Neubiberg:Schöne, schreckliche Aussichten

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Tanja Martina Federl arbeitet in ihren digitalen Foto-Collagen Individualität aus der monotonen Struktur von Massen heraus. Etliche ihrer eigenwillig ästhetischen Werke, die in Neubiberg gezeigt werden, sind von der Sorge um den Zustand der Welt inspiriert

Von Udo Watter, Neubiberg

Ein Wesen kniet gedankenversunken auf einem Berg von Müll und blickt in den Abgrund. Vor ihm entfaltet sich ein gewaltiges dystopisches Panorama, eine wuchernde Megalopolis, in die sich dunkle Wolkenwände schieben. Wer ist dieser Denker? Ein humanoider Beobachter aus dem All, der an der menschliche Rasse verzweifelt? Gollum aus "Herr der Ringe"? Eine verstörende Variante von Rodins "Le Penseur"? Nein, es ist eine Figur, die irgendwo in der neuseeländischen Hauptstadt Wellington vor sich hinrostet und die Tanja Martina Federl dort entdeckt und fotografiert hat. Auch alle anderen Ingredienzen, die in ihrem Bild "Wachstum" zu sehen sind, kommen in der Wirklichkeit vor. Die Megacity etwa ist aus verschiedenen Einzelfotos von Wolkenkratzern in Bangkok, Hongkong, San Francisco oder Barcelona komponiert, auch den Müll und die Wolken hat die Künstlerin in verschiedenen Weltgegenden mit ihrer Kamera eingefangen. Fotos sind für sie freilich nur eine Art Rohstoff, sie verdichtet diese einzelnen visuellen Bausteine mit digitaler Mischtechnik quasi so lange, bis die Komposition eine neue Essenz gewinnt. Mitunter verarbeitet sie dabei mehrere Hunderte, ausschließlich selber gemachte Fotografien zu einem Bild. "Mich interessieren Dinge, die in Massen auftreten", sagt Federl, "die aber bei näherer Betrachtung individuelle Verschiedenheiten haben".

Zu sehen sind die Werke der 1963 in München geborenen Künstlerin derzeit in der Neubiberger Galerie Galliani in der Ausstellung "Structures of Life". Um der Komplexität der Welt Struktur zu verleihen, wählt sie aber eben nicht den Weg der Reduktion, sondern versucht, das Massen-Auftreten von Phänomenen so zu gestalten, dass der Blick letztlich aufs Wesentliche gelenkt wird. Inspiriert ist sie vom Zeitgeschehen, von Entwicklungen, die sie beunruhigen. Bei einem Bild wie "Wachstum" geht es da natürlich auch um die Frage, "wohin das alles führen soll" - kapitalistische Steigerungslogik, der Immer-mehr-Imperativ, Gier, Bevölkerungszunahme, Wachstumswahn. Freilich will Federl nicht einfach schockieren, die farbintensive Arbeit atmet trotz der düsteren Thematik eine merkwürdige Ästhetik.

Die Münchner Digital-Art-Künstlerin Tanja Martina Federl vor dem Werk "Containerstadt", einer Collage aus vielen Einzelfotografien. (Foto: Angelika Bardehle)

Das Schöne und das Schreckliche gehen auch in anderen Werken der Künstlerin, die für ihre Arbeit viel auf Reisen ist, Hand in Hand. Die im aufgeräumten Deutschland oft nicht wahrgenommene Vermüllung der Welt beschäftigt die Münchnerin besonders. Zwei ihrer neuesten Werke "Great Pacific Garbage Patch" sind von dem riesigen Plastikmüllstrudel inspiriert, der im Pazifik dahin treibt. Da gleitet ein Taucher - Teil einer Skulptur, die Federl in Brasilien fotografiert hat - in paradiesisch blauem Wasser, umgeben von Plastiktüten, die wie hübsche bunte Quallen schweben - und fast wie grazile individualistische Wesen anmuten. Federl, die 2009 mit klassischer Collage-Technik, Ausschneiden und neu Zusammenfügen, angefangen hat, nutzt die sich stets verändernden Möglichkeiten der digitalen Fotobearbeitung, dazu gehört Verbiegen und Verzerren, was vor allem in ihrer Bus- und Taxi-Serie aus Rio de Janeiro zu sehen ist, und inzwischen nutzt sie auch digitale 3D-Techniken. Eindrucksvoll ist das in einem weiteren "Müll"-Bild zu sehen, bei dem die in Venedig aufgenommene Skulptur eines Jungen einen von der Weltkugel von innen heraus beleuchteten Müllsack hält. Darunter ein Krater, der reliefartige Strukturen hat, einen surreal grünen See umschließt und seinerseits von einer Masse von Plastiktüten umkuschelt wird, die Federl an einem Strand in der Dominikanischen Republik entdeckt hat. "Für die Entstehung meiner Arbeiten sind zwei Quellen wichtig: die Beobachtung des Zeitgeschehens und das Reisen", erklärt Federl. "Ich muss die Dinge erleben und spüren."

Den Genius Loci des Oktoberfests hat sie für ihre entsprechende Serie "Wiesn-Gaudi" definitiv auch gespürt, stundenlang war sie an manchen Tagen dort und hat Fotos geschossen. Bei der Verarbeitung hat sie auf die Technik der High Dynamic Range-Fotografie zurückgegriffen, ein Hochkontrastverfahren, und gerade die bewegliche Objekte, die man sonst dabei vermeidet, vermitteln hier einen schemenhaften Charakter, der besonders gut zum Zustand des Rausches passt. In ihrer Freizeit geht Federl schon lange nicht mehr auf die Wiesn, aber als Massen-Ereignis, welches das Schöne und das Schreckliche verschmilzt, wo das Individuum seine Individualität kämpfen muss, und das mit allen Sinnen und Farben zu überwältigen sucht, ist sie eben ein wunderbarer Quell der Inspiration.

Ein Anblick, der nachdenklich stimmt: Reale Städte der Welt wie Bangkok und Hongkong bilden im Werk "Wachstum" eine dystopisch anmutende Megalopolis. (Foto: Angelika Bardehle)

Die Ausstellung "Structures of Life" in der Neubiberger Galerie Galliani, Hauptstraße 55, dauert noch bis zum 8. April. Geöffnet ist die Galerie dienstags bis freitags von 14 bis 18 Uhr.

© SZ vom 19.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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