Pullach:Zwischen Ironie und Romantik

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Ein gelungenes Zusammenspiel präsentieren Sopranistin Nuria Rial und die Streicher des Nash-Ensembles aus London. (Foto: Angelika Bardehle)

Das Londoner Nash Ensemble weiß sein Publikum beim Auftritt in Pullach zu überraschen und zu begeistern. Die katalanische Sopranistin Nuria Rial überzeugt mit ihrer Interpretation von Heine-Liedern von Mendelssohn

Von Reinhard Szyszka, Pullach

Mehr als ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel, still going strong. Seit seiner Gründung 1964 zählt das Nash Ensemble aus London zu den ersten Adressen in Sachen Kammermusik. Freilich verfügt das Ensemble über keinen festen Stamm von Mitgliedern, sondern verjüngt sich ständig, indem es die besten Nachwuchsmusiker Großbritanniens aufnimmt und ihnen Gelegenheit bietet, Kammermusik zu spielen - in wechselnden Besetzungen, aber stets auf höchstem Niveau. Am Donnerstag war das Ensemble mit vier Streichern und einem Pianisten im Pullacher Bürgerhaus zu Gast; hinzu kam die Sopranistin Nuria Rial aus Katalonien.

Das Programm begann mit Schumann-Liedern, im Original für Singstimme und Klavier komponiert, von Aribert Reimann für Sopran und Streichquartett arrangiert. Reimann hatte sich nicht die allbekannten Meisterwerke aus Schumanns Liederjahr 1840 ausgesucht, sondern den etwas spröden Zyklus der sechs Gesänge op. 107, 1851/52 entstanden und zum Spätwerk des Komponisten zu rechnen. Die Streichquartett-Fassung wirkt allein durch die Aufteilung der Melodien auf verschiedene Instrumente gewöhnungsbedürftig, obwohl sich Reimann eng an Schumanns Original hält. Rial sang mit angenehmer, mühelos tragender Sopranstimme, aber trotz deutlicher Aussprache stellte sich die Frage: Weiß sie, was sie da singt? Die verhaltene Trauer, die den meisten Liedern innewohnt, konnte die Sängerin nicht vermitteln; zumeist lächelte sie freundlich-fröhlich ins Publikum und untermalte ihren Gesang mit weit ausladenden Gesten.

Die vier Streicher des Nash-Ensembles bewährten sich in der ungewohnten Rolle als Liedbegleiter, doch erst beim nachfolgenden c-Moll-Quartettsatz von Schubert kamen ihre Qualitäten voll zur Geltung. Was Schuberts "Unvollendete" in der Sinfonik darstellt, das ist der Quartettsatz in der Kammermusik: ein mit großem Ehrgeiz begonnenes, später aber zugunsten anderer Projekte aufgegebenes Werk. Die Musiker lieferten eine packende Interpretation des Satzes, dicht und intensiv musiziert, mit großen Steigerungen und blühenden Melodiebögen.

Dann betrat Nuria Rial wieder die Bühne, um Heine-Lieder von Mendelssohn zu singen, wieder in einem Streichquartett-Arrangement von Aribert Reimann. Doch während sich Reimann bei Schumann mit instrumentaler Ausgestaltung begnügte, ging er bei Mendelssohn viel weiter und spannte acht Lieder und ein Liedfragment zu einer durchkomponierten Szene zusammen, einschließlich instrumentaler Überleitungen. Für das Publikum kam es wie ein Schock, als nach dem ersten Mendelssohn-Lied "Leise zieht durch mein Gemüt" die atonale, dissonante Musik Reimanns die Brücke schlug zum zweiten Lied. Bald aber hatte man sich an den Wechsel zwischen Romantik und Moderne gewöhnt und verfolgte interessiert, wie Reimann mit den Motiven Mendelssohns spielte. Hier konnte die Sängerin weit mehr als bei Schumann überzeugen. Die leise Ironie Heines lag ihr; besonders gut gelangen ihr die übernatürlichen Szenen wie der Elfenspuk "in dem Mondenschein im Walde" oder die Geisterinsel.

Nach der Pause stieß der Pianist Ian Brown zu den Streichern, und gemeinsam gestalteten die fünf Instrumentalisten Brahms' Klavierquintett in f-Moll. Den Künstlern gelang eine mitreißende, leidenschaftliche Brahms-Interpretation voll romantischen Überschwangs. Die Probleme der Klangbalance, die sich zwischen Streichern und Klavier fast zwangsläufig einstellen, waren geradezu mustergültig gelöst: jede Stimme trat dann hervor, wenn sie Entscheidendes zu sagen hatte. Großer Applaus am Ende. Das Nash Ensemble ist seinem hervorragenden Ruf einmal mehr gerecht geworden.

© SZ vom 28.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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