Pullach:Mit Köpfchen und rotem Iro

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Freigeist, Punk und Champagner-Schlürfer: Andreas Thiel gönnt sich das ein oder andere Schlückchen. (Foto: Bardehle)

Andreas Thiel zeigt sich in Pullach als elegant-kluger Kabarettist

Von Udo Watter, Pullach

Der Mann hat eine eigenwillige, aber sehr stilvolle Art, auf das näher rückende Ende des Abends hinzuweisen. Er wirft einen Blick in den Champagnerkübel, der als solitäres Requisit auf der Bühne des Pullacher Bürgerhauses steht, und prüft, was der Inhalt der Flasche hergibt: "Ich muss sehen, wie lange das Programm noch dauert", erklärt Andreas Thiel. Er mutet dabei fast unverschämt distinktionssicher an, der Schweizer Kabarettist, der es nicht nur schafft, im Laufe des Abends die Flasche zu leeren, sondern auch trotz unkonventioneller Kombination aus rotem Irokesenschnitt und eng geschnittenem Anzug veritable Eleganz auszustrahlen.

Man weiß ja nicht genau, wie ernst oder böse er seinen vereinzelt durchblitzenden Spott gegenüber dem "Abo-Publikum" meint, aber Andreas Thiel, der 2013 den Deutschen Kabarettpreis gewann, kann sich diese Pose leisten: Sein Programm "Macht - Politsatire 4" ist geprägt von poetischer Sprachvirtuosität und ins Absurde driftenden Gedankenspielen, es ist anspruchsvoll und zeitigt oft diesen schönen Effekt, dass sich der in den Pointen versteckte Tiefsinn verzögert enthüllt. Der gebürtige Berner Thiel, der als rebellischer Geist einst von der Schule flog und mittlerweile in Indien lebt, ist einer, der mit wachem Blick nicht nur in die Schampuskübel, sondern vor allem auf unschöne Entwicklungen in der Gesellschaft schaut, wobei er sich gar nicht so sehr auf Politik beschränkt, sondern eher Beobachtungen von allgemeingültiger Qualität entwickelt. Sicher, die eine oder andere Bemerkung zur deutschen Politik fehlte in Pullach nicht - etwa, dass man als Schweizer nicht begreife, für was Angela Merkel eigentlich stehe ("Sie ist ein Vakuum, das Macht ausfüllt"), und auch die eigenen Landsleute werden kritisch-ironisch bedacht: "Die Schweizer sind Demokraten. Sie mögen keine Mehrheiten." Einwanderer mögen sie ja generell auch nicht so gern, und Thiel, der deutsch-jüdische und österreichische Wurzeln hat, hatte schon deshalb keine einfache Kindheit. Interessant auch seine Theorie des Humors. Dessen nobelste Aufgabe: "Die Wahrheit erträglich zu machen." Für die anderen gebe es die Comedians, die seien da, "damit auch humorlose Menschen etwas zum Lachen haben." Die Deutschen könnte wahnsinnig lustig sein, meint Thiel, für die Schweizer gelte indes: "Wir werden ernst, sobald es lustig wird."

Viele Politiker seien natürlich auch hoch bezahlte Komiker, und besonders absurd gestaltet sich in seinen Augen die Energiepolitik - letztlich ist es wurscht, ob man eine französische Atom- oder schweizerische Biotomate konsumiere, da ohnehin alles vernetzt und quersubventioniert sei. Für einen wie Thiel ist weniger das Klima, als vielmehr "das Niveau bedroht". Er sagt kluge Sätze wie "Man lebt nicht länger, wenn man sich beeilt", oder behauptet, er wollte noch nie Macht, auch nicht als Kind: "Ich war frühreif." Er spintisiert herum ("Die Langsamkeit des Lichts bringt Quantenphysiker an ihre Grenzen") oder findet schöne Bilder ("Abgründe mit Puderzuckerrand"). Nicht jede Pointe zündet gleich gut, und seine temporären absurd-poetischen Ausflüge enthüllen zwar beeindruckende Gedächtnisleistung und Eloquenz, muten aber hin und wieder doch etwas episch an. Gleichwohl und obschon das Programm keine dramaturgisch ausgefeilte Handlung hat, ist der Abend generell sehr unterhaltsam. Der elegante Punk und Freigeist Thiel mag sich zwar manch Boshaftigkeit gönnen und provoziert auch mit höchst unkorrekten Wendungen. Aber hinter all dem schimmert doch auch eine kämpferische Empathie durch mit den Menschen und all ihren kleinen und größeren Dummheiten. Und am Ende, wenn die Saalbeleuchtung langsam dunkler wird, und Thiel von der himmlisch-friedvollen Zeit vor dem Urknall erzählt, die durch ein Wort des schönsten Engels Luzifers zu Ende ging ("Macht") - schimmert dann auch der steile rote Haarkamm des Kabarettisten besonders dekorativ. Thiel schläft übrigens immer in Seitenlage.

© SZ vom 11.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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