Pullach:Psychoduell im Atelier

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Rot ist Leben, Leidenschaft und Drama. Mark Rothko (Dominique Horwitz) fürchtet freilich, dass seine geliebte Farbe vom Schwarz verschluckt wird. (Foto: Lukas Barth)

Dominique Horwitz glänzt als Maler Mark Rothko in dem Zwei-Personenstück "Rot" von John Logan. Auch Benno Lehmann als sein Gegenspieler trägt in Pullach zur emotional wie intellektuell packenden Vorstellung bei

Von Udo Watter, Pullach

Der junge Mann traut seinen Ohne nicht. Hat ihn der alte Exzentriker, der feinnervige Pinselberserker, der genialische Egomane gerade tatsächlich nach seiner Meinung gefragt? "Sie interessiert wirklich, was ich denke?" - "Nicht im geringsten", antwortet Mark Rothko. Der Meister des Abstrakten Expressionismus glänzt nicht nur durch begnadete Selbstsucht und intellektuelle Dünkelhaftigkeit, sondern auch durch bösen, schlagfertigen Witz. Und diese Steilvorlage seines Assistenten lässt er sich nicht entgehen, um dem noch mal die Irrelevanz seiner Bedeutung klar zu machen. Aber es stimmt nicht.

Dominique Horwitz in der Rolle des großen amerikanischen Malers Mark Rothko ist sehr wohl interessiert an der Meinung des Assistenten Ken (Benno Lehmann). Das scheue Bübchen, das beim ersten Treffen noch in einem etwas spießigen Anzug auftauchte und wenig intellektuelle Größe versprüht hatte, ist nach vielen gemeinsamen Arbeitsstunden zu einem adäquaten Gegenspieler avanciert. Er gibt dem Meister in John Logans Theaterstück "Rot", das am Mittwoch im Pullacher Bürgerhaus zu sehen war, immer wieder Kontra, und er hat auch allen Grund dazu. Nicht nur, dass er Rothkos Angst vor der Farbe Schwarz, die dieser mit einer wenig originellen, farbsymbolischen Erklärung (Untergang, Tod) unterstreicht, der Vorhersehbarkeit zeiht. Er wird dem 1903 als Marcus Rothkowitz geborenen Maler noch deutlich aufzeigen, wie sehr er sich in dieser Phase seines Lebens von seinen eigenen kunsttheoretischen Ansprüchen entfernt hat.

Logans Stück, das 2009 uraufgeführt wurde und mit zahlreichen "Tony Awards" ausgezeichnet wurde, setzt Ende der Fünfziger Jahre ein, basierend auf tatsächlichen Begebenheiten. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere erhält Rothko 1958 einen profitablen Auftrag: Für das New Yorker Luxus-Restaurant "Vier Jahreszeiten" soll er einen Zyklus von Wandbildern malen. Für den hoch sensitiven, stets gefährdeten Künstler, der sich schließlich 1970 selbst umbrachte, wird die Annahme des Auftrags immer mehr zu einem Akt der Selbstverleugnung. Gerade er, der die intime Beziehung zwischen Bild und Betrachter fordert, der für seine Bilder das adäquate Szenario und Licht verlangt, damit diese "pulsieren und sich entfalten" können, ist dabei, diese seine Gemälde den Augen ignoranter Snobs auszusetzen. Den Assistenten Ken hat es in Wirklichkeit nicht gegeben, doch die Erfindung dieser Figur ermöglicht es Autor John Logan, "Rot" nicht nur als Hommage an Mark Rothko zu gestalten, sondern in den scharfen Dialogen der beiden Antagonisten das Wesen der Kunst, ihrer Stellung in der Moderne, ihre Abhängigkeit von Zeitgeist, Kommerz und Kulturindustrie durch so kluge wie geschliffene Reflexionen zu thematisieren.

Die Darsteller in dieser Produktion des Renaissance Theaters Berlin (Regie: Torsten Fischer) sind überzeugend, vor allem Dominique Horwitz ist in der Rolle des meist übellaunigen, stets saufenden und rauchenden Künstler-Berserkers großartig. Die Verschmelzung mit Rothko ist frappierend. Manchmal hat er fast etwas Jack-Nicholson-haftes, ihm gelingen die Momente des selbstgefälligen Wüterichs so packend wie die angedeuteten Verletzlichkeiten und das ängstliche Ahnen der lauernden Depression. Er sagt:"Jeder Pinselstrich ist eine Tragödie" und beruft sich auf Nietzsche ("Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehen"). Er lästert über Picasso und Pollock, lobt und fürchtet den künstlerischen Vatermord oder versucht in seinem Werk, das Apollinische mit dem Dionysischen zu verschmelzen - sich der Vergeblichkeit dieses Ansinnens bewusst. Vor allem aber hat er Angst, dass das "Schwarz eines Tages das Rot verschluckt". In der Tat hat der echte Rothko, für den jahrelang Rot die bevorzugte Farbe war, sich später in ein abgedunkeltes Atelier zurückgezogen und vornehmlich schwarze und graue Bilder gemalt. Horwitz, der nur in manchen Nuschel-Momenten etwas schwer zu verstehen war, hat in Benno Lehmann einen Widerpart, der ihm zwar nicht ganz das Wasser reichen kann, sich aber in der Rolle dennoch behauptet. Das Bühnenbild, die Requisiten, die den Werken Rothkos nachempfundenen, großformatigen Bilder, die von Vasilis Triantafillopoulos stammen, komponieren eine eindrucksvolle Szenerie. Die wilde, rauschhafte, obsessive Atmosphäre in Rothkos Atelier äußert sich in gelungen choreografierten Mal-Exzessen, Wutausbrüchen, physischen Attacken und Zärtlichkeit: Als Ken seinem Meister schließlich erfolgreich vor Augen führt, wie sehr er sich künstlerisch selbst verrät, feuert der ihn. "Gefeuert?" fragt Ken. "Es ist das erste Mal, dass sie existieren", entgegnet ihm fast fröhlich Rothko, der nun weiß, dass er den Auftrag nicht ausführen wird. Und er umarmt seinen Assistenten, der genau so mit Farbenspritzern übersät ist, wie er selbst.

© SZ vom 27.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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