acht Punkten fest, wie das zukünftige Zusammenleben funktionieren sollte. Es ging unter anderem darum, die Steuersätze noch fünf Jahre lang beizubehalten, die bisher üblichen gemeindlichen Leistungen an Feuerwehr, Schützen und das private Schwimmbad Berzau, in dem die Oberbiberger Kinder Schwimmen lernten, weiter zu gewähren. Und es galt Satzungen und Verordnungen auf ihre "Anwendbarkeit im ländlichen Gemeindeteil Oberbiberg" zu prüfen.

Trotz aller Vorteile, die man in den fünf Dörfern in der Entscheidung sah, fiel den Menschen die Aufgabe der Eigenständigkeit nicht besonders leicht. Denn es war auch eine lange Geschichte, die im Jahr 1978 zu Ende ging, ausgerechnet in dem Jahr, in dem die Gemeinde ihr 1200-jähiges Bestehen feierte. Und so sagte Oberbibergs letzter Bürgermeister Josef Öckler damals auch: "Wir sind nicht gerne Braut geworden bei dieser Hochzeit." Er war fortan Stellvertreter des Oberhachinger Bürgermeisters Nikolaus Aidelsburger und blieb das auch bis 1984.

Heute weiß man zwar noch im Oberhachinger Rathaus auf dem Kyberg von diesem "Einigungsvertrag", jemals in den Händen gehalten hat ihn aber kaum einer. Zu lange schon gehört man nun zusammen, als dass man ständig daran erinnert werden müsste, dass es mal nicht so war. Gleichwohl findet Elvira Oberstein, die für die Interessensgemeinschaft im Gemeinderat sitzt, dass es nach wie vor wichtig ist, "eine Stimme und ein Ohr in der Gemeinde zu haben". Einfach auch, um den Informationsfluss zu garantieren.

Es gibt zu diesem Zweck sogar einen eigenen Briefkasten der IGAO am Maibaum, wenngleich der heute kaum genutzt wird, wie Oberstein einräumt. Aber es gehe immer noch darum, sich "von denen unten" nichts diktieren zu lassen. "Wir betrachten die Dinge hier oben manchmal anders", sagt Oberstein. Der Kanalbau 2004 war so eine Sache, bei der heftig gestritten wurde. Und einige Anschlüsse nach Oberhaching dauerten ewig. Der Radweg wurde nach 20 Jahren fertig - was allerdings an den Grundstückseigentümern lag - und die Busverbindung soll in diesem Jahr endlich verbessert werden.

Weil die Oberbiberger aber darauf nicht so lange warten wollten, wie einst auf eine Telefonzelle, die 1907 beantragt und 1973 aufgestellt worden war, organisieren sie seit 2003 überaus erfolgreich den Biberger Bürgerbus. Michael Kandler sagt: "So etwas funktioniert nur, wenn der ganze Ort dahintersteht."

© SZ vom 30.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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