Kirchheim:Der freundliche Kümmerer

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Alois Spies ist unter anderem Lokalpolitiker und ehrenamtlicher Richter. Nun wird sein Engagement gewürdigt. (Foto: Claus Schunk)

Alois Spies hatte schon viele Ehrenämter. Nun bekommt er die Bundesverdienstmedaille

Von Christina Hertel, Kirchheim

So richtig, sagt Alois Spies, wisse er selber gar nicht, wie er zu dieser Ehre gekommen sei. Über den bayerischen Verdienstorden hätte er sich auch schon gefreut. Aber das? "Schauen Sie mal." Dann schiebt er zwei Briefe rüber, einer unterschrieben von Landrat Christoph Göbel, einer von Innenminister Joachim Herrmann. In beiden steht sinngemäß: Glückwunsch zur Bundesverdienstmedaille. Die bekommt Spies Anfang nächsten Jahres verliehen - für sein ehrenamtliches Engagement. Unter anderem als ehreamtlicher Richter, Gemeinderat, Heimatpfleger, Vorsitzender des Siedlungsvereins, als Vorsitzender der Eisenbahnfreunde Kirchheim, Kassier bei der Arbeiterwohlfahrt und beim VdK-Ortsverband Feldkirchen. Die Liste ließe sich noch weiterführen. 20 Ehrenämter bekleidete Spies im Laufe seines Lebens.

Alois Spies ist 75 Jahre alt, länger als 50 Jahre verheiratet, hat vier Kinder, drei Enkel, ein Haus, einen Hund. Er hat eine Glatze, sein ganzes Leben lang schon. Außerdem: blaue Augen, große Hände, ein liebes Lachen. Er ist ein Mensch, der immer "ja" sagt, wenn man ihn um etwas bittet. "Spiesi, du arbeitest doch im öffentlichen Dienst, haben die Leute gesagt. Da hast du doch Zeit." Und so kam eins zum anderen und ein Ehrenamt zum Nächsten. Doch das ist natürlich nur eine Wahrheit, die sich Alois Spies zusammengebastelt hat. Denn seine Zeit hätte er wohl auch anders füllen können. Statt 20 Jahre lang viele Montagabende im Gemeinderat zu sitzen, hätte er sich auch mit seinen Kumpels in der Kneipe treffen können. Oder mit seiner Frau Essen gehen. Wollte er aber nicht. Alois Spies wollte gestalten und zwar in Kirchheim, wo er seit fast 40 Jahren zuhause ist.

Sein Reich ist das Dachgeschoss des Bauhofs. Hier steht ein Karton am andern, beschriftet mit Jahreszahl und Thema. Ortsmitte, Gebietsreform, Grundschule. Spies digitalisiert alle Akten, legt Bildermappen an. Er ist seit 16 Jahren Kirchheimer Archivar und Heimatpfleger. Auf seinem Computerbildschirm sieht man seinen Hund Nicki, genannt Burli. Hinter der Tür: ein Eisenbahnplakat und an der Wand: eine Malerei, die die Apokalypse zeigt: Staus, Panzer, überflutete Städte, brennende Kraftwerke, hungernde Kinder. Spies steht auf, geht zu dem Bild, sein Kopf ist vielleicht noch zehn, zwanzig Zentimeter vom Plakat weg, und sagt: "Wir haben ja so Glück. Manche Leute schimpfen nur, aber uns geht es doch so gut."

Alois Spies wuchs in Sendling auf, bis ihn seine Mutter nach Markt Schwaben schickte. Er sollte eine Ausbildung zum Metzger machen. Obwohl er das nicht werden wollte. "Aber das war damals einfach so. Man hatte keine Wahl", sagt Spies. Nach ein paar Jahren kam er zurück, und begann als Schaffner in der Straßenbahn zu arbeiten, später als Busfahrer und noch später in seiner eigenen Abteilung, in der Vandalismus verfolgt wurde. Also zum Beispiel Leute, die Graffiti auf U-Bahnen sprühen. Weil die meistens nachts loslegen, hieß das für Spies, dass er oft, wenn andere schliefen, auf den Beinen war.

Gleichzeitig engagierte er sich in Kirchheim als Gemeinderat, erst für die SPD, dann für die Freien Wähler. Er kümmerte sich um die großen Fragen: Wie soll Kirchheim wachsen? Und um die kleinen: Warum gibt es keine Bänke bei der Räterwiese? 2008 wollte Spies eigentlich nicht mehr antreten. Doch der damalige Bürgermeister überredete ihn, sich auf letzten Platz aufstellen zu lassen - damit die Liste voll wird. "Aber am Ende haben die mich von Platz 15 auf Platz 6 vorgewählt. Und ich war wieder drin." In der Zeit gründete er die Interessensgemeinschaft der Eisenbahnfreunde und den Kinderflohmarkt auf der Räterwiese. "Als Gemeinderat muss man ja mit den Leuten ins Gespräch kommen. Aber mich an einen Infostand stellen, wäre gar nichts für mich gewesen", erzählt Spies. Also suchte er andere Wege.

Es klingt ein bisschen, als wäre sein Leben eine große Aneinanderreihung von Zufällen gewesen. Und darunter fällt auch diese Episode, die natürlich so wie jedes Mal mit einer Menge Arbeit verbunden war: Anfang der 80er begann Spies, als Schöffe an verschiedenen Gerichten in München zu arbeiten. Alle Parteien seien damals dazu aufgerufen geworden, jemanden für dieses Amt zu nennen, erzählt er. Und wieder traf es den Spiesi im öffentlichen Dienst.

Aber Alois Spies fing solche Ehrenämter nicht nur an, weil er gefragt wurde. Er führte sie auch fort und füllte sie aus, war immer unterwegs und wenig zu Hause. Was er zurückbekam? "Menschenkenntnis", antwortet Spies. Gerade vor Gericht habe er gemerkt, wie Menschen lügen können. "Am Anfang habe ich mich immer einwickeln lassen. Besonders von den Frauen." Und heute? Spies zuckt die Schultern. Inzwischen lässt er sich gern auch mal einwickeln, besonders von den Frauen, soll das vielleicht heißen. "Habe ich Ihnen das schon gezeigt?" Er deutet auf ein Foto: Spies zwischen vielen Frauen, breit grinsend. "Alois und seine Gemeindefrauen steht darunter."

© SZ vom 30.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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