Ottobrunn:Meditative Saiten

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Ist nicht nur ein fingerfertiger Virtuose, sondern auch ein fabelhafter Arrangeur: der brasilianische Gitarren-Grandseigneur Carlos Barbosa-Lima. (Foto: Claus Schunk)

Beim Festival der Gitarre in Ottobrunn bringen die Musiker das Instrument in vielen Facetten zu Gehör - aber durchweg ohne Effekthascherei

Von Udo Watter, Ottobrunn

Er ist ein hoch verehrter Grandseigneur in der Gitarren-Szene und hat in seiner langen Karriere schon Konzerte überall auf der Welt gegeben, ob in New York, Rio oder Tokio. "Eine Legende" kündigte ihn Johannes Tonio Kreusch an, und fügte mit einem Schmunzeln hinzu: "Endlich auch in Ottobrunn. Welcome: Carlos Barbosa-Lima." Doch der 1944 in Sao Paulo geborene Brasilianer, der noch beim großen spanischen Gitarristen Andrés Segovia gelernt und mit dem bekanntesten aller Bossa-Nova-Komponisten Antonio Carlos Jobim zusammengearbeitet hat - er ließ sich erst mal nicht blicken. Lampenfieber? Eher nicht. Einen, der 1967 sein New-York-Debüt in der Carnegie Hall gegeben hat, dürfte auch der Auftritt beim "Festival der Gitarre" im Ottobrunner Wolf-Ferrari-Haus nicht übermäßig schrecken. Nein, der 71-Jährige kam nach kurzer Verzögerung denn auch leise lächelnd auf die unter anderem mit weißen Gitarren und einer herunterhängenden Bahnhofsuhr dekorierte Bühne, begrüßte seinen jüngeren deutschen Duo-Partner und dann hoben die beiden an zum Dreierpack mit Werken von Jobim, Heitor Villa-Lobos und Luiz Bonfá. Das atmete sofort eine sanfte Melancholie, eine Variante der Saudade, dieser portugiesischen Form des Weltschmerzes, und wie Barbosa-Lima und Kreusch hier harmonierten, streichelten sie sich sozusagen mit brasilianischer Versiertheit die klanglichen Bälle zu. Das war nicht funkig oder besonders groovy, sondern eine berührende Hommage an die kontemplative Seite der Gitarre. Schon der Auftakt, den Kreusch mit Eigenkompositionen und improvisatorischen Elementen solistisch gestaltete, ließ in seinem leise wogenden Klangfarbenzauber Gedanken an abendliches Meereslicht aufkommen, unterbrochen nur von perkussiven Intermezzi.

Ja, die Gitarre in all ihrer Vielseitigkeit zu zeigen, unter dieser Maxime, hat Johannes Tonio Kreusch, der zusammen mit seinem Bruder Cornelius Claudio Kreusch künstlerischer Leiter der Ottobrunner Konzerte ist, das dreitägige Festival im Wolf-Ferrari-Haus mit zwei Konzerten und diversen Workshops konzipiert. Aber was bei diesem Auftakt und Höhepunkt des Festivals auffiel: unter all den Protagonisten, von Kreusch über Carlos-Lima oder Christina Lux bis zu Jacques Stotzem - in einem zweiten Konzert am Tag darauf spielten noch Diknu Schneeberger und Luis Borda - waren keine Poser oder Effekt-Virtuosen. Es war ein langer Abend, bei dem man als Zuhörer immer wieder auch mit der Kunst des Innehaltens konfrontiert wurde, eines, wenn man so will, leiseren und unaufdringlichen Zugangs zur Welt.

Was nicht hieß, dass keine packende Musik mit rhythmischer Finesse und temporeicher Virtuosität geboten wurde. Barbosa-Lima, der auch als Komponist respektive Arrangeur einer der Großen ist, zeigte neben heiter-melancholischen Samba-Stücken wie "Tristeza" swingend delikate Gershwin-Nummern ("Promenade") und eine versiert-vertrackte Version des Klassikers "Brazil" ("Aquarela do Brasil"). Da das ursprünglich engagierte Amadeus Duo krankheitsbedingt absagen musste, war kurzfristig Barbosa-Limas Duo-Partner Larry del Casale aus New York eingeflogen. Ein Glücksgriff: Er zeigte nicht nur Qualitäten als humorvoll-charmanter Entertainer, sondern agierte zusammen mit dem großen Brasilianer vielseitig und fesselnd: dynamisch, subtil rhythmisiert, mit verschiedenen perkussiven Techniken und Artikulationen agierend oder auch einfach zart berührend - etwa wenn, in Mason Williams "Saturday night at the world" ein einsamer Ton zauberisch in der Höhe der Nacht schwebte. Stark auch der abschließende Pre-Bossa-Nova-Klassiker "A felicidade" von Jobim.

Nach der Pause kam zum Saitenklang noch stimmliche Untermalung hinzu: Die Singer-Songwriterin Christina Lux präsentierte ihre in Englisch und Deutsch vorgetragenen Lieder. "Musik ist ein Werkzeug, mit dem ich Dinge, die mich bewegen greifen kann", sagt sie und unter den Dingen, die sie besonders bewegen ist natürlich auch die Liebe, symbolisiert etwa in der Liaison zwischen Meer und Ufer, die auseinandergehen und sich immer wieder treffen. "Wenn ich das Meer wär' und du das Land, ich könnte kommen und gehen ohne Angst", sang sie mit ihrer warm timbrierten Stimme. Es gelang ihr sogar, das Publikum zum Mitsingen zu bewegen ("Ottobrunn, lass mich dich hören"). Ihre zwischen Soul, Pop und Folk schwebenden Songs sind voller tiefer Emotionalität, mitunter gefühlig. Aber auch wenn Lux leicht kokett zu ihrer "Blauäugigkeit" steht, naiv ist sie sicher nicht. Das beweisen nicht zuletzt Sätze wie "CDs beim Künstler selbst kaufen, ist aktiver Artenschutz."

Zum Finale zeigte noch der belgische Fingerstyle-Gitarrist Jacques Stotzem seine Qualitäten. Schön, wie er rhythmische Elemente auf Korpus und Saiten erzeugte, wie er langsamere melodiöse Stücke entfaltete und energetisch drängende, bei denen auch mal dissonante Harmonik zum Tragen kamen. Ihm oblag es, einen langen Abend im Zeichen der Gitarre fulminant zu beschließen.

© SZ vom 04.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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