Neubiberg:Der Berg schreit

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Der 80-jährige Künstler Walter Tafelmaier stellt seine Werke in Neubiberg aus

Von Udo Watter, Neubiberg

Die weißen Zacken der breiten Berges sind gegen einen braun-schwarzen Hintergrund gesetzt. In seinem Innern wirbeln Aschefetzen hoch. Ein düsteres Szenario in Großformat. Auf einem anderen Bild durchbricht der Buchstabe T den Gipfel und verwandelt sich auf dem Weg durch das Gestein in eine Schlange. Das Werk "Berg in Bewegung" erinnert hingegen an eine breite unheilvolle Gestalt aus einem expressionistischen Stummfilm, schattenhaft wandelnd, dem nächsten Mord oder dem Verhängnis entgegen? Und die sinkende "Titanic", im Bild samt ihrem bizarr geformten Eisberg festgehalten, darf als Untergangs-Metapher par excellence auch nicht fehlen. Bergzerfall. Auslöschung, das Sein zum Tode, Facetten der Vergänglichkeit.

Nein, die Ausstellung "Der Berg schreit" mit Arbeiten von Walter Tafelmaier, die seit dieser Woche in der Neubiberger Galerie Galliani zu sehen ist, befeuert nicht gerade die Lebenslust. Kein Farbenrausch, kein buntes Ästhetisieren, keine Motive echter Versöhnung bestimmen das Werk des in Ottobrunn lebenden Künstlers, der einen skeptischen Blick auf die Welt pflegt und von sich sagt: "Ich bin ein totaler Misanthrop." Aber keine Sorge: Der 80-Jährige, der im Lauf seiner Karriere zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland hatte und Auszeichnungen wie 1964 den Kunstpreis für Malerei und 2004 den "Seerosenpreis" jeweils der Stadt München erhielt, ist ein umgänglicher, kluger Gesprächspartner, der sein Problem mit der Gattung, nicht mit dem Individuum hat. Für ihn ist Kunst eben nichts Fröhliches, sie soll das Leben spiegeln, und das wird für Tafelmaier nun mal bestimmt von Vergänglichkeit, von Krankheit, Tod, Dummheit und Ich-Zerfall.

Walter Tafelmaier vor einem Objekt, das er mit Taschentüchern formte, die von der Asche verbrannter Bergzeichnungen geschwärzt sind. (Foto: Angelika Bardehle)

Dass die Menschheit in den vergangenen Jahrtausenden in manch existenzieller Frage nichts oder nicht viel hinzu gelernt hat, da würden ihm wohl zahlreiche Leute zustimmen, aber der 1935 in München geborene Tafelmaier hat diese Erkenntnis in einer besonderen Dimension verinnerlicht und schöpft aus ihr seine Inspiration. Zum Titel seiner Ausstellung sagt er: "Der Berg schreit eigentlich, weil ihm die Luft ausgeht." Das Sujet 'Berg' begleitet den Künstler, der selbst früher viel im Gebirge kletterte, schon lange. In jüngerer Zeit stellte er etwa 2012 im Messner Mountain Museum in Bozen aus und erregte dort mediales Aufsehen. Das geschundene Naturparadies, die immer größeren Wunden, die der Mensch dieser felsigen Welt schlägt, aber auch der natürliche erdgeschichtliche Verfall einer scheinbar so unerschütterlichen Landschaft sind Quellen seines Schaffens. In einem Bild umfasst die Regenbogenschlange aus der Mythologie der australischen Aborigines einen Berg - sie hat ihre legendäre Heimat auf einem uralten Kontinent, dessen einstige Hochgebirgszüge zum Großteil stark abgetragen, also Produkte entropischer Verfallsprozesse sind.

Tafelmaiers Werke (Malerei auf Papier) sind hauptsächlich von den Farben Braun, Grau, Schwarz und Weiß bestimmt - der an der Akademie der Bildende Künste ausgebildete Münchner kommt ursprünglich von der Radierung und Druckgrafik - aber in der Motivik durchaus abwechslungsvoll: Eindrucksvoll ist etwa "Sintflut" mit dem irischen Klosterinselberg Skelling Michael und kleinen, um ihr Leben rudernden Schiffern. Hier zeigt sich auch besonders gut Tafelmaiers Technik, der gerne Asphalt-Lack als Malmittel verwendet und das Papier von hinten mit verdünntem Asphalt behandelt hat, um einen ganz bestimmten Gelbton zu erhalten. "Bestialisches Zeug" sagt er, nicht ganz ohne Augenzwinkern. Er hat bei "Sintflut" gestalterisch umgesetzt, was er generell gerne tut: Tafelmaier übermalt und überzeichnet seit vielen Jahren, besondere gerne Kopien von Originalen. "Werden und Vergehen" ist ein Leitmotiv. Passend dazu verwendet er oft Saugpostblätter, billiges, gelbliches Papier, das leicht zerfällt. Ein Highlight in seiner Konfrontation mit dem Verfall: Tafelmaier hat eigene Bergzeichnungen zu Asche verbrannt und daraus neue Formationen gestaltet. In Neubiberg ist ein Objekt zu sehen, das von Taschentüchern geformt ist, die geschwärzt von der Asche seiner verbrannten Zeichnungen sind und eine neue plastische Bergkette bilden. Tafelmaier, der in den Achtzigern Krebs hatte und im hohen Alter zunehmend über den Tod reflektiert, hat auch hier wieder eine neue, simple-raffinierte Kombination von Vergehen und Erneuerung geschaffen. "Kunst muss mit dem Leben zu tun haben", sagt er. Das Leben - in diesem Fall ein Zerfall.

Auch das Motiv eines weiteren Werks - schwarze Vögel und schwarze Hügel - ist eher düster. (Foto: Angelika Bardehle)

Die Ausstellung "Der Berg schreit" in der Galerie Galliani, Hauptstraße 55 in Neubiberg, dauert bis zum 24. Juli.

© SZ vom 20.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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