Die meisten Türen in Mietshäusern haben auf Augenhöhe ein kleines Guckloch. Den Türspion. Klingt nach Erspähen echter Geheimnisse, ist leider aber nur in eine Richtung zu gebrauchen - in die vermutlich weniger interessante. Natürlich ist das gut so, aber manchmal wüsste man schon ganz gerne, was hinter so mancher Tür vor sich geht. Zum Beispiel im Ärztehaus in Taufkirchen. Dort hängt im ersten Stock ein DIN-A4-Blatt mit der Aufforderung, die Patienten mögen doch bitte nicht vor 8.25 Uhr die Praxisräume betreten. Die Mitarbeiter bitten darum, auch nicht zu klingeln, um ihnen eine "ruhige Arbeitsvorbereitung" zu ermöglichen. Das leuchtet ein. Ungeduldige und unfreundliche Patienten nerven so früh ganz besonders.
Damit sind alle dazu verdonnert, brav im Treppenhaus zu warten, hin und wieder schlüpft ein Arzt oder eine Assistentin durch einen Türspalt, so schmal, dass ein Blick ins Innere kaum möglich ist. Der aber wäre durchaus spannend. Denn die "ruhige Arbeitsvorbereitung" hallt mit lauten Beats durchs Haus, die Musik ist voll aufgedreht, jemand singt mit, sodass sich die Nachbarn von der Jugend- und Familienhilfe schon amüsiert wundern: Ist da jetzt schon Party?
Das geht so bis genau 8.25 Uhr. Dann öffnet die freundliche Arzthelferin die Tür. Bitte eintreten. Drinnen ist nichts so, wie man es sich angesichts der nach außen dringenden Stimmung vorgestellt hat. Alle befinden sich brav auf ihren Plätzen. Aus den Lautsprechern plätschern ganz leise sanfte Sphärenklänge. Ein Spuk? Oder handelt es sich hier etwa um eine verzauberte Tür, hinter der sich für Auserwählte anderes verbirgt als für Kassenpatienten? So wie das berühmte Gleis 9¾ am Bahnhof King's Cross bei Harry Potter?
Fest steht: Taufkirchen ist absolut auf der Höhe der Zeit. After-Work-Partys waren gestern, jetzt wird vor dem Dienst gefeiert. In London und Berlin hat sich das längst durchgesetzt. Auf jeden Fall scheint diese Before-Work-Party die Stimmung in der Praxis zu heben. Alle sind um 8.25 Uhr ganz entspannt.