Neubiberg:Globaler Denker

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Wien, Brüssel, New York - Neubiberg: Günter Hein ist der Bundesuniversität noch immer verbunden. (Foto: Bardehle)

Günter Hein hat die Satellitenforschung vorangetrieben. Jetzt ist er als Exzellenter Emeritus im "Unruhestand"

Von Daniela Bode, Neubiberg

Heute Wien, morgen Prag, übermorgen Brüssel und Paris. Günter Hein ist zwar offiziell in Ruhestand in der Spitzenposition als Head of Galileo Strategy and Programme Department bei der Europäischen Weltraumagentur ESA. Aber: "Ich könnte mit 80 Stunden pro Woche weiterarbeiten, wenn ich wollte", sagt der 66-Jährige, der bis September 2014 als Professor für Erdmessung an der Universität der Bundeswehr München in Neubiberg tätig war. Er ist ein gefragter Mann, wenn es um Navigation geht.

2002 erhielt Hein etwa vom US-Institute of Navigation den Johannes Kepler Award - die höchste Auszeichnung weltweit im Bereich der Satellitennavigation. Zuletzt würdigte die Bundeswehruniversität in Neubiberg ihn für seine Forschungen. Präsidentin Merith Niehuss verlieh ihm den Status Exzellenter Emeritus. Er ist erst der dritte Wissenschaftler, der diesen Ehrentitel an der Universität erhält.

Hein erreichte schon in jungen Jahren höhere Ebenen in der Wissenschaft. Mit erst 32 Jahren übernahm er 1983 als damals jüngster Professor an der Bundeswehr-Universität das Institut für Erdmessung und Navigation. Erdmessung, auch Geodäsie genannt, beschäftigt sich mit der Figur der Erde als Ganzes sowie der Positionierung auf der Erde und der Bahn der Satelliten. Hein hatte Vermessung, wie er sagt, "von der Pike auf" gelernt - erst eine Lehre als Vermessungstechniker absolviert, dann an der Fachhochschule Mainz Vermessung studiert, schließlich in fünf Semestern sein Ingenieurs-Studium in Geodäsie und Erdbeobachtung an der Technischen Universität in Darmstadt abgeschlossen. Promotion und Habilitation folgten.

Satelliten-Navigationssysteme könnte man wohl als Heins Lebensthema bezeichnen. Der Professor entwickelte mit seinem Institut, an dem 35 Leute arbeiteten, maßgebliche Bestandteile des europäischen Navigationssystems Galileo, unter anderem wichtige Bereiche in der Signalentwicklung von Galileo und damit dem Herzstück des Systems. Im Rahmen einer Drittmittelforschung beriet er das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt und das Bundesverkehrsministerium. "Das führte dazu, dass ich deutscher Vertreter für Galileo wurde", sagt er. 2007, als es bei Galileo eine finanzielle Krise gab, wurde er von Bundeskanzlerin Angela Merkel eingeladen, sie zu beraten. So kam es, dass er in der Zeit als Vertreter der Bundesregierung in der Delegation der Europäischen Kommission auf höchster Ebene mit den USA, China, und Russland über die Abgrenzung nationaler Navigationssysteme verhandelte. Hier war Fingerspitzengefühl gefragt. "Wir verhandelten vier Jahre lang mit den USA. Manchmal ging es um 0,1 Dezibel", sagt der Professor. Das war sicher knifflig, aber nötig: "Bei Galileo geht es auch um die nationale Sicherheit. Wir wollen ja nicht, dass Signale von Dritten gegen uns verwendet werden", sagt der gebürtige Hesse.

Als 2008 schließlich die Stelle bei der Europäischen Weltraumagentur frei wurde, nominierte ihn die Bundesregierung. An der Bundeswehruniversität wurde er von 2008 an für die Tätigkeit beurlaubt. Bei der ESA war er dann zuständig für die technische Seite und die Weiterentwicklung des europäischen Satelliten-Navigationssystems und später für die strategische Ausrichtung. Sechs Jahre lang war er bei der ESA in einer Spitzenposition.

Wenn man so will, hat Hein mit seiner Arbeit für das europäische Navigationssystem viel für den Komfort der Allgemeinheit getan: "Mit Galileo haben wir etwas, was jedem Bürger hilft", sagt er. Das System ist zwar noch im Aufbau, aber das schon bestehende amerikanische System GPS wird etwa für die Navigation in Autos genutzt, ebenso in Mobiltelefonen. Auch in der so genannten kritischen Infrastruktur, also etwa der Telekommunikation oder bei der Stromeinspeisung, ist Satellitennavigation nicht mehr wegzudenken. Wenn der Professor vom Nutzen der Navigationssysteme erzählt, merkt man, wie begeistert er noch immer von dem Thema ist.

Neben seinem Enthusiasmus und Verhandlungsgeschick zeichnet sich Hein auch durch Durchhaltevermögen aus: Weil sein Team bei der ESA auf Paris, Tolouse und Noordwijk verteilt war, war er selten länger als zwei Tage an einem Ort. "Außer Arbeit gab es da eigentlich nichts, aber das war eine fantastische Zeit", sagt er. Was man sich als Professor wünsche, nämlich Forschungen umzusetzen, habe er machen können. Ihm gefiel es, stets interdisziplinär zu arbeiten, immer wieder Neues zu lernen. Sicher spielte das stets gute Arbeitsklima eine Rolle für seine Erfolge: "Ich hatte immer sehr gute Mitarbeiter, auch an der Universität", sagt er. Auch "weil der liebe Gott mich mit einer guten physischen Kondition ausgestattet hat", habe er das Pensum an Ortswechseln und Vorbereitungen auf für diverse Verhandlungen und internationale Treffen so gut hinbekommen.

Es wirkt, als habe sich in Heins beruflicher Laufbahn stets alles gut gefügt. "Die Universität ist mir mehrere Male entgegengekommen", sagt er. Etwa, als er 1984 - er hatte erst vor kurzem den Ruf erhalten - erst einmal als Visiting Senior Scientist nach Amerika eingeladen war, er hatte schon vorher zugesagt gehabt. Auch stand die Universität ihm nicht im Weg, als er als Visiting Guest Professor an der Universität von Maine in den USA forschte und später ein Masterprogramm an der Universität in Delft in Holland anbot. So ist es nur allzu gut zu verstehen, dass er zwei Rufe anderer Universitäten ausgeschlagen hat. "Die Bundeswehruniversität hat mir einfach sehr gute Arbeitsbedingungen ermöglicht", sagt der emeritierte Professor. Die technische Universität Prag würdigte 2013 seine Leistungen mit dem Dr. h.c.

Seit Januar ist er nun in Ruhestand, Ende September vorigen Jahres emeritierte er an der Universität. "Meine Frau würde eher Unruhestand sagen", sagt er und lacht. Ziemlich passend, wenn man seine Agenda sieht. Er fliegt zu internationalen Kongressen zum Thema Navigation. Mit der ESA hat er noch Beratungsverträge. Zudem ist geplant, dass er als Exzellenter Emeritus im Forschungsverein Munich Aerospace im Vorstand die Interessen der Bundeswehr-Universität vertritt. "Das will ich gerne machen", sagt er. Zudem veranstaltet er für die ESA eine Sommerschule für den Nachwuchs. Und das ist ihm wichtig. "Es ist an der Zeit, dass der richtige Nachwuchs kommt. Ich trete gerne in die dritte oder vierte Reihe", sagt er.

Trotz der vielen Anfragen - etwas mehr Freizeit wird er sich in Zukunft wohl gönnen. Ideen hat er jedenfalls. Wieder ins Theater und in die Oper gehen. Wieder E-Gitarre spielen. Und sich seiner Frau und dem Familiennachwuchs widmen: "Ich freue mich, wenn ich mich um meinen kleinen Enkelsohn kümmern kann."

© SZ vom 05.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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