Hohenbrunn:"Ich liebe Dir - das ist doch komplett falsch"

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Schon Muttersprachler tun sich mit Texten der Dadaisten schwer. Das Spielerische in den Gedichten eines Kurt Schwitters kann Flüchtlingen aber einen neuen Zugang zum Deutschen eröffnen. Besuch bei einem Theaterprojekt der besonderen Art in Hohenbrunn

Von Christina Hertel, Hohenbrunn

"Anna Blume. Du tropfes Tier, ich liebe dir", liest Kidane langsam vor. Dann macht er eine Pause und guckt ein bisschen verwirrt. "Ich liebe dir - das ist doch komplett falsch." Er klingt empört, offenbar kann er nicht verstehen, warum ausgerechnet er falsches Deutsch vorlesen soll. Kidane heißt in Wirklichkeit anders. Er floh vor drei Jahren aus Mali und nimmt während der Sommerferien an einem Talentcampus in Riemerling für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge teil, den die Volkshochschule Südost organisiert. Zehn Tage lang gibt es für sie vormittags einen Deutschkurs und nachmittags entwickeln die Jugendlichen ein Theaterstück. Die Basis: dadaistische Gedichte von Kurt Schwitters - zum Beispiel "An Anna Blume", das Kidane vorgelesen hat.

Warum ausgerechnet Dada? Warum sollen Flüchtlinge Gedichte lesen, die oft nicht einmal Muttersprachler verstehen? "Der Dadaismus geht spielerisch mit der deutschen Sprache um. Und das wollen wir den Flüchtlingen auch zeigen", sagt Sabine Ruck. Sie ist Schauspielerin und leitet gemeinsam mit Xaver Nassermann das Projekt. Er ist Videokünstler und Dozent an der Volkshochschule. Dass die beiden den Dichter Kurt Schwitters ausgewählt haben, hat noch einen Grund: auch er war Flüchtling. Zuerst wanderte er 1937 von Deutschland nach Norwegen aus, weil seine Kunst als "entartet" galt. Nur drei Jahre später muss er vor den deutschen Truppen nach England fliehen.

Die Flüchtlinge sitzen in einem Stuhlkreis in einem Klassenzimmer in der Carl-Steinmeier-Mittelschule in Riemerling. Ruck und Nassermann haben an die Flüchtlinge verschiedene Gedichte von Schwitters ausgeteilt. Sie sollen sie durchlesen und dann eines, das ihnen gefällt, vorlesen. "Ihr könnt mit dem Text machen, was ihr wollt. Singen, schreien - fühlt euch ganz frei", sagt Ruck. Kurz ist es still, alle schauen auf ihre Blätter. Dann hebt Aoldi Muhammed, ein Flüchtling aus Äthiopien, die Hand. Nassermann nickt ihm zu, Muhammed atmet ein, es geht los: "30 Bombenflugzeuge über uns - Ist denn Krieg? Das Flugzeug fällt brennend nieder - Der Wald brennt - Maschinengewehr." Er liest schnell, nur mit manchen Wörtern tut er sich schwer. Bombenflugzeug. Maschinengewehr. Schwierige Wörter - für einen Flüchtling vielleicht besonders.

"Wir wollen ihnen zeigen, dass es Krieg in der Geschichte schon öfter gab, dass sie nicht die einzigen sind, die so etwas erlebt haben", erklärt Nassermann. Ziel sei nicht, dass die Flüchtlinge im Laufe des Projekts von ihren eigenen Erlebnissen erzählten, vielmehr solle der Umgang mit dem Thema an sich lockerer werden. "Wir wollen ihnen zeigen, dass es immer weitergeht." Deshalb habe er nicht nur Gedichte aus gewählt, die sich um Krieg und um Flucht drehten, sondern auch welche, in denen es um Hoffnung, Liebe, Zukunft gehe.

"Mal schauen, was rauskommt", sagt Kidane, der Flüchtling aus Mali. Ganz unerfahren ist er, was Theater betrifft, nicht. Er hat schon einmal bei einem Projekt in Ottobrunn mitgemacht. Doch eine Sache gefällt ihm am Schauspielern gar nicht: das Verkleiden. "Das ist immer bisschen komisch." Sowieso sei er hauptsächlich da, weil er sein Deutsch verbessern wolle. Der Sprachkurs am Vormittag sei für ihn persönlich das Wichtigste.

Eigentlich spricht Kidane schon gut deutsch, aber man hört seinen Akzent, manchmal sucht er nach den Wörtern. "Ich will unbedingt, dass es immer besser wird." Nach den Sommerferien besucht er die 10. Klasse an einer Mittelschule in der Nähe vom Hauptbahnhof in München. Danach würde er gerne eine Ausbildung anfangen - als Verkäufer zum Beispiel.

"Die Sommerferien sind lang und wir möchten den Flüchtlingen auch in dieser Zeit eine Struktur geben", sagt Anna Kirkorowicz von der Evangelischen Kinder- und Jugendhilfe Feldkirchen, die gemeinsam mit der Volkshochschule und der Gemeinde Hohenbrunn Träger des Projekts ist. Insgesamt können 41 Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren, die in Riemerling leben, mitmachen. Alle sind männlich, die meisten kommen aus Afghanistan, Syrien, Eritrea.

Außer dem Schauspielen haben die Projekttage einen zweiten Fokus: Basketballspielen. Nassermann ist nicht nur Künstler, er trainiert auch Jugendliche beim FC Bayern München. Sein Ziel ist, dass die jungen Flüchtlinge gegen eine Mannschaft des Vereins ein Freundschaftsspiel absolvieren. Theater und Sport passt aus Nassermanns Sicht gut zusammen: "Beides hat mit Teamarbeit zu tun." Außerdem haben die Projekttage vor allem ein Ziel: dass die Jugendlichen Spaß haben und etwas Neues kennenlernen.

Als Nassermann fragt, wer denn schon einmal Basketball gespielt hat, geht tatsächlich nur eine Hand hoch - Muhammeds. Er kennt den Sport schon aus der Schule. "Vielleicht", sagt Nassermann, "entdecken wir ja ein neues Talent."

Wer wissen will, was bei dem Projekt herausgekommen ist, kann am Freitag, 9. September, in die Carl-Steinmeier-Mittelschule in Riemerling kommen. Die Flüchtlinge führen von 15 Uhr an auf, was sie mit den Schwitters-Gedichten erarbeitet haben.

© SZ vom 02.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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