Oberschleißheim:"Wir hätten uns kümmern sollen"

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Die Bundesregierung soll einen mutmaßlichen IS-Kämpfer aus irakischer Haft nach Hause holen. (Foto: dpa)

Ein Vortrag im Jugendtreff "Planet 0" erinnert Muaz A. an einen Freund, der sich radikalisierte und dem IS anschloss

Von Selina Bettendorf, Oberschleißheim

Als Claudia Dantschke am Donnerstag im Jugendzentrum "Planet O" einen Vortrag über Radikalisierung von Jugendlichen hält, erlebt Muaz K. ein Déjà-vu. Genau so wie Dantschke von der Beratungsstelle "Hayat" die Geschichte erzählt, nahm er sie vor fünf Jahren bei seinem Freund Mustafa wahr. Der junge Mann, der eigentlich anders heißt, zog nach seiner Radikalisierung in Deutschland in den Krieg nach Syrien. Muaz und Mustafa sind in einem Freundeskreis in München, sie treffen sich regelmäßig. Mustafa ist ruhig und verschlossen. Die Freunde denken: Der ist halt so. Von seiner Radikalisierung bekommen weder sie noch Mustafas Familie etwas mit.

2013 fällt ihnen auf, dass Mustafa immer mal wieder radikale Facebook-Beiträge kommentiert oder teilt. Von sich aus spricht er es nicht an. Da die Gruppe ihn aber danach fragt, entwickelt sich eine sachliche Diskussion über den so genannten Islamischen Staat (IS). Muaz und Mustafa sind beide Muslime und Türken der zweiten Generation in München. Nach einigen Monaten beginnt Mustafa, sich weiter zu verändern. Vorher ging er nur gelegentlich in die Moschee, inzwischen sieht man ihm seine muslimische Gesinnung an - am Bart, an der Kleidung. Seinen Freunden erzählt er vom "wahren Islam" und ob sie nicht auch mal zu Treffen kommen wollen. Er kenne echt nette Leute dort.

Seine Freunde distanzieren sich von Anfang an vom IS und so bricht der Kontakt langsam ab. Nur Mustafas bester Freund hält bis heute den Kontakt zu ihm. Durch ihn erfährt Muaz, dass Mustafa 2013, mit 20 Jahren, zum ersten Mal nach Syrien reist. In den Krieg.

Mustafas Eltern in Deutschland sind völlig verzweifelt und traumatisiert, täglich warten sie auf Nachricht, ob ihr Sohn noch lebt. Auch Muaz macht sich Sorgen. "Die ganze Zeit über hatte ich den Gedanken im Hinterkopf, dass es sein kann, dass er nicht mehr zurückkommt." Schließlich kommt Mustafa zurück, weil sein bester Freund ihm immer wieder schildert, wie schlecht es seiner Mutter geht.

Mustafa entscheidet sich, nicht mehr zurück nach Syrien zu gehen. An seiner Einstellung zum IS soll sich aber nichts geändert haben. "Solange wir den Kontakt zu ihnen haben, gibt es eine Chance und die Jugendlichen sind noch nicht verloren", meint Deniz Dadli vom "Planet O". Dadli und Dantschke plädieren immer wieder dafür, dass man Jugendlichen zuhören und sie ernst nehmen soll.

Muaz und seine Freunde machen sich heute noch Vorwürfe, dass sie die Gefahr nicht früher erkannt haben. In dem Vortrag am Donnerstag erklärt Claudia Dantschke, dass besonders Jugendliche betroffen seien, denen es nicht gut gehe und die auf der Suche nach einem Sinn seien. "Hätten wir erkannt, wie es um ihn steht, hätten wir uns um ihn kümmern können, bevor der Islamische Staat es tut", meint Muaz heute. Muaz ist 26, studiert Realschullehramt und arbeitet ehrenamtlich im "Planet O". Er unterstützt dort Jugendliche mit Migrationshintergrund. "Ich finde, zumindest jeder, der etwas mit Pädagogik zu tun hat, sollte über dieses Thema informiert sein", sagt er. So könne man rechtzeitig erkennen, wenn sich ein Jugendlicher in die falsche Richtung entwickle.

Zu seinem früheren Freund Mustafa hat er heute keinen Kontakt mehr, weil sie sich beide auseinander gelebt haben. Andere Freunde von Mustafa haben absichtlich den Kontakt abgebrochen, weil sie nicht mit dem IS in Verbindung gebracht werden wollen. Er steht auf Listen der deutschen Behörden, darf nicht ausreisen und wird vermutlich überwacht. Die Behörden machten den Freunden von Mustafa mehr Angst als dessen Kontakte zum IS, sagt Muaz.

© SZ vom 18.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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