Ottobrunn:Die Demaskierung der Profiberater

Lesezeit: 3 min

Die Darsteller Sonja Welter, Viola von der Burg, Patrick Gabriel, Patrick Wolff und Evelyn Planck (v.l.) genießen die Proben für das Stück "Zu spät! Zu spät! Zu spät!". (Foto: oh)

Ein verkorkstes Coaching-Seminar lässt die fünf Teilnehmer in der Tragikomödie "Zu spät! Zu spät! Zu spät!" an ihrem Lebensmodell zweifeln und in die Hölle des Selbst blicken

Von Udo Watter, Ottobrunn

Das Französische hat seine einstige Hegemonie als Sprache der gesellschaftlichen und geistigen Hautevolee in den vergangenen Jahrzehnten weitgehend eingebüßt. Gleichwohl kann man sich auch heute noch mit einem gut platzierten Bonmot à la française mühelos intellektuelle Weihen verschaffen, besonders wenn sie dem Dunstkreis des früher so hippen Existenzialismus entstammen. Jean Paul Sartres berühmtes "L'Enfer c'est les autres" ("Die Hölle, das sind die anderen") aus dem Stück "Geschlossene Gesellschaft" ("Huis clos") ist so ein Satz, der seine Wirkung selten verfehlt. Ob man die Kernaussage des Stückes wirklich versteht oder nicht, war zwar in der Blüte des Existenzialismus auch schon eher egal - wenn man dafür den schwarzen Rollkragenpullover und die filterlose Zigarette stilsicher zu tragen wusste - aber ein Versuch ist es wert. Sartre meinte wohl Folgendes: Indem wir begreifen, dass der andere uns sieht, machen wir uns zum Objekt des Betrachters. Die anderen bilden also laut Sartre eine Hölle, weil sie "uns dazu verdammen, etwas zu sein, was wir nicht sind, und uns damit unserer Freiheit berauben, uns zu dem zu machen, was wir wirklich sind". Aber wie auch die Bedeutung des Französischen in der Geisteswelt zunehmend verblasst, könnte man ebenso den Satz des Pariser Philosophen als obsolet betrachten: Heute sind die Hölle nicht die anderen. Heute ist die Hölle man selbst. Auf der Suche nach dem optimierten Ich berauben wir uns quasi unserer Freiheit, vor uns selber schwach und unperfekt sein zu dürfen.

Sich selbst verwirklichen, ein glücklicherer Mensch werden, Ego-Strategien entwickeln, Karrierestreben, der "Druck des Alles-schaffen-Müssens und Alles-erreichen-Könnens"- nicht zuletzt darum geht es in der schwarzen Komödie "Zu spät! Zu spät! Zu spät!" von Lothar Kippstein und Michael Lippold, die das Ensemble der TAT-Kreativ-Akademie München zum Auftakt der Ottobrunner Kultursaison am 8. Oktober im Wolf-Ferrari-Haus zeigen wird. Die Bühnen-Szenerie ist Sartres Stück "Geschlossene Gesellschaft", in dem drei Menschen in einem Zimmer in der Hölle verbringen müssen, durchaus ähnlich: Fünf Profiberater - Protagonisten der florierende "Coaching-Kultur" - treffen sich, mitten im Wald, in einem Seminarhaus zu einem Fortbildungsseminar. Doch der Seminarleiter erscheint nicht, die Zeit vergeht, und peu à peu verlieren all die selbstbewussten, starken Menschen, die so genau zu wissen glauben, was Glück ist und wie es zu erreichen ist, ihre Sicherheit. Regisseur Bernd Seidel, der mit seinen vielen Inszenierungen in Ottobrunn eine Theater-Institution ist, schwärmt von dem 2013 entwickelten Schauspiel, das ihm eine Freundin empfohlen hat: "Es ist nicht einfach, gute, neue Stücke zu finden. Aber das hier ist eine tiefgründige Komödie mit vielen Facetten."

Interessant sind vor allem die fünf verschiedenen Charaktere, die in dieser bitterbösen Abrechnung mit der "Glücksversprechungs-Industrie" agieren. Seidel ist mit seinem Schauspielensemble - Evelyn Plank, Patrick Wolff, Patrick Gabriel, Viola von der Burg und Sonja Welter - mit denen der mittlerweile in Spanien lebende Regisseur gerade in seinem Anwesen probt - jedenfalls sehr zufrieden: "Die Proben laufen super. Den Schauspielern macht es richtig Spaß." Seidel wird mit seine Darstellern Ende September nach Ottobrunn kommen und in den Tagen vor der Premiere am 8. Oktober im Wolf-Ferrari-Haus den inszenatorischen Feinschliff üben. Neben der Vorstellung dort wird das Ensemble "Zu spät! Zu spät! Zu spät!" auch im Unterhachinger Kubiz am 14. Oktober aufführen. Das tragikomische Stück, bei dem viel geredet wird, verspricht Seidel, auch mit "frechen Bewegungselementen" anzureichern. Letztlich haben alle Teilnehmer des verkorksten Seminars einen Dachschaden und viele Probleme: Seelische Entblößungen, Eitelkeiten und Demaskierungen bestimmen den zweiten Tel des Stücks - Autor Kittstein weiß im übrigen, worüber er schreibt, arbeitete er doch in einer Unternehmensberatung. Leichte Antworte, wie sie die hier gezeigten Coaches haben, gibt es darin nicht. Aber auch die Frage, ob nun Hölle die anderen sind oder man selbst, lässt sich nicht so einfach beantworten. Indem sie beide das "wahre Ich" quasi fremdbestimmen, sind sich die zwei Phänomene wohl ähnlicher, als es zunächst scheint.

Die Premierenvorstellung "Zu spät! Zu spät! Zu spät! ist am Samstag, 8. Oktober, im Wolf-Ferrari-Haus, Beginn: 19.30 Uhr. Karten gibt es - eine Neuerung für Ottobrunner Veranstaltungen - erstmals auch online über www.reservix.de. Weitere Infos unter whf-ottobrunn.de. Karten im Vorverkauf können auch unter Telefon: 089/60 80 8 302 und im Wolf-Ferrari-Haus erworben werden. Die Vorstellung im Kubiz Unterhaching ist am Freitag, 14. Oktober, 20 Uhr. Karten über www.reservix.de, muenchenticket.de oder Telefon: 089/66555316.

© SZ vom 23.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken
OK