Oberschleißheim:Von Menschen und Lokomotiven

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Der Autist Franziskus von Branca malt gerne Eisenbahnen und Porträts - sein Arbeitsplatz ist das Atelier HPCA in Oberschleißheim, das Künstler mit geistiger Behinderung fördert

Von Franziska Gerlach, Oberschleißheim

Dass dieser Künstler ein besonderer ist, sieht man schon daran, wie er den Buntstift anspitzt. Er steckt ihn in die Halterung, justiert ihn in einen Winkel von 90 Grad zur Tischplatte, dann greift er zur Kurbel und setzt diese langsam in Gang. Zeit ist eine relative Größe im Leben von Franziskus von Branca, er macht die Dinge so, wie er sie für richtig hält. Nicht nur am linken Handgelenk eine goldene Uhr zu tragen, sondern auch am rechten, findet er völlig legitim. "Eine ist Solar", sagt er nur. Dem Gegenüber muss das als Begründung reichen.

Der 63 Jahre alte Künstler mit dem schönen Namen hat eine Form des Autismus, Mimik und Gesten zu deuten, fällt ihm schwer. Ungesellig ist er aber nicht, und wer sich auf die Welt einlässt, die sich an seinem Arbeitsplatz im Atelier des Heilpädagogischen Centrums Augustinum in Oberschleißheim (HPCA) entfaltet - einer Einrichtung zur Förderung von Künstlern mit geistiger Behinderung - der begibt sich auf eine wundersame Reise, die ein wenig an Jim Knopfs Fahrt durch Lummerland erinnert. Branca hat sich an seinem Tisch in einer Ecke des Künstlerateliers regelrecht eingemauert mit seinen Bildern, sie hängen vor, neben oder hinter ihm. Dampflokomotiven schnauben darauf die Schweizer Berge hinauf, auch Papageien mit Krönchen und Uhren mit komplexen Zahnrad-Systemen zeichnet er gerne, Gespräche oder Szenen inspirieren ihn manchmal ganz spontan zu Skizzen; die Art, Linien ohne Absetzen des Stiftes zu ziehen, erinnert insbesondere in früheren Werken an Picasso. In seinen Porträts hingegen taucht immer wieder der bekannte Dirigent Enoch zu Guttenberg auf. "Das ist ein Verwandter von mir", sagt Branca eher unaufgeregt.

Die Kunst gibt Franziskus von Branca das Gefühl, etwas Wichtiges zu machen. Und er nimmt sich als Künstler ernst. (Foto: Catherina Hess)

Dass Franziskus von Branca aus den Adelsgeschlechtern Branca und Guttenberg stammt, ist auch dem Newsletter zu entnehmen, den die Münchner Galerie Schüller vor einigen Tagen erstmals verschickt hat. Künftig soll jeden Monat einer der zehn Künstler vorgestellt werden, die in der Oberschleißheimer Werkstatt arbeiten. Sinn und Zweck der Kooperation ist es, diesen "Nischenstil" sichtbarer zu machen, wie Leiter Klaus Mecherlein erklärt, der das Atelier vor mehr als 20 Jahren gegründet hat. Der Franzose Jean Dubuffet beschrieb die Kunst psychisch Beeinträchtiger in den Vierzigerjahren als "Art Brut", der englische Kunsttheoretiker Roger Cardinal führte 1972 den Begriff der "Outsider Art" ein. Doch für ihre Vertreter sei es noch immer schwer von einer Galerie unter Vertrag genommen zu werden, sagt Mecherlein. Und in Relation zum restlichen Kulturbetrieb sei diese Szene "sehr klein, sehr unbekannt und komplett unterfinanziert."

Franziskus von Branca war immerhin schon an mehreren Ausstellungen beteiligt, in Lissabon oder Kyoto etwa, vor einigen Jahren gewann er den Preis, den die Stadt Radolfzell an Künstler mit Behinderung vergibt. Kunst ist bei Franziskus von Branca Familiensache: Die Mutter war Opernsängerin, der Vater ein renommierter Architekt. Auf Alexander von Branca geht etwa die Neue Pinakothek in München zurück. Zudem hat der 2011 verstorbene Architekt und Künstler, der während des Zweiten Weltkrieges in Gestapo-Haft saß, auch etliche Kirchen entworfen, zum Beispiel St. Peter in Kirchheim. Sein Sohn, Franziskus von Branca, griff schon als Kind das erste Mal zum Stift. "Die Kunst gibt ihm das Gefühl, etwas Wertvolles, etwas Wichtiges zu machen", sagt Mecherlein. Überhaupt würden sich die Künstler des Ateliers alle als solche begreifen. "Die wollen Kunstpreise gewinnen und Geld verdienen", sagt Mecherlein. "Ein Verkauf ist immer auch ein persönlicher Erfolg." Branca kommt morgens gerne mal später als die anderen ins Atelier und bereitet sich zunächst ein Frühstück aus Earl Grey und einem Toast mit Aprikosenmarmelade - "aus London", wie er mehrfach sagt. Auf subtile Weise konserviert Branca das Aristokratische auch in seiner Kunst, etwa in dem er Gegenstände darstellt, die Mitgliedern seiner Familie gehörten. Die Kaffeemühle seiner Großmutter, die Barockkommode des Vaters. Und dann: Immer wieder Lokomotiven, über manchen schwebt ein massiver Block aus Dampf, wenn sie über die Schienen schießen. Mit versiertem Strich zieht der Künstler die Konturen von Kolben, Zylindern und Ventilen nach, die Flächen schraffiert er manchmal, dann wieder gestaltet er sie farbig, rot oder grün. Die Namen der dargestellten Modelle kennt er aus dem Effeff, überhaupt spricht Branca viel lieber über Lokomotiven als über Rembrandt, den er eher beiläufig als seinen Lieblingskünstler bezeichnet - "weil er so scharfe Bilder gemalt hat", wie er dann noch sagt.

Der 63-Jährige möchte gerne Bilder ausstellen und verkaufen. (Foto: Catherina Hess)

Franziskus von Branca interessiert sich für Politik und bejaht Humanität, vor allem aber ist er ein guter Beobachter und seine Werke tendieren dabei manchmal ins Karikaturhafte. Trotz - vielleicht auch gerade wegen seiner Distanz zur Umwelt - gelingt es ihm, das Charakteristische eines Gesichtsausdruckes einzufangen. Obwohl er Überflüssiges gerne ausspart, lassen sich die schräg gestellten Augen vor grünem Hintergrund zweifelsfrei Marcel Reich-Ranicki zuordnen. Hat Franziskus von Branca ein Bild fertig gestellt, signiert er es meist. "Freiherr von Branca", steht dann in kindlichen Buchstaben unter den Porträts von Enoch zu Guttenberg, Günther Grass oder jenem von Serge, dem Praktikanten. Menschen zu zeichnen, das ist wohl seine Form der Sympathiebekundung. In diesen Tagen gibt es allerdings eine Person, die er gerne auch mal mit Worten verteidigt: Bundeskanzlerin Angela Merkel. Er tut das freilich nicht von glühender Leidenschaft oder bitterem Zorn getrieben, sondern mit einer Gelassenheit, die manchem ihrer Gegner gut anstehen würde. "Ich sag' einfach nur, dass man nichts gegen sie sagen darf", erklärt er - und: "Wir haben ja nichts Besseres."

© SZ vom 26.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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