Konzert in Pullach:Vielfältige Emotionen

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Hohes manuelles Können, tief durchdachte Interpretationen: Kit Armstrong ist ein Ausnahmekünstler. (Foto: Angelika Bardehle)

Die Pullacher Konzertreihe präsentiert den US-amerikanischen Pianisten Kit Armstrong, der mit seinen Choral-Vorspielen und Variationen von Bach, Sweelinck oder Liszt die Zuhörer im Bürgerhaus herausfordert - und am Ende beglückt

Von Udo Watter, Pullach

Franz Liszt wird immer wieder mal als erster moderner Superstar der Klassik bezeichnet - ein virtuoser Feuerwerker, ein Pianist mit grandiosen manuellen Fähigkeiten, ein Salonlöwe, bei dessen Spiel die Damen reihenweise in Ohnmacht fielen. Die Kehrseite dieser glamourösen Reputation war, dass man ihm gerade auch als Komponisten lange die künstlerische Tiefe absprach und ihn - von wenigen Ausnahmen abgesehen - eher als genialischen Effektzauberer einordnete.

Bei dem Pianisten und Komponisten Kit Armstrong käme wohl niemand auf die Idee, ihn als preziösen Künstler abzutun, der nur auf oberflächliche Effekte aus ist. Der 24-jährige US-Amerikaner mit taiwanesischen Wurzeln gilt als begnadeter Kopf, der in seiner Herangehensweise an die Musik für gestalterischen Weitblick, Akribie und Gedankentiefe bekannt ist. Kein Wunder, dass das einstige Wunderkind, das schon in sehr jungen Jahren neben Musik und Klavier Mathematik oder Physik studierte und als 13-Jähriger beim Großpianisten Alfred Brendel lernte, Johann Sebastian Bach, den Meister des Kontrapunkts, zu seinen Favoriten zählt.

Bei seinem Konzert im Pullacher Bürgerhaus spielte freilich auch Liszt eine signifikante Rolle - der 1811 geborene Komponist war eben nicht nur glanzvoller Virtuose, sondern auch ein tief religiöser Mann, der immer wieder spirituell-meditative Stücke komponierte, nicht zuletzt in seinem vergeistigten Spätwerk.

Franz Liszts Variationen über ein Thema von Bach ("Schlusschoral: Was Gott tut, das ist wohlgetan"), die Armstrong am Ende des Konzertes spielte, waren sicherlich ein Höhepunkt dieses Abends, an dem generell diverse Choral-Präludien, von Bach, aber auch von Brahms, Reger oder Jan Pieterzoon Sweelinck im Mittelpunkt standen. Hier gönnte sich der sonst meist in fast kompromissloser Strenge zurückhaltende Armstrong hochvirtuose Ausflüge, durchschritt vielfältige Klangfarbenwelten und entfaltete auch dunkel-bedrohliche Bassläufe. Das Werk deutet diverse, auch hoffnungsvolle Stimmungen an, aber dominant bleibt doch der Affekt der Trauer und des Schmerzes.

Für seine Interpretation erntete Armstrong Bravo-Rufe, nicht zuletzt wohl deshalb, weil er hier einen Tick entfesselter aufspielte. Ansonsten ist der Amerikaner keiner, der dem Publikum schon qua Programm einen leicht zu genießenden Abend bietet. Der Pianist, der behauptet, dass für die Interpretation vor allem das richtige Hören wichtig sei, gewann auch zu Beginn in seinen Choral-Variationen respektive Vorspielen von Sweelincks und Johann Sebastian Bachs "Erbarm dich mein, o Herre Gott" die besondere Wirkung aus der Stille heraus, aus kleinen Verzögerungen, versierten Momenten des Innehaltens. Gerade bei Bachs Präludium arbeitete er die Einfachheit der melodischen Linien markant heraus. Es sind simpel gemeißelte Töne, denen religiöse Tiefe innewohnt. Der 1992 in Los Angeles geborene Künstler schätzt seine Klavier-Transkriptionen barocker Orgelwerke - etwa auch die Partita über "O Gott, du frommer Gott" deshalb so, weil er am Flügel seine Emotionen vielfältiger widerspiegeln kann. Dass passiert bei ihm ohne Manieriertheit, jeder einzelne Ton wirkt wie das strenge Produkt vorheriger Gedankenarbeit.

Armstrong zeigte auch seine manuelle Klasse bei kontrapunktischen Techniken oder extravaganten Verzierungen. Ferrucio Busonis Fantasia nach Bach "Christ, du bist der helle Tag" mutete fast romantisch an, mit viel Pedal-und Klangfarben-Effekten. Auch hier verstand es der früh vollendete Pianist, der in Pullach mitunter die Noten von einem auf dem Flügel platzierten Laptop ablas, dramaturgisch packend zu spielen. Einen unaufdringlichen Sog entbreitete er zudem nach der Pause mit Liszts schlicht-erhabenen Chorälen "Crux ave benedicta", "Die fünf Wunden" oder "O Traurigkeit" - definitiv keine virtuosen Blendwerke. Genau so wenig wie die Zugabe: John Bulls durchgehend im 11/4-Takt geschriebenem Stück "In nomine".

© SZ vom 28.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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