Kirchheim:Meinungsvielfalt statt Parteipolitik

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Böltl (links) und Günter Schindl pflanzen einen Baum in Páty. (Foto: oh)

Kirchheims Bürgermeister Maximilian Böltl diskutiert in der ungarischen Partnergemeinde Páty mit ungarischen, slowakischen und rumänischen Kommunalvertreter die Flüchtlingspolitik. Dabei offenbaren sich deutliche Unterschiede - auch in der Kultur des Miteinanders

Interview von Verena Fücker, Kirchheim

Für 30 Kirchheimer ging es Ende Oktober auf eine besondere Reise. In ihrer Partnergemeinde im ungarischen Páty trafen sie im Rahmen eines EU-Programms auf Vertreter aus Zsobok in Rumänien und Kistárkány in der Slowakei. Beide Gemeinden lagen früher in Ungarn. Sie sind mit dem Land heute noch stark verbunden, nicht zuletzt aufgrund der Gemeindepartnerschaft mit Páty. Bei der Ungarn-Reise war auch der Kirchheimer Bürgermeister Maximilian Böltl (CSU) dabei. Neben einem Programm rund um Kunst, Kultur und Sport in den vier Teilnehmergemeinden stand vor allem eine Diskussionsrunde der vier Bürgermeister und Gemeindevertreter im Fokus, in der es um die Flüchtlingspolitik in Ungarn, aber auch in Deutschland gehen sollte. Maximilian Böltl hatte im Vorfeld der Reise um so eine Runde gebeten - im Gespräch mit der SZ berichtet er von diesem "kleinen EU-Gipfel".

SZ: Warum haben Sie bei Ihrer Ungarn-Reise eine Diskussionsrunde zum Thema Flüchtlingspolitik angeregt?

Maximilian Böltl: Auf dem Programm stand eine Diskussionsrunde zur Europawahl, zur Situation auf kommunaler Ebene, zu Wahlen im Allgemeinen. Aber natürlich ist die aktuelle Situation gerade eine andere. Statt der Europawahl ging es dann um Asylpolitik. Mir war sehr wichtig, eine Diskussion einzufordern, damit man die verschiedenen Perspektiven besser kennenlernen kann.

Ungarn steht und stand in den vergangenen Monaten aufgrund der dortigen Flüchtlingspolitik im Fokus. Páty liegt im Landesinneren, in der Nähe von Budapest, hat man dort davon etwas mitbekommen, was an den Grenzen passiert?

In Páty gibt es, soweit ich das mitbekommen habe, keine direkten Berührungspunkte mit Flüchtlingen. Aktuell haben wir eine Krise in der EU, weil wir jetzt innen wieder Grenzen haben. Wir waren uns einig, dass wir die Außengrenzen schützen müssen, damit wir nach innen offen bleiben können. Das ist es ja, was Europa ausmacht. Über die Art und Weise, wie man die Grenzen schützt, darüber gehen die Meinungen stark auseinander. Für die Ungarn, auch in Páty, ist die Lösung ein Zaun, sozusagen ohne Tür. Wir in Deutschland sehen da andere Wege, die zum Ziel eines geordneten Zugangs in EU-Länder führen.

Es waren auch die slowakische Gemeinde Kistárkány und die rumänische Gemeinde Zsobok mit Vertretern bei den Gesprächen dabei. Wie sieht deren Vorstellung von Asylpolitik aus?

Die Asylpolitik wird dort ähnlich wie in Ungarn gesehen. Soweit ich weiß, hat auch keine der anderen beiden Gemeinden direkten Kontakt zu Flüchtlingen, aber sie teilen dieselben Ängste. Die Slowakei und Rumänien gehören zu den ärmsten Ländern in Europa und dort fragen sich die Leute schon, was passiert, wenn jetzt noch ärmere Menschen nach Europa kommen. Ein wohlhabendes Land wie Deutschland kann diese Menschen eben anders unterstützen. Viele andere Länder können den Flüchtlingen gar nicht in dem Maße helfen, wie Deutschland das macht und wie Deutschland das vielleicht auch umgekehrt erwartet. Es fehlen die finanziellen Ressourcen. Die Menschen dort haben Angst, dass sie den Anschluss an Europas Wohlstand verlieren, das war zumindest mein Eindruck.

Wie haben Ihre Kollegen auf die deutsche Asylpolitik reagiert?

Man hat schon gemerkt, dass es schwierig ist, für unsere besondere Situation in Deutschland Verständnis zu wecken. Wir haben aus unserer Geschichte heraus einfach schon eine ganz besondere Verantwortung, Menschen in Notlagen zu helfen. Gerade als es um Religion und um fremde Religionen ging, habe ich versucht zu erklären, dass bei uns in Deutschland die Religionsfreiheit einen sehr hohen Stellenwert hat, eben gerade weil Deutschland schon mal eine Religionsgruppe nahezu ausgelöscht hat. Mir ging es aber nicht darum, dieses Geschichtsmantra vor mir herzutragen, sondern darum, Verständnis für unsere Haltung aufzubauen.

Konnten Ihre drei Kollegen Sie denn verstehen?

Es ist jetzt nicht so, dass wir danach alle gesagt haben: "Ich teile die Position des anderen." Aber man hat schon gemerkt, dass Verständnis dafür da ist, dass ein wohlhabendes Land mit der Geschichte wie Deutschland einfach anders mit dem Thema umgeht. In der Religionsfrage war die Sache ziemlich eindeutig. Da kam von allen drei Gemeinden die klare Aussage, dass sie eine Dominanz fremder Religionen verhindern wollen. Sie sagen: "Wir wohnen in einem christlichen Land und das soll so bleiben."

Und über die Religion hinaus?

Ansonsten gab es sehr deutliche Kritik an der deutschen Position, von allen drei Gemeinden. Es gab sehr viele Fragen, warum wir Dinge so machen, wie wir sie machen und warum manche Entscheidung gefallen ist. Ich vertrete ja nur die kommunale Ebene und habe deshalb versucht, ein bisschen aus unserem Alltag zu erzählen, von der irakischen Familie, deren Vater IT-Spezialist ist oder von unserem Mitarbeiter im Bauhof, der jetzt vor wenigen Tagen erst seine Anhörung zu seinem Asylverfahren hatte. Und ich habe betont, dass ein Bürgermeister in Deutschland die ganze Gemeinde in ihrer Meinungsvielfalt nach außen hin repräsentiert und nicht seine persönliche Meinung oder die Parteipolitik. Das ist wohl in allen drei Gemeinden anders.

Wie sieht deren Amtsverständnis aus?

Mein ungarischer Amtskollege Székely László tritt für die Asylpolitik von Victor Orbán, dem ungarischen Ministerpräsidenten, ein. Beide sind in der Fidesz-Partei. Natürlich ist auch Ungarn ein demokratisches System, aber dort laufen manche Dinge einfach anders ab, auch wenn das manchmal nur Nuancen sind.

Was haben Sie aus dem Gespräch mitgenommen?

Ich habe Verständnis für die andere Seite mitgenommen, dass wir die Ängste unserer Nachbarn ernst nehmen müssen. Außerdem müssen wir uns unserer christlichen Werte wieder stärker bewusst werden und sie selbstbewusst leben. Das ist ein Teil unserer Gesellschaft, unserer Leitkultur. Gerade letztes Wochenende dachte ich: Wie soll denn ein Flüchtling unsere Kultur mit ihren Feiertagen wie Reformationstag oder Allerheiligen kennenlernen, wenn stattdessen nur noch von Halloween geredet wird? Natürlich darf es auch das geben, aber wir behandeln unsere eigenen Feiertage und christlichen Wertvorstellungen so beliebig. Das ist dann nichts, was bei Menschen, für die unsere Kultur neu ist, besonderes Interesse auslöst. Und die Leute, die über die Islamisierung des Abendlandes schimpfen, hängen sich dann die geschnitzten Kürbisse vor die Haustür. Darüber müssen wir uns Gedanken machen.

© SZ vom 09.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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