Pullach:Leidenschaft für den verkannten Sohn

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Ana-Marija Markovina jagt versiert und mit Leidenschaft über die Tasten - besonders, wenn es sich um Stücke von Carl Philipp Emanuel Bach handelt. (Foto: Angelika Bardehle)

Ana-Marija Markovina bringt dem Publikum in Pullach die Werke von Carl Philipp Emanuel Bach näher

Von Udo Watter, Pullach

Es kommt ja gar nicht so oft vor, dass mit der Dauer einer Beziehung auch das Feuer und die Leidenschaft stetig wächst. Häufig ist eher das Gegenteil der Fall, die Schmetterlinge im Bauch liegen irgendwann abgestürzt am Boden und Gewöhnung ersetzt die einstige Verzückung. Was das Verhältnis zwischen Ana-Marija Markovina und Carl Philipp Emanuel Bach angeht, kann von romantischen Verschleißerscheinungen indes keine Rede sein, auch nach vielen Jahren der intensiven Beschäftigung ist die in 1970 in Kroatien geborene und in Köln lebende Pianistin dem Komponisten "verfallen", wie sie bei ihrer Konzert-Einführung im Pullacher Bürgerhaus erklärte.

Es ist gleichsam eine besondere, künstlerisch außerordentlich befruchtende Romanze zwischen der eigenwilligen Pianistin und dem 1788 in Hamburg gestorbenen Komponisten respektive dessen Werk. Er war der bekannteste Sohn von Johann Sebastian Bach, und er hat seinen Vater phasenweise an Renommee sogar übertroffen: Wenn zu seiner Zeit und auch danach vom "großen Bach" gesprochen wurde, dann war Carl Philipp Emanuel gemeint. Es mutet denn auch erstaunlich an, was aus diesem jüngeren Bach alles an Ideen sprudelte, die Vielfalt und Fülle seines Werkes ist ein Grund, warum Markovina ihn mit dieser Leidenschaft umarmt. "Er hat mein Gehirn und meine Seele verändert", sagt sie. In Pullach präsentierte sie nun einen Ausschnitt dieses Œuvres, für die Gesamteinspielung seines Klavierstücke (26 CDs) wurde sie 2014 mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet. Es ist ein Werk, das zum "Empfindsamen Stil" gerechnet wird, was insofern auch schlüssig ist als Carl Philipp Emanuel Bach tatsächlich sein Ich in den Mittelpunkt stellte, eine riesige Bandbreite an Emotionen in seine Stücke einbaute, in seiner radikalen Subjektivität quasi Romantiker war und durch die Emanzipation von der Barockkunst seines Vaters letztlich auch den Wiener Klassikern wie Haydn, Mozart und Beethoven den Weg bereitete. "Ohne ihn wäre vieles gar nicht möglich gewesen."

Seine "Fantasie" in der ungewöhnlichen Tonart fis-Moll, mit der Markovina das Konzert eröffnete, rührt denn auch als düster-geheimnisvolle Erzählung an innere Abgründe, darin der emotional packenden Intensität einer Beethoven-Sonate nicht unähnlich. Markovina widmet den ersten Teil des Abends komplett "ihrem" Bach und die Art wie sie spielt, korrespondiert mit dem Einfallsreichtum, der kontrastiven Charakteristik, der Ironie und Vielfalt der Stücke. Neben der elegischen und in essenzielle Tiefen vordringenden "Fantasie in fis-Moll" beeindruckt auch die "Fantasie in C-Dur", die durchaus mit leichten exzentrischen Passagen aufwartet. Spannend wirkt auch die Sonate c-Moll, die eigentlich nur für den Privatgebrauch komponiert wurde. Eindrücklich agiert Markovina zudem als Interpretation der "Württembergischen Sonate", die eine hohe Virtuosität der Interpretin verlangt. Bei aller Ironie und Raffinesse fehlt CPE Bach aber quasi ein melodisch-charakteristischer Stil, der einprägsam ist. Modern gesagt, hat er nie einen melodischen Markenkern, wie etwa sein Vater oder die nachfolgenden Klassiker entwickelt. Überraschende Sprünge bestimmen seine Stücke, Zäsuren, das humorvolle Spiel mit Pausen, kontrapunktische Versiertheit und harmonische Experimentierfreude. Markovina, die in Detmold, Weimar und Berlin studiert und auch Werke von Luise Adolpha Le Beau, Hugo Wolf, Anton Urspruch sowie zeitgenössischer Komponisten eingespielt hat, wirkt in ihrer temperamentvollen, aber nicht festlegbaren Manier als Interpretin passend. Manchmal langt sie zwar richtig hin, akzentuiert vielleicht ein wenig zu hart, doch generell gelingt es ihr, schön zu artikulieren und feine Schattierungen zu entfalten. So wird man einerseits durch die mangelnde Vertrautheit mit Carl Philipp Emanuel Bachs Werken gar nicht so tief berührt - es sind ja meist die bekannten Melodien, die die inneren Saiten zum Klingen bringen - aber andererseits wird es durch den Abwechslungsreichtum der Kompositionen wie Interpretationen auch nie langweilig oder gar gefällig.

Im zweiten Teil des Abends erklingen bekanntere Stücke - darunter CPE Bachs wunderbare "Variationen über Folie d'Espagne" - basierend auf einem portugiesischer Tanz aus dem 14. Jahrhundert. Markovina findet auch in seinem Rondo G-Dur eine berührende Mischung aus leidenschaftlichen, lyrischen und ironischen Momenten. Der berühmte Bach-Sohn war indes nicht nur ein begnadeter Komponist, sondern auch ein äußerst virtuoser Pianist, insofern auch ein Vorläufer von Franz Liszt. Markovina spielte gegen Ende des Abends dazu passend Lizts "Aprés une lecture de Dante - Fantasia quasi Sonata"- ein Werk, das dunkel wühlt und gleichsam eine virtuose Melodramatik auf hohem Niveau entbreitet. Markovina jagt hier wild und mitunter recht pedallastig über die Tasten, deutet kurz auch geheimnisvoll funkelnde Andeutungen von Erlösung an, aber wie heißt es in Dantes "Göttlicher Komödie": "Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren". Die "Rigoletto-Paraphrase" von Franz Liszt kommt anschließend freundlicher daher und zwei großartig vorgetragene Scarlatti-Zugaben lassen den Abend flott ausklingen.

© SZ vom 13.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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