S-Bahn durchschneidet Pullach:Rot-weiße Ärgernisse

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Lange Wartezeiten an den Bahnschranken gehören für die Pullacher zum Alltag, denn die S-Bahnlinie zerschneidet den Ort. (Foto: Claus Schunk)

Die Schranken in Pullach sind zur Hauptverkehrszeit 28 Minuten pro Stunde geschlossen. Eine Umstellung auf moderne Technik hat nicht die erhoffte Verbesserung gebracht.

Von Michael Morosow, Pullach

Hohe Mauern und Stacheldraht trennen die Agenten vom Bundesnachrichtendienst seit Jahrzehnten von der Pullacher Bevölkerung. Die Isar bildet seit der letzten Eiszeit einen natürlichen Sperrriegel zum Westen hin.

Mit beiden Gegebenheiten haben sich die Bewohner der Gemeinde gezwungenermaßen arrangiert. Was sie dagegen regelrecht auf die Palme bringen kann, sind andere Barrieren, die seit Dampflok-Zeiten ihren Wohnort in Pullach-West und Pullach-Ost teilen: die Schranken an den drei S-Bahn-Übergängen im Ort, die sich beinahe ebenso lange in der Horizontalen befinden wie in der Vertikalen.

Die Bauverwaltung hat genau nachgemessen: Bis zu sieben Stunden täglich sind die Bahnübergänge geschlossen. In der Hauptverkehrszeit, wenn auch die S 20 auf der Strecke verkehrt, kommen bis zu 28 Minuten Wartezeit pro Stunde zusammen. Die Wut der Verkehrsteilnehmer darüber ist das eine. Dass Notärzte und Einsatzkräfte der Feuerwehr vor den Bahnübergängen wichtige Minuten verlieren, die über Leben und Tod entscheiden können, ist das andere. "Das trifft uns wie alle anderen. Toi, toi, toi, bis dato ist deshalb noch kein Mensch zu Schaden gekommen", sagt der Pullacher Feuerwehrkommandant Harald Stoiber.

Aber weder er noch Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund (Grüne) wollen das Schicksal weiter herausfordern, weshalb nun eine provisorische Lösung gesucht und gefunden wurde: Bis auf Weiteres wird die Werksfeuerwehr der in Höllriegelskreuth ansässigen Firma Linde wenigstens unter der Woche auch außerhalb des Werksgeländes Einsätze westlich der Bahngleise fahren.

Ein Gutachten will man nicht abwarten

Noch in diesem Jahr werde die Gemeinde ein Gutachten in Auftrag geben, das die Gesamtsituation der Freiwilligen Feuerwehr, insbesondere auch die Wartezeiten an Bahnübergängen untersuche, kündigt die Bürgermeisterin im am Donnerstag erscheinenden Amtsblatt der Gemeinde an. Einfach nur die Ergebnisse des sogenannten Feuerwehrbedarfsplans abwarten, will man aber nicht. Diese liegen voraussichtlich erst 2020 vor.

Von einer wirklich großen Lösung des Bahnschranken-Problems träumt man in Pullach seit ewigen Zeiten. "Eine S-Bahn-Tieferlegung war bereits Thema im Gemeinderat, als ich 1989 hier angefangen habe", erinnert sich Peter Kotzur, Leiter der Bautechnik im Rathaus. Die Gemeinde habe auch bereits eine entsprechende Untersuchung in Auftrag gegeben, schlussendlich sei das Vorhaben an der Weigerung der Deutschen Bahn gescheitert, die die hohen Kosten gescheut habe. "Vom Ergebnis her wäre eine Bahntieferlegung gut, aber finanziell der Supergau", sagt Kotzur.

Bert Eisl, Sprecher des Pullacher Agenda-Teams, erinnert sich an 70 Millionen Euro, die die Gemeinde in den Neunzigerjahren für diesen verkehrlichen Befreiungsschlag zurückgehalten habe. "Nach der Währungsumstellung waren es plötzlich 100 Millionen Euro", berichtet Eisl. "Horrorzahlen" hätten die Runde gemacht, "und so hat man das Thema vom Tisch bekommen", moniert Eisl. Wie teuer eine Absenkung der Gleise in Pullach heute käme? Bahnsprecher Michael-Ernst Schmidt winkt ab. Selbst einen geschätzten Betrag zu nennen, wäre aus seiner Sicht unseriös. Nicht zuletzt die Grundwassersituation spiele dabei eine große Rolle.

Über die Kostenfrage hinaus sind nach der Einschätzung von Agenda-Mann Eisl damals Proteste von Anliegern ein weiteres "Killing" gewesen. Diese Leute seien auf die Barrikaden gegangen, weil sie jahrelange Baustellen vor ihrer Haustür und Bauschutt in ihren Gärten befürchtet hätten. Dabei sei immer schon die Variante in der Diskussion gewesen, bei der die Bahnkörper vor der Münchner Straße versenkt und vor Höllriegelskreuth wieder nach oben geführt werden. "Angesichts von zigtausend Pendlern ist es langfristig nicht mehr tragbar, dass der Ort in zwei Hälften zerschnitten ist", sagt Eisl, nach dessen Überzeugung die Lösung der Bahnschranken-Problematik auf der Agenda des Ortsentwicklungsplans der Gemeinde ganz oben angesiedelt werden müsste.

Am Donnerstag, 22. März, wird der Agenda-Arbeitskreis Verkehr abermals zum Dauerthema diskutieren. Die Veranstaltung im kleinen Saal des Bürgerhauses beginnt um 19 Uhr.

Mit dem Auto unten durch

Wenn eine Bahnunterführung in naher Zukunft nicht machbar ist, kann dann eine Straßenunterführung zum Ziel führen, zumal nur ein zweistelliger Millionenbetrag dafür aufgebracht werden müsste? An der Bahnhofstraße wäre nur eine Fußgänger- und Radfahrer-Unterführung machbar, berichtet Peter Kotzur von der Bautechnik. An der Münchner Straße dagegen wäre eine vollwertige Unterführung möglich gewesen, "aber da entsteht eine Riesenschlucht, das hat man in der Bahnstudie gesehen", sagt Kotzur. Markus Brehler wartete als Gast des SZ-Lesercafés im Februar in Pullach mit dem Vorschlag auf, kleinere Unterführungen an der Münchner Straße und der Bahnhofstraße einzurichten, die dann zu Einbahnstraßen würden. "Nicht machbar", sagt Kotzur.

Nur kurz flammte in Pullach die Hoffnung auf, dass die Wartezeiten vor den Bahnschranken verkürzt werden könnten: Das war 2013, als die letzten Schrankenwärter im Landkreis in Pullach ihren Dienst einstellten und die zwei Schließanlagen an der Pater-Rupert-Mayer- und Münchner Straße automatisiert wurden. Der gewünschte Effekt blieb aus, weiterhin schließt sich die Schranke an der Jaiserstraße bereits, wenn die S 7 von Süden in Höllriegelskreuth einfährt. Sicherheitsbedenken seien der Grund dafür. Es könne nämlich sein, dass ein Zug auf nassem Laub nicht rechtzeitig zum Stehen komme und dann in einen geöffneten Bahnübergang fahre. "Ich hab' das schon selbst einmal gesehen", sagt Kotzur.

2019 soll nun auch der Übergang an der Jaiserstraße radargesteuert werden. Große Erwartungen verbindet angesichts der Erfahrungen an den anderen beiden Übergängen in Pullach niemand damit. Trotz modernster Schrankentechnik sei keine Verbesserung eingetreten, monierte Waltraud Detzer im SZ-Lesercafé.

Sie und ihr Mann hätten schon mal spaßeshalber überlegt, am Bahnübergang eine Würstelbude aufzumachen", sagte sie. Evelyn Grollke schließlich schlug vor: "Die Gemeinde sollte sich umbenennen in ,Pullach an den Schranken.'"

© SZ vom 14.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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