Saisonauftakt im Kleinen Theater:Samtiger Sarkasmus

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"Wortfront" präsentiert in Haar Böses und Zärtliches

Von Udo Watter, Haar

Melancholisch-poppige Töne hüllen das Lied über die Herankunft des Herbstes ein. "Der Herbst rammt dem Sommer seine Farben in die Flanken, die Welt wird wieder bunter", singt Sandra Kreisler. Schön: die klare Luft, die leuchtenden Farben. Oder ist das doch nur die letzte Angstblüte vor dem großen Sterben, vor der langen Tristesse? "Denn wenn die Tage dunkeln, wird die Leichtigkeit zu Last. Und manches neue Paar stellt fest, dass es nicht zusammenpasst. Die Wohnung ist zu klein für 'ne Liebe, die nicht stimmt". Ein Satz, so schwermütig wie wahr. Glockentöne aus dem Computer - die Totenglöcklein für den Sommer? - begleiten den klangschönen Abgesang auf die weiche, warme Sicherheit. Am Ende flattern Blätter und Hoffnung nieder, die Saison ist quasi aus und "der graue Alltag in vertrauter Arbeitsweste" hat uns wieder im Griff. "Vielleicht ist der für uns das Beste?" fragen die Schlusszeilen.

Nun ja, das wollen wir doch lieber nicht hoffen. Für Sandra Kreisler und Roger Stein, die zusammen das Duo Wortfront bilden, gilt das jedenfalls nicht. Sicherheit, Alltag, die Wonnen der Normalität - das dürfte nicht gerade die Welt des österreichisch-schweizerischen Künstlerpaares sein, das seit zehn Jahren in Berlin lebt. Und auch im Kleinen Theater Haar, wo sie am Mittwoch auftraten, heißt es gerade eben nicht, Abschied zu nehmen. Dort fängt die Saison ja gerade wieder an, das Konzert von Wortfront war der Auftakt zur neuen Spielzeit in dem 1911/12 erbauten Jugendstilgebäude.

Ein Auftakt, der das Publikum definitiv nicht unterforderte. Der Autor, Komponist und Musiker Roger Stein und die Sängerin Sandra Kreisler, Tochter von Georg Kreisler, präsentierten ein Programm, das musikalisch, aber vor allem inhaltlich aufmerksames Zuhören verlangte. Das spannende Duo passt in keine Schublade: Die beiden können sich mit dem Begriff "Deutscher Kammerpop" anfreunden, ihr Stil changiert zwischen Balladen, Chansons, Hip-Hop-Metrik und auch schärfer rhythmisierten Songs. Stein begleitet meist versiert am Flügel, es gibt Soundeffekte aus dem Computer, einen Metronom-Einsatz, und die samtschöne Stimme von Kreisler, berührt vor allem in tiefen, dunklen Lagen.

Sie ist dabei die größere Rampensau und beeindruckend artikulationssicher, ob im schnellen, zackigen Sprechgesang oder als gefühlvolle Diseuse. Er, für Texte und Musik verantwortlich, verkauft sich auch recht charmant, kommt aber nicht ganz an ihre Bühnenpräsenz ran. Die Arrangements sind anspruchsvoll, aber musikalisch nicht immer gleich packend oder gelungen. Was Wortfront besonders heraushebt, sind in der Tat die Worte, ob lyrisch oder böse-sarkastisch, sowie ihre virtuose Umsetzung. Ein Lied wie "Kein Beweis" hat etwa so schöne Zeilen wie "Dass ich dich liebe, ist kein Beweis, dass ich dich kenn'" oder "Dass ich kotze, ist kein Beweis, dass ich nicht viel schluck'". Stark auch der Song vom "Postmodernen Arschloch" - ein "Mann ohne Eigenschaften", das "aber mit Überzeugung". Kreisler und Stein hingegen sind zwei Freigeister, kritische Überzeugungsindividualisten und spottlustig, auch und gerade, was deutsche Eigenheiten wie Prinzipienreiten angeht oder allgemeine Facetten des Spießertums. Dahinter steckt freilich auch immer ein zärtlicher Blick auf die Menschen und ihre Schwächen ("Zwischen Herz und Idealen liegt die Schwerkraft des Banalen") und eine Sehnsucht nach schönen Seelen und mehr Sonne. Das Herz ist eben nicht nur ein "pumpendes Organ", das man ohne Strafe verhungern lässt.

© SZ vom 15.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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