Hohenbrunn:Fast wie im richtigen Leben

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Schüler Luca Schäfer hat seine Kleidung gut gewählt. Aber auch bei ihm gibt es noch Verbesserungsvorschläge von den Profis. (Foto: Claus Schunk)

Schüler der Mittelschule Hohenbrunn proben mit Personalreferenten, was sie bei Bewerbungsgesprächen beachten sollten

Von Christina Hertel, Hohenbrunn

"Wo ist denn eigentlich dein Zeugnis?" "Oh, eigentlich habe ich es eingescannt. Ich weiß nicht, wo es hin ist." "Und das Foto? Das sieht ja eher nach Fußballstadion aus." "Ich war letzte Woche krank." Die Fragen stellt: Christian Rodiek von der Firma Baywa. Und die Antworten gibt: Luca Schäfer, neunte Klasse, 14 Jahre alt. Er trägt einen schwarzen Anzug, weißes Hemd, Krawatte und sieht ein bisschen aus wie ein Versicherungsvertreter. Am Montag war Bewerbertag an der Carl-Steinmeier-Mittelschule in Hohenbrunn. Mit echten Firmen - von Deutsche Bahn bis Aldi - trainierten die Schüler, wie sie sich im Bewerbungsgespräch am besten präsentieren, was sie sagen sollen und was besser verschweigen.

Luca Schäfer - so viel vorne weg - hat sich gut geschlagen. Bis auf das fehlende Zeugnis und das nicht ganz so gelungene Foto ist Personalreferent Rodiek zufrieden. Am Vormittag sei ein Schüler im Basketball-Shirt gekommen, andere hätten keine Unterlagen mitgebracht. Das ist Luca Schäfer schon mal nicht passiert. Er ist selbstbewusst, schaut Rodiek und seinen beiden Kolleginnen direkt in die Augen. Und macht auch mal einen Witz: "Meine Mama ist Masseurin, das hilft mir, wenn ich vom Fußball nach Hause komme."

Dass es immer schwieriger wird, Auszubildende zu finden, ist kein Geheimnis. In der Stadt und im Landkreis München stehen im Januar mehr als doppelt so viele Ausbildungsplätze wie Bewerber zur Verfügung: Gerade gibt es 9000 Stellen für 4000 Menschen. Auch die Firma Baywa, erzählt Rodiek, tue sich schwer, genügend passende Bewerber zu finden - vor allem im handwerklichen Bereich. Durch das Training sollen die Schüler schon einmal auf den Ernst des Lebens vorbereitet werden. Es soll ein kleines Signal sein nach dem Motto: Ihr müsst euch langsam mit einem Job befassen, bald geht's los. Und auf der anderen Seite erfährt das Unternehmen, wie seine Zielgruppe tickt.

Luca Schäfer darf nach Hause gehen. Vor der Tür wartet schon die nächste Bewerberin: Mariana Caneira, ebenfalls 14 und auch herausgeputzt. Sie trägt eine schwarze Hose, schwarzen Blazer, Pumps und eine schwere silberne Kette. Die Schülerin kommt aus Portugal und lebt erst seit dreieinhalb Jahren in Deutschland - was man aber gar nicht hört. Eigentlich ist sie ein richtiges Strahlemädchen - jemand, der viel lacht und damit die Menschen für sich gewinnt. Aber beim Gespräch schaut sie die ganze Zeit auf einen Zettel, der vor ihr auf dem Tisch liegt. "Was hast du denn da?", fragt Personalreferent Rodiek. "Ach, nichts, ich bin nur etwas nervös", antwortet sie. Man merkt: Es ist ihr peinlich.

Doch dann wird es besser. Von nun an schaut Mariana ihre Gesprächspartner an, erzählt ganz frei von ihrer alten Heimat und dem Heimweh, das sie auch manchmal plagt. Am Ende allerdings kommt noch eine Frage, mit der sie offenbar nicht gerechnet hat. "Mit was verdient unsere Firma eigentlich ihr Geld?" Schweigen. "Ich glaube, Solarenergie." Es klingt mehr nach einer Frage als einer Antwort. "Und was noch?", fragt Rodiek weiter. Schulterzucken.

Rodiek erlebt das oft. Er glaubt, es liegt am Alter, dass sich die Bewerber noch nicht so recht vorstellen können, wie Unternehmen funktionieren. Auch, dass sich die Schüler manchmal selbst überschätzen, sei ein Problem, erzählt Rodieks Kollegin Andrea Bernhart: "Alle wollen die Mittlere Reife machen - ganz egal, ob sie zwei Fünfer im Zeugnis haben." So wirkt Mariana Caneira nicht. Ihr nimmt man ab, dass es mit einem echten Bewerbungsgespräch tatsächlich noch dauern könnte. Sie will weiter zu Schule gehen, eine Ausbildung als Polizistin machen. Und dann: zurück nach Portugal.

© SZ vom 01.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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