Pullach:Versiert gegen die Hörgewohnheiten

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Chris Gall steht für Minimalmusik, die er mit Jazzmotivik durchdringt. (Foto: Angelika Bardehle)

Chris Gall und Bernhard Schimpelsberger kombinieren delikate Pianistik und perkussive Klangreisen

Von Ulrich Möller-Arnsberg, Pullach

Rein optisch haben sie etwas ebenbürtiges, der Flügel und das Drumset. Beide Instrumente sind raumfüllend. Aber in der Duo-Kombination dürfte man sie eher selten genießen. Anders beim jüngsten Konzert in der Jazz-Reihe des Bürgerhauses Pullach, wo mit dem Münchner Pianisten Chris Gall und dem in London lebenden österreichischen Perkussionisten Bernhard Schimpelsberger zwei gefeierte Interpreten auftraten. Die Musiker sind als Solisten und im Ensemble mit Eigenkompositionen erfolgreich in der Szene unterwegs. Der eine hat eine Vorliebe für Minimalmusik, die er mit Jazzmotivik durchdringt. Die Vorliebe des anderen sind indische Rhythmen.

Der Titel des Duoabends "A Myriad of Musical Dimensions" ist gleichzeitig der einer Vinylaufnahme, die die beiden vergangenes Jahr in den legendären Bauer Studios in Ludwigsburg gemacht haben. Subtil ging der Abend los. Schimpelsberger zupfte eine kleine Melodie am afrikanischen Daumenklavier, Chris Gall klinkte sich allmählich ein. Eine zaghafte Verbindung zwischen den Instrumenten, die allmählich Ausmaße annahm, was Rhythmus, Dynamik und Intensität des Spiels anging.

"Good Morning little Magpie" heißt eine Komposition von Chris Gall, der gerne musikalische Alltagserlebnisse als Anregung für seine Stücke nimmt. In diesem Fall den Streit zweier Elstern im Garten. Für Bernhard Schimpelsberger ist es die Reibung musikethnologischer Welten, die ihn zu seinen perkussiven Klangreisen treibt. Vom klassischen Drumset sind bei ihm nur Basstrommel, Becken und Snaredrum übrig.

Letztere benutzt er fast gar nicht, dafür umso mehr die spanische Cachon, auf der er barfüßig sitzt. Besonders klangschön ist seine Gatapata aus Aluminium. Ein moderner Nachbau einer ostafrikanischen Tontrommel, deren dunkel-schimmernde Klänge Schimpelsberger mit den hellen Bells mischte, die er sich bei einem Glockengießer in San Francisco besorgt hat. "Departure" heißt eines von Schimpelsbergers schillernden Stücken. Es gehört zu den "Rhythm Diaries", die er gerade als Solo-CD veröffentlicht hat. Zehn europäische Städte hat er für sein Projekt bereist, um jeweils einen Musiker zu treffen. Die Abreise war der Moment, das musikalische Substrat in Form eines Tagebuchs festzuhalten.

München war dabei eine der Stationen mit Chris Gall als Gegenüber. Die beiden, das machte der Abend deutlich, bilden einen spannenden Kontrast. Chris Gall,der nach klassischer Klavierausbildung an der Jazz-Kaderschmiede Berklee College of Music in Boston studierte, ist der besonnene Entwickler musikalischer Dramaturgie, Bernhard Schimpelsberger der quirlige Gegenspieler, der jeden Moment für Überraschungen gut ist. Einen für sein musikalisches Treiben bezeichnenden Augenblick liefert er nach der Pause. Schimpelsberger erzählt von der bevorstehenden fünfwöchigen Kubareise, bevor er eine Komposition spielt, die indische mit kubanischen Rhythmen verquickt. Er sei sich sicher, sagt er, dass er, wenn er zurückkomme, denken werde, wie er nur so vermessen hat sein können.

Tatsächlich handelt sein Stück dann mehr von indischen Ragarhythmen als von kubanischem Groove. Man kann also jetzt schon gespannt sein, was nach der Rückkehr aus Havanna aus dem Stück wird respektive geworden ist. Gall indes erzählt mit stolzgeschwellter Brust davon, dass die Auflage der Duo-Vinylplatte derzeit vergriffen und erst im Januar wieder zu haben sei. Mit sicherem klanglichem Gespür greift er die Impulse auf, die vom Schlagzeug kommen. Einmal im Laufe des Konzerts steht Gall auf, greift in den Resonanzkasten des Flügels und zaubert durch behutsames Anreißen der Saiten seltsam ferne Klänge hervor.

Lange vor dem Ende des Konzertes kündigt Gall das letzte Stück an, mit dem Titel "Rhythm Suite". Es dauert 25 Minuten und stellt noch einmal wirkungsvoll all die musikalischen Facetten heraus, welche die beiden zu bieten haben. Ein Duo, das die Momente der Tonlosigkeit genauso auszureizen versteht, wie die von vulkanhafter Intensität. Ein Duo, das versiert gegen Hörgewohnheiten anspielt und reizvoll in unkonventionelle Klangwelten entführt. Herzlicher Applaus.

© SZ vom 24.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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